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Kenia setzt somalische Flüchtlinge unter Druck. EU und USA schweigen

Von Knut Mellenthin *

Die kenianischen Behörden haben ihre Schikanen und Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Einwanderer aus dem benachbarten Somalia erneut verschärft. Am Dienstag gab Innenminister Joseph Ole Lenku die Festnahme von 657 »Verdächtigen« bekannt. Anlaß waren drei Anschläge mit Handgranaten oder selbstgebauten Sprengkörpern, die Unbekannte am Montag in Eastleigh, einem überwiegend von Somalis bewohnten Viertel der kenianischen Hauptstadt Nairobi, verübt hatten. Ziel waren anscheinend in erster Linie zwei kleine Restaurants. Sechs Menschen wurden dabei getötet, 25 weitere verletzt. Es gab keine »Bekennererklärung« zu den Anschlägen. Für die von der kenianischen Regierung sofort behauptete Urheberschaft der in Somalia aktiven islamistischen Organisation Al-Schabab fehlen praktische oder logische Indizien.

Willkürliche Massenfestnahmen vor allem unter Jugendlichen und jungen Männern somalischer Herkunft gehören zur üblichen Vorgehensweise der kenianischen Polizei. Die angeblich »Verdächtigen« werden in der Regel nach zum Teil brutalen Mißhandlungen wieder freigelassen. Internationale Menschenrechtsorganisationen berichten im Zusammenhang mit solchen Polizeiaktionen auch über Diebstahl, Plünderungen und vor allem sexuelle Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen.

Die jüngsten Polizeimaßnahmen sind im Zusammenhang mit dem Internierungsbefehl zu sehen, den der Innenminister am 25. März bekanntgab. »Alle somalischen Flüchtlinge«, die derzeit in städtischen Strukturen leben, müßten »sofort in ihre Lager zurückkehren«, hieß es dort. Die beiden auf kenianischem Boden bestehenden Lagerkomplexe sind jedoch schon seit vielen Jahren hoffnungslos überfüllt. Hilfsorganisationen klagen über mangelnde finanzielle Mittel und infolgedessen über schwere Unterernährung und die Verbreitung ansteckender Krankheiten, denen insbesondere viele kleine Kinder zum Opfer fallen. Außerdem ist in Kenia, wo mehrere Millionen Somalis ansässig sind, deren Vorfahren schon vor Jahrhunderten dort lebten, völlig unklar, was die Regierung im Fall solcher Dekrete unter »Flüchtlingen« versteht.

Eine Anordnung genau desselben Inhalts gab es schon einmal im Dezember 2012. Sie wurde aber im Juli 2013 vom Obersten Gerichtshof Kenias für ungesetzlich und verfassungswidrig erklärt. Sie verletze das Recht auf Bewegungsfreiheit, die Menschenwürde und die Verpflichtung des Staates zum Schutz von Personen in »verletzlichen Lebenslagen«. Tatsächlich wurden damals keine großen Anstrengungen unternommen, den Internierungsbefehl praktisch umzusetzen. Das scheint – zumindest bisher – auch diesmal so zu sein. Trotzdem fällt auf, daß zwar internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch gegen Lenkus Anordnung protestiert haben, aber alle westlichen Regierungen, einschließlich der deutschen, sich in Schweigen hüllen.

Der eigentliche Zweck des immer stärkeren Drucks der kenianischen Regierung auf die somalischen Einwanderer ist, ihnen das Leben unerträglich zu machen und sie zur »Rückkehr in ihre Heimat« – die die Mehrheit von ihnen nie gesehen hat – zu nötigen. Während westliche Regierungen von einer »Stabilisierung« in Somalia phantasieren, stellte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, im Januar fest, daß Süd- und Mittelsomalia »sehr gefährlich« bleiben und die Möglichkeiten für Somalis, dort Schutz vor Verfolgung oder anderen schweren Beeinträchtigungen zu finden, »begrenzt« seien.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. April 2014


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