Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Erben Wangari Maathais

In Kenia treiben vor allem Frauen erfolgreich Selbsthilfe-Initiativen voran

Von Leila Dregger *

In Kenia gibt es vielerorts extreme Armut, Lebensmittel- und Wasserknappheit. Doch die Heimat der verstorbenen Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai hat auch zahllose Selbsthilfe-Initiativen und ökologisches, soziales und Frauenbewusstsein hervorgebracht. Sie machen das Land zu einem Vorreiter nachhaltiger Entwicklung in Ostafrika.

»Niemand leidet mehr Hunger, noch nicht einmal am Ende der Trockenzeit. Unsere Kinder sind gesund, weil sie vielfältige Nahrung erhalten. Und das Geld, das wir an Kunstdünger sparen, hilft, ihre Schulbücher zu kaufen.« Nancy Oppelle, 50 Jahre alt und Mutter von zehn Kindern, ist die Sprecherin der Fraueninitiative Maili Saba in Kitale, Nordwest-Kenia.

Das Hochland Westkenias mit seinem milden Klima und zwei Regenzeiten ist vor allem im Besitz von Großgrundbesitzern und Agrarkonzernen, im Fall von Kitale für den Anbau von Maissaatgut und Schnittblumen für Europa. Den Einwohnern selbst bleiben meist nur winzige Grundstücke, auf denen sie das Nötigste anbauen. 80 Prozent der Kleinbauern Kenias sind Frauen. Während ihre Ehemänner oft in anderen Ländern arbeiten, müssen sie die Kinder durchbringen, das Geld für Mieten und Schuluniformen auftreiben und das Land bestellen. Ein hartes Leben, aus dem die jungen Menschen meistens so früh wie möglich fliehen.

Die zwanzig Frauen von Maili Saba aber haben ihre Situation selbst in die Hand genommen. Sie legten ihre winzigen Grundstücke zu einem Gemeinschaftsgarten zusammen und wenden dort erfolgreich die Methode der »Permakultur« an: organischer Anbau in Mischkultur mit eigener Saatgutvermehrung, Kompostwirtschaft und mehreren Ernten im Jahr. Sie merken: Vielfalt ist nicht nur gesünder, sondern auch sicherer als die Maismonokultur, die sie vorher anbauten. Wenn jetzt die Ernte eines Produktes schlecht ausfällt, kann das von anderen ausgeglichen werden. Ihr großer Stolz ist eine winzige Bäckerei. Hier backen sie zweimal die Woche kleine Brote aus Süßkartoffeln, die sie selbst anbauen. Eine Köstlichkeit, die sie auf dem Markt anbieten. »Denn wir Frauen brauchen nicht nur Gemüse, sondern auch Geld in der Tasche«, erklärt Nancy Oppelle selbstbewusst.

Wenige Kilometer von hier liegt Mitume, ein Slum in Kitale. Hier leben viele junge Menschen ohne Aussicht auf Ausbildung, Arbeit und Einkommen. Die Kriminalität ist hoch, ebenso die Krankheiten aufgrund von Mangel an sauberem Trinkwasser. Doch dann eine Überraschung: Zwischen Lehmhütten, Müll und offenen Abwasserkanälen liegt ein fruchtbarer grüner Garten mit leuchtenden Sonnenblumen: Der Lehrgarten der gemeindeeigenen Initiative OTEPIC. Gleich daneben ein Seminarraum und Gemeindezentrum, dessen Miete von den Eigentümern gestiftet wurde, immer offen für jeden, hereinzukommen, sich Lehrvideos anzuschauen oder an Seminaren teilzunehmen. Trotz der Armut ringsum stiehlt niemand, keiner zerstört den Garten oder das Zentrum, denn die Nachbarn beschützen es. OTEPIC ist eines der Wunder, das Menschen unter Armutsdruck bewirken können. Sein Gründer Philip Munyasia, 29, ist hier geboren und aufgewachsen, der jüngste von acht Brüdern und der einzige, der ein College besuchen durfte. Seit 2005 hat er über 2000 Kleinbauern, Fraueninitiativen und Jugendliche in biologischer Landwirtschaft ausgebildet.

»Wir brauchen eine wahre Lebensmittelrevolution«, sagt er. »Die Menschen müssen unabhängig werden, unabhängig von den Supermärkten und vom Staat, von den Saatgut- und Düngemittelproduzenten. Sie können wieder lernen, die Ressourcen der Natur richtig zu nutzen und zu lenken, um aus der Armutsfalle herauszukommen.« Sein neuestes Projekt ist eine Werkstatt für Solarkocher - eine Verdienst- und Ausbildungsmöglichkeit für Jugendliche.

Die Industriestadt Thika, auch »das Birmingham Kenias« genannt, liegt 40 Kilometer südlich von Nairobi und ist weithin von Ananas-Monokulturen der Firma Del Monte umgeben. Zur Erntezeit kommen Saisonarbeiter aus dem ganzen Land. Für Samuel Nderitu und seine Frau Peris Wanjiru kommt das nicht in Frage. »Die Konzerne benutzen viel zu viel Kunstdünger und Pestizide. Und um genug für sich selbst und für den Verkauf anzubauen, machen die Kleinbauern es ihnen nach. Das ist nicht nur teuer, es zerstört auch den Boden.« Heute sind die Böden der Region im großen Umfang versalzen, wie Untersuchungen ergeben. Auf der Suche nach Alternativen stießen Samuel und Peri auf die Methode »Biointensive« aus den USA und legten in einem unscheinbaren Vorort einen Demonstrationsgarten an. Dort finden heute ganzjährig Seminare statt, wo vor allem Mädchen und Frauen lernen, ihre Gärten organisch zu bestellen. Dazu kommen Projekte wie »eine Ziege pro Familie», um die Familien mit frischer Ziegenmilch zu versorgen: Nach einem entsprechenden Seminar bekommt die Teilnehmerin eine Ziege »geliehen«, die sie ernährt, bis sie Junge bekommen hat. Dann gibt sie sie zurück, darf aber von den Jungen eines behalten. »Ein klassisches Win-Win-Projekt«, sagt Samuel.

Nanyuki ist eine kleine, recht wohlhabende Stadt auf fast 2000 Meter Höhe am Äquator. Peter Murage leitet hier einen biologischen Bauernhof mit Selbstvermarktung und Blick auf den Mount Kenia. Moderne Folientunnel mit Kräutern und Gemüse in Mischkultur, Teiche und Beete mit Tropfbewässerung gehören dazu sowie eine Halle für die Weiterverarbeitung. Sein Hof liegt an der Grenze zwischen grünem Hochland und der Halbwüste mit Rinderhaltung.

Peter Murage und seine Mitarbeiter unterrichten Studenten der umliegenden Hochschulen, um Wege zu zeigen, die Landwirtschaft ökonomisch interessant und gleichzeitig ökologisch nachhaltig zu gestalten. »Es ist viel Arbeit, biologische Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft in Kenia zu promoten«, gibt Peter Murage zu. Bei der Vermarktung setzt er vor allem auf die Touristen auf ihrem Weg zum Mount Kenia.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Juni 2012


Zurück zur Kenia-Seite

Zurück zur Homepage