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Weltoffenheit auf der Straße des Emirs

Seit den 90er Jahren erfreut sich Katar eines kräftigen Aufschwungs

Von Karin Leukefeld, Doha *

»Zuerst erwärmen wir das Wasser, reinigen es und leiten es dann mit Druck durch diese Röhre. Dann fügen wir unser gemahlenes Material hinzu, Rose, Erdbeere oder was man möchte.« In perfektem Englisch erläutert Sarah Mustafa das Experiment, das sie im Chemieunterricht gelernt hat: die Herstellung von Parfüm. Sarah ist 14 Jahre und Schülerin der Amna Bint Wahab Oberschule für Mädchen in Doha, der Hauptstadt des Scheichtums Katar am Arabisch-Persischen Golf. Stolz blickt Mutter Meryem Mustafa auf ihre Tochter, die sich so mühelos in englischer Sprache ausdrücken kann. Meryem Mustafa stammt aus Sudan. Seit 27 Jahren lebt sie in Doha, als Mitarbeiterin der UNESCO unterstützte sie den Aufbau des Bildungssystems. »Damals war Katar völlig anders«, erinnert sie sich lächelnd.

Nur jeder fünfte Einwohner ist Katari

In den 80er Jahren war das Leben in Katar durch den konservativen Emir geprägt, der den enormen Reichtum aus Öl- und Gasvorkommen unter sein Volk verteilte. Kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung wurden angeboten, doch die Bevölkerung nahm die Chancen einer guten Ausbildung kaum wahr. Weil es den Kataris an Geld nicht mangelte, sahen die meisten keine Notwendigkeit, einen guten Beruf zu erlernen. Bildung zu erwerben oder zu besitzen, war ohne Bedeutung. 1995 übernahm der Sohn des Herrschers, Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani in einem unblutigen Staatsstreich die Macht von seinem Vater, als dieser sich gerade in der Schweiz aufhielt.

Danach änderte sich das Leben in Katar von Grund auf. Der neue Emir sorgte für die Demokratisierung des Landes. 1996 startete der Nachrichtensender Al Dschasira, 1999 fanden die ersten freien Wahlen für das Stadtparlament von Doha statt, mit aktivem und passivem Wahlrecht für Frauen. 2003 stimmten die Kataris über eine Verfassung ab, die 2005 in Kraft trat. Gemeinsam mit seiner Frau, Scheichin Mozah Bint Nasser al Misned, nutzte Scheich Hamad bin Khalifa al Thani den Reichtum aus Öl und Gas, um das Land grundlegend zu modernisieren. Heute zählt Katar nach einem Bericht des Weltwirtschaftsforums zu den am meisten entwickelten Staaten der arabischen Welt und nimmt Platz zwei hinter den Vereinigten Arabischen Emiraten ein.

Den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes hätten allerdings die Kataris allein nicht bewerkstelligen können. Das war dem Herrscherpaar bewusst, und so holte es Gastarbeiter aus aller Welt, um das Land zu entwickeln. Von den heute rund 1,5 Millionen Einwohnern Katars sind nur etwa 300 000 Kataris. Vom Universitätsprofessor über Ingenieure und Techniker in der Öl- und Gasindustrie bis hin zu Haushälterinnen, Taxifahrern und Bauarbeitern, es sind vor allem diese Gastarbeiter, die das Land nach der »Vision« des Emirs und seiner Frau und mit ihrem Geld innerhalb nur weniger Jahre zu einem der modernsten Staaten der Welt »umgebaut« haben.

Auch Meryem Mustafa und ihr Mann, der an einer Universität in Katar unterrichtet, kamen als Gastarbeiter nach Katar und blieben. Heute ist Meryem pensioniert und kümmert sich vor allem um die Familie. Sie gelten als »Expatriates«, als Ausländer in Katar, doch weil der Vater in einer staatlichen Einrichtung arbeitet, stehen den Kindern die Bildungseinrichtungen der Kataris offen. Die jüngste Tochter Sarah wird gemeinsam mit katarischen Schülerinnen der Amna Bint Wahab Oberschule zweisprachig unterrichtet, arabisch und englisch. So will es die neue Bildungsreform, die 2003 in Kraft trat. Hissam Hamid Almarwani ist die junge und ehrgeizige Direktorin der Schule, die vor zwei Jahren als eine von 87 unabhängigen Schulen anerkannt ist und damit staatlich finanziert wird. Die Finanzierung ist nicht mit Einflussnahme verbunden, der Lehrplan wird ausschließlich vom Lehrpersonal gestaltet.

»Wir konzentrieren uns darauf, den Schülerinnen Wissen zu vermitteln sowie die Fähigkeiten und die richtige Einstellung, um das Wissen auch anzuwenden«, sagt die Direktorin. Weil eine bessere Bildung nur mit besseren Quellen möglich sei, finde der Unterricht in Englisch statt, denn »die meisten Quellen gibt es in englischer Sprache. Wir bereiten unsere Schülerinnen darauf vor, dass sie sich universell verständigen können, nicht nur lokal.«

Englisch ist die vorherrschende Sprache im Alltag von Katar, sie verbindet die unterschiedlichsten Menschen aus vielen Nationen. Der Libanese Selim Asmar lebt mit seiner kanadischen Frau und drei Kindern seit drei Jahren in Doha, wo er die Finanzabteilung eines großen Werbeunternehmens leitet. Selim ist Christ und besucht regelmäßig den Gottesdienst in der katholischen Gemeinde »Unserer lieben Frau vom Rosenkranz«.

Eine neue Kirche mitten in der Wüstenstadt

69 Nationen sind in der Gemeinde vertreten, die Messe wird in sieben Sprachen gelesen, doch Englisch ist die Hauptsprache. Bisher versammelten sich die Katholiken auf einem Gelände in der Einflugschneise des internationalen Flughafens von Katar. Eine Lagerhalle diente als Kirche, Bibelstunden und Beratungsgespräche fanden in Containern statt. Nun endlich konnte eine eigene Kirche eingeweiht werden, was für Selim Asmar ein Zeichen wachsender Integration der 150 000 Christen im muslimischen Katar ist. In Libanon gebe es alle zwei Straßen eine Kirche, sagt er, in Katar sei das ganz neu. »Der Emir ist weltoffen, und seit fünf Jahren boomt Katar«, mein Selim Asmar. »Die Regierung verfolgt eine zum Westen hin offene Strategie, und es kommen immer mehr Europäer hierher.« So wie Muslime im Westen Moscheen bauen dürften, sollten Christen in den arabischen Staaten ihre Kirchen bauen dürfen, meint er. Das könnte auch die Sicht des Westens auf die arabische Welt verändern. Obwohl die Kataris als Salafisten gelten – das ist eine Richtung des dogmatisch-konservativen Wahabitentums, das im benachbarten Saudi-Arabien praktiziert wird – ist Religionsfreiheit in Katar verfassungsrechtlich verankert. Dennoch gab es vor der Kircheneinweihung Stimmen konservativer Muslime, die den Bau einer Kirche als Beleidigung des Islams bezeichneten. Selim Asmar kann die Kritik dieser Leute verstehen, sagt er, doch er teilt sie nicht: »Sie haben Angst vor den Veränderungen in Katar.«

Das neue Kirchengebäude liegt außerhalb Dohas, wo mitten in der Wüste eine völlig neue Stadt gebaut wird. Barwan City, benannt nach dem verantwortlichen Baukonsortium, soll den vielen gering verdienenden Gastarbeitern in Katar, von denen manche umgerechnet nicht mehr als 200 Euro im Monat erhalten, billigen Wohnraum zur Verfügung stellen. Eine Busverbindung ist geplant, Gesundheitseinrichtungen, Einkaufszentren und Schulen. Direkt neben Barwan City steht die neue katholische Kirche auf einem Gelände, wo weitere Kirchen für syrisch- und griechisch-orthodoxe Christen, für Anglikaner und für Kopten gebaut werden sollen. Wenige Tage vor der Einweihung sind noch immer Heerscharen ausländischer Arbeiter damit beschäftigt, den großen Hof der Kirche zu pflastern.

Die meisten Arbeiter kommen – wie auch in anderen arabischen Staaten – aus asiatischen Ländern wie Pakistan, Indien, Sri Lanka oder Nepal und werden trotz der schweren Arbeit, die sie machen, schlecht entlohnt. Die Arbeit wird durch international operierende Firmen vermittelt, die die Männer – oder auch Frauen, die als Haushaltshilfen arbeiten – in den Heimatorten unter Vertrag nehmen und später oft wie Sklaven behandeln. Man nimmt ihnen die Pässe ab, sie leben in Sammelunterkünften, außereheliche Beziehungen sind nicht erlaubt. Familiennachzug wird nur gestattet, wenn der in Katar arbeitende Familienteil genug Geld verdient, um seine Familie zu ernähren. Die staatliche Gesundheitsversorgung ist frei, erreicht aber nicht den Stand der privaten Kliniken. Die Schulen für Gastarbeiterkinder unterstehen nicht den Landesbehörden, folgen dem Lehrplan des Landes, aus dem die Kinder stammen.

Perlentaucher und Demokratiehoffnungen

Ibrahim, ein Taxifahrer, der seit fast 30 Jahren in Katar arbeitet, ist nicht gut auf die Kataris zu sprechen, die sich für viele Arbeiten zu schade seien. »Vor wenigen Jahren haben die nicht mehr gemacht, als nach Perlen zu tauchen, Fisch zu essen und auf Kamelen zu reiten«, meint er. Mit dem neuen Emir sei das viel besser geworden, der habe die Vision, die Kataris zu bilden und auszubilden und das Land zu öffnen, doch von einer richtigen Demokratie sei Katar noch weit entfernt.

Ibrahim hofft, dass sich die konservativen religiösen Kräfte des Landes, die an dem Vorgehen des Emirs und vor allem auch seiner öffentlich sehr aktiven Frau, Scheichin Mozah, herumnörgeln, nicht durchsetzen können. »Dann wird das mit der Demokratie hier nie funktionieren«, sagt er. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Bevölkerungszahl in Katar verdoppelt, seitdem sei sein Job schwieriger geworden, erzählt Ibrahim. »Es gibt so viele Autos, wir schaffen es nur selten, pünktlich zu sein.« Besonders in den Stoßzeiten am Morgen, Mittag und Abend verstopften endlose Autoschlangen die Straßen der Stadt. Doch Ibrahim kennt eine Menge Schleichwege. Besonders gern nimmt er eine breite, von Blumenbeeten und Palmen gesäumte Straße, die selbst im Stoßverkehr immer gut zu befahren ist, weil die Polizei jeden Stau umgehend auflöst. Es sei die »Straße des Emirs«, erklärt Ibrahim schmunzelnd. »Sie führt von seinem Palast direkt zum Diwan, dem Sitz der Regierung. Hier kommen wir immer schnell durch, lang lebe der Emir!«

* Aus: Neues Deutschland, 10. April 2008


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