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Mord in Mombasa

Unruhen in der kenianischen Hafenstadt nach Attentat auf Prediger. Angriffe auf sechs Kirchen. Drei Polizisten getötet, 15 weitere verletzt

Von Knut Mellenthin *

In der kenianischen Hafenstadt Mombasa ist nach dreitägigen gewaltsamen Straßenprotesten wieder Ruhe eingekehrt. Im Verlauf der vor allem von muslimischen Jugendlichen getragenen Unruhen waren mehrere Kirchen geplündert und beschädigt worden. Durch die Explosion einer von Unbekannten geworfenen Handgranate in einem Einsatzfahrzeug der Polizei wurden drei Beamte getötet und 15 weitere verletzt. In einigen Berichten war davon die Rede, daß Polizisten in die Menge geschossen hätten und daß es dabei mindestens ein Todesopfer gegeben habe.

Kenia ist ein überwiegend christliches Land. Nur etwa 10 bis 15 Prozent seiner rund 43 Millionen Einwohner sind Muslime. In Mombasa, mit fast einer Million Einwohner die zweitgrößte Stadt Kenias, und in der sie umgebenden Küstenregion sind die Muslime jedoch klar in der Mehrheit. Das hängt hauptsächlich mit den in früheren Jahrhunderten sehr engen Handelsbeziehungen zur arabischen Welt zusammen. Außerdem leben in Mombasa viele vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflüchtete Somalis und deren Nachkommen, die gleichfalls Muslime sind.

Die Krawalle hatten am Montag begonnen, nachdem ein bekannter islamisch-fundamentalischer Prediger, Aboud Rogo, von Attentätern erschossen worden war. Der Überfall ereignete sich, als Rogo seine Frau, die einige Tage zuvor eine Fehlgeburt hatte, zur Nachuntersuchung ins Krankenhaus fahren wollte. Die Mörder waren dem Fahrzeug gefolgt, überholten es dann und eröffneten das Feuer. Rogos Frau und die anderen Personen im Auto – die fünfjährige Tochter der beiden, Rogos Vater und ein weiterer Verwandter – wurden nur leicht verletzt.

Der ungefähr 1968 in Kenia geborene Prediger – sein genaues Alter war nicht bekannt – stand seit dem 5. Juli dieses Jahres auf den Sanktionslisten der US-Regierung und des UN-Sicherheitsrats. Die Strafmaßnahmen sahen unter anderem ein Reiseverbot und die Beschlagnahme seines (nach eigenen Aussagen gar nicht vorhandenen) Auslandsvermögen vor. Der zuständige Ausschuß der Vereinten Nationen warf Rogo vor, er habe den bewaffneten Fundamentalisten der somalischen Al-Schabab »finanzielle, materielle, logistische und technische Unterstützung« zukommen lassen. Außerdem sei er »der wichtigste ideologische Führer« der kenianischen Jugendorganisation Al-Hidschra, die eng mit Al-Schabab zusammenarbeite, und habe kenianische Jugendliche für den Bürgerkrieg in Somalia motiviert und rekrutiert.

Letztlich aber wurde Rogo, der keineswegs versteckt im Untergrund, sondern ordentlich angemeldet in Mombasa lebte, niemals von einem kenianischen Gericht verurteilt. Von der Anklage, im Jahre 2002 in irgendeiner Weise Beihilfe zu dem Anschlag auf ein in israelischem Besitz befindliches Hotel bei Mombasa geleistet zu haben, wurde er 2005 mangels Beweisen freigesprochen, nachdem er viele Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte. Die Versuche, Rogo mit den Al-Qaida zugeschriebenen Anschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi (Kenia) und Dar-es-Salam (Tansania) am 7. August 1998 in Verbindung zu bringen, standen von vornherein auf so schwachen Füßen, daß er deswegen nie vor Gericht gestellt wurde.

Die offizielle Führung der kenianischen Muslime verurteilte sowohl den Mord an Rogo als auch die dadurch ausgelösten Krawalle, insbesondere die Angriffe auf sechs Kirchen. Aber auch in diesen gemäßigten Kreisen ist man überzeugt, daß der radikale Prediger das Opfer einer »gezielten Tötung« durch kenianische oder ausländische Dienststellen wurde. Es war bereits der vierte oder fünfte derartige Mord in diesem Jahr. Im April waren zwei andere bekannte muslimische Fundamentalisten entführt worden. Die Leiche des einen wurde mehrere Wochen später an einer weit entfernten Stelle aufgefunden, der andere – ein Blinder – blieb bis heute verschwunden. Rogo selbst hatte im Juli einen Versuch, auch ihn und einen Begleiter zu entführen, angezeigt und Polizeischutz gefordert. Offenbar vergeblich.

* Aus: junge Welt, Freitag, 31. August 2012


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