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Das große Projekt zwischen Aserbeidschan, Georgien, Türkei und USA:

Baubeginn einer Öl-Pipeline vom Kaspischen Meer bis zur türkischen Mittelmeerküste

Anlässlich des Baubeginns einer seit langem projektierten Ölpipeline vom Kaspischen Meer bis ans Mittelmeer wollen wir ein paar zusammengefasste Informationen über Hintergründe und Interessenten anbieten. Außerdem zitieren wir aus einem aktuellen Kommentar von Karin Leukefeld. Weitere Analysen zum Thema erhalten Sie auf unserer Kaukasus-Seite.

Am Kaspischen Meer liegen gewaltige Öl- und Gas-Vorräte. Sie sollen in den kommenden Jahrzehnten ausgebeutet werden – vor allem für den amerikanischen Markt. Denn die USA wollen ihre Abhängigkeit vom arabischen Öl verringern. Sie initiierten deswegen ein Pipeline-Projekt, dessen Bau 2002 begann.

Unter den Produzenten liegt traditionell Saudi Arabien vorn: 11,8 Prozent der Weltfördermenge von 2001 kam aus dem Golfstaat. Die USA belegten Platz zwei (9,9 Prozent), gefolgt von Russland (9,8 Prozent). Insgesamt wurden im Vorjahr 3,574 Milliarden Tonnen Roh-Öl gefördert. Saudi Arabien ist zugleich größter Roh-Öl-Exporteur, gefolgt von Norwegen und Russland.
Die USA verbrauchen das meiste geförderte Erd-Öl selber. Sie sind zugleich größter Importeur des schwarzen Goldes. Im Jahr 2000 führten sie laut Internationaler Energiebehörde (IEA) 511 Millionen Tonnen Öl ein. Japan importierte 214 Millionen Tonnen, Korea 123 Millionen Tonnen. Auf Platz vier unter den Roh-Öl einführenden Ländern liegt Deutschland mit 104 Millionen Tonnen.


Die größten Produzenten (2001):
  1. Saudi-Arabien, 421 Mio. t - 11,8 % der Weltproduktion
  2. USA, 345 Mio. t - 9,9 %
  3. Russland, 347 Mio. t - 9,7 %
  4. Iran, 186 Mio. t - 5,2 %
  5. Mexiko, 179 Mio t. - 5,0 %
  6. Venezuela, 173 Mio. t - 4,8 %
  7. China, 166 Mio t - 4,6 %
  8. Norwegen, 162 Mio t - 4,5 %
  9. Kanada, 125 Mio t - 3,5 %
  10. Großbritannien, 118 Mio t - 3,3 %
  11. Rest der Welt, 3.574 Mio t - 37,7 %
  12. Welt ges., 3.574 Mio. t - 100 %

Die größten Exporteure (2000)
  1. Saudi-Arabien: 320 Mio. t
  2. Norwegen: 146 Mio. t
  3. Russland: 144 Mio. t
  4. Iran: 116 Mio. t
  5. Venezuela: 115 Mio. t
  6. Nigeria: 107 Mio t
  7. Irak: 102 Mio. t
  8. Großbritannien: 93 Mio. t
  9. Mexiko: 92 Mio. t
  10. Ver. Arab. Emirate: 84 Mio. t
  11. Rest der Welt: 656 Mio t
  12. Welt ges.: 1.975 Mio. t

Die größten Importeure (2000)
  1. USA: 511 Mio. t
  2. Japan: 214 Mio. t
  3. (Süd-)Korea: 123 Mio. t
  4. Deutschland: 104 Mio. t
  5. Italien: 90 Mio. t
  6. Frankreich: 86 Mio. t
  7. China: 70 Mio. t
  8. Indien: 67 Mio. t
  9. Niederlande: 61 Mio. t
  10. Spanien: 59 Mio. t
  11. Rest der Welt: 642 Mio. t
  12. Welt ges.: 2.027 Mio t



In Aserbaidschan hat der Bau einer strategisch wichtigen Öl-Pipeline vom Kaspischen Meer bis zur türkischen Mittelmeerküste begonnen. An der Zeremonie am 18. September 2002 nahe der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku nahmen die Staatschefs von Aserbaidschan, Georgien und der Türkei sowie ein Vertreter der US-Regierung teil. Washington hat das Projekt maßgeblich unterstützt und durchgesetzt, dass die Pipeline nicht durch Russland und Iran geführt wird.
Die Pipeline soll im Jahr 2005 fertig sein. Durch die 1750 Kilometer lange Röhre sollen dann eine Million Barrel pro Tag fließen. Die Baukosten sollen umgerechnet 3,06 Milliarden Euro betragen.
So kostspielig wird sie, weil sie nicht auf kürzestem Weg vom Kaspischen Meer Richtung Westen oder Süden führt. Denn dies hätte bedeutet, dass auf russischem oder iranischem Gebiet gebaut hätte werden müssen. Beide Varianten wurden auf Drängen der USA im Juli 2002 endgültig gekippt.

Lange Zeit hatten die am internationalen "Baku-Tiflis-Ceyhan-Konsortium" beteiligten Konzerne die kürzere und billigere Route durch den Iran an den Persischen Golf bevorzugt. Aber dann brachten zwei Entwicklungen doch noch die Wende: Zum einen die Terroranschläge vom 11. September 2001. Dadurch bekam die Suche der USA nach Alternativen zum Öl aus Nahost neue Priorität. Außerdem fanden Geologen erheblich größere Öl-Vorkommen als zunächst erwartet – was zur Auslastung der teuren Röhre beitragen könnte.

Auf bis zu 40 Milliarden Barrel werden die Öl-Reserven der gesamten Region geschätzt. Das wäre das drittgrößte Vorkommen weltweit – und würde der Erdöl-fixierten US-Wirtschaft ein paar sorglose Jahrzehnte bescheren. Den Löwenanteil machen allerdings Öl-Felder vor der Küste Kasachstans aus. Und wer diese ausbeutet, ist noch lange nicht entschieden.

Russlands Dominanz in der Region zu brechen und den Iran aus dem neuen Öl-Geschäft zu halten war Washington erklärtes Ziel. US-Staatsbürgschaften decken die Risiken der endgültigen Pipeline-Strecke. Diese Risiken sind groß: Führt das ehrgeizige Bauwerk doch mitten durch ein Erdbebengebiet und durch das politisch instabile Georgien.

Historisches

Schon einmal, von Mitte des 19. bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts, war Baku im Öl-Rausch. Damals kamen die Brüder Nobel und die Rothschilds in die Stadt. Es wurden prächtige Bürgerhäuser gebaut, breite Alleen angelegt. Baku galt als "hip" - eine multinationale, vielsprachige Stadt, in der europäische Kultur, persische Mystik und der Ruch des Geldes eine prickelnde Verbindung eingingen. Exportschlager "süßes Öl"

Etwa ab 1870 stiegen die Grundstückspreise ins Unermessliche. die armen Leute in den Siedlungen, die bis dahin kärglich von den Erträgen des dürftigen Bodens gelebt hatten, wurden über Nacht reich. Wo immer man bohrte, schossen Fontänen in die Luft. Immer fieberhafter wurde gefördert. Bald liefen von Baku und vom Schwarzmeerhafen Batumi große Flotten aus. Russische Zaren, kanadische Holzfäller, ostindische Kolonialherren, amerikanische Industrielle, galizische Traktorfahrer, ostpreußische Großgrundbesitzer, sie alle wollten das "crude oil", das Baku-Öl, das "süßer", also motorschonender war als das der Konkurrenz. Traum von der Wiederauflage der "Goldenen Ära"

Vom Ende des ersten, 80 Jahre währenden, Booms hat sich Aserbaidschan nie wieder erholt. Entsprechend groß sind die Hoffnungen auf eine Neuauflage der "Goldenen Ära". Seitdem sich das Land von der Sowjetunion losgesagt hat und Staatspräsident Gajdar Alijew mehr diktatorisch als demokratisch regiert, seitdem vermutlich jeder zweite arbeitslos ist und mit Berg-Karabach ein Drittel des Landesterritoriums an die Armenier verloren ging, sind den Aserbaidschanern wenig Träume geblieben. Wieder die "Öl-Kapitale" zu werden, würde deshalb nicht nur die völlig desolate Wirtschaft sanieren.

Quelle: Berichte der ARD-Tagesschau (online-Dienst)

Karin Leukefeld: Pipeline gegen Moskau

... Neun Ölkonzerne teilen sich die Ausbeute folgendermaßen auf: Die britische BP erhält 38,21 Prozent, SOCAR (Aserbaidshan) 25 Prozent, Statoil (Norwegen) 9,58 Prozent, Unocal (USA) 8,9 Prozent, TPAO (Türkei) 7,55 Prozent, Eni Agip (Italien) und Total Final Elf (Frankreich) bekommen jeweils fünf Prozent, Inpex (Japan) 3,4 Prozent und Delta Hess (US/Saudi-Arabien) 2,36 Prozent.

Die Pipeline wird durch die kurdischen Gebiete der Türkei verlaufen, wo zumindest in zwei Provinzen noch immer der militärische Ausnahmezustand herrscht. Vor wenigen Jahren noch erschien das Projekt Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline (BTC) unrealistisch wie ein »weißer Elefant«. Angesichts der Kämpfe zwischen der kurdischen PKK-Guerilla und dem türkischen Militär fanden sich lange keine Geldgeber. Doch das Interesse der USA, alternative, kürzere und billigere Pipelines durch Rußland oder den Iran zu verhindern, setzte sich schließlich durch. »Ohne diese Pipeline könnten die Ressourcen des Kaspischen Meeres der Welt nicht zugänglich gemacht werden«, sagte US-Energieminister Abraham bei der Einweihung. Ölexperten sehen das anders und kritisieren, daß es sich bei der BTC-Pipeline ausschließlich um ein politisches Projekt gegen Moskau handele.

Der türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer erklärte, die Pipeline werde in der Türkei zum »Rückgrat eines Ost-West-Energiekorridors, durch den kaspisches Öl und natürliche Gasvorkommen auf die internationalen Märkte« fließen könnten. Das stärkt die Stellung der Türkei als Regionalmacht gegenüber Rußland. Dazu kommt die enge Kooperation mit Aserbaidshan und Georgien. Der georgische Präsident Schewardnadse bezeichnete den Bau der BTC-Pipeline als »Beginn einer neuen Realität in Georgien und in der Region des südlichen Kaukasus«.

Nichtregierungsorganisationen haben derweil vor einer »Kolonialisierung der Türkei durch die Ölgesellschaften« gewarnt. Schon im September 2000 sei mit der türkischen Regierung vereinbart worden, dem Ölkonsortium weitgehende Wirtschaftsfreiheit zu gewähren, so die Organisation Corner House, in der unter anderem das Kurdische Menschenrechtsprojekt (KHRP) und die Kampagne gegen den Ilisu-Staudamm mitarbeiten. Die Vereinbarung, veröffentlicht im türkischen Amtsblatt und gültig für 40 Jahre, sehe vor, daß die ohnehin schwachen Gesetzesvorschriften in puncto Arbeitsrecht und Umweltschutz nicht für das Ölkonsortium gelten sollen. Die Nichtregierungsorganisationen sehen in der Vereinbarung einen Versuch, das 1998 gescheiterte MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen) durch die Hintertür eines »undemokratischen Staates« wieder einzuführen, so Nick Hildyard von Corner House. Die Türkei sei jetzt dreigeteilt, sagte er. »Es gibt die Türkei mit türkischem Recht, die kurdischen Gebiete mit dem Ausnahmerecht und einen Streifen quer durch das Land, wo British Petrol regiert.« Das Abkommen sieht für die Ölgesellschaften unter anderem den ungehinderten Zugang zu Wasser vor, ungeachtet kommunaler Bedürfnisse. Im Falle von Ölverschmutzungen sollen die Firmen nicht belangt werden können. Nur in absoluten Notfällen bei Bedrohung der Bevölkerung, Umwelt oder der nationalen Sicherheit soll die Regierung einschreiten können. In einer Krisensituation soll es den an der Pipeline beteiligten Ölgesellschaften möglich sein, den Schutz der türkischen Armee oder von Sicherheitskräften anzufordern. Ähnliche Abkommen haben auch die Regierungen von Georgien und Aserbaidshan mit dem Ölkonsortium abgeschlossen.

Auszug aus einem Artikel in der jungen Welt, 19.09.2002


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