Stadt der Bildung in der Wüste von Katar
Eine Ölquelle finanziert eine ehrgeizige Stiftung des Golfemirates
Von Karin Leukefeld *
Am westlichen Stadtrand von Doha, der Hauptstadt des Golfemirates Katar, war noch vor wenigen
Jahren Wüste. Heute liegt dort die »Education City«, die »Stadt der Bildung«.
Unter dem Dach der Katar-Stiftung ist auf zehn Quadratkilometern in nur zehn Jahren ein Campus
entstanden, auf dem sich alles um Bildung und Forschung dreht. Seine Existenz verdankt das
Ganze der »Quelle des Wissens«, eine Ölquelle, die täglich 6000 Barrel liefert und deren
Einnahmen ausschließlich für die Stiftung und ihre Projekte bestimmt sind.
Seit 1995 leitet die Ehefrau des Emirs von Katar, Scheichin Mozah Bint Nasser al Missned, die
Stiftung. Als UNESCO-Sonderbotschafterin gilt ihr besonderes Engagement der Bildung der
arabischen Jugend.
Scheichin Mozah vertritt provokante Thesen. Die arabische Welt, meint sie, genüge nicht »dem
internationalen Standard«, moderne Technologie sei nutzlos, solange sie nicht in eine Kultur von
Forschung, Erneuerung und sozialer Sicherheit eingebettet sei. Die Wirtschaft, das Bildungssystem,
das gesamte Denken würden von autoritären Systemen beherrscht, die den Status quo erhalten
wollten, so ihr kritisches Fazit. Nicht zuletzt durch die UN-Entwicklungsberichte der vergangenen
Jahre seien die Mängel im Bildungsbereich der arabischen Welt ausreichend diagnostiziert worden.
Nun müssten realistische Lösungen gefunden werden. Die Lösung sieht Scheichin Mozah in einer
konsequenten Förderung von Bildung und Wissenschaft, in einer Renaissance arabischen Denkens.
Noch gibt es enorme Bildungsdefizite
Allerdings gibt es ein großes Problem: Es fehlen arabische Akademiker. Die leben und forschen
lieber im Ausland, wo sie sich frei und anerkannt fühlen. Um die enormen Bildungsdefizite in der
arabischen Welt in Zukunft wieder aus eigener Kraft zu beheben, sucht die Katar-Stiftung eine
partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den im Ausland lebenden arabischen Wissenschaftlern.
Ende April trafen sich in Doha 150 von ihnen zu einer Konferenz. Die Vorarbeit dazu leistete ein
Team um den algerischen Historiker Abduljalil Lahmanate. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden, eine
Datenbank und ein Arbeitsprogramm bilden eine Grundlage.
»Der Bedarf an Wissenschaft und Forschung ist riesig von Marokko bis Jemen«, erklärt er. Man
müsse sich zusammenschließen. Katar sei ein kleines Land, doch wie Luxemburg, Singapur oder
Taiwan könnte es eine wichtige Rolle spielen. »Nach drei oder vier Jahrzehnten wird es keine
Grenzen mehr geben, alle Länder müssen sich öffnen«, gibt sich Dr. Abduljalil überzeugt. »Katar ist
sehr reich, und mit einer gut ausgebildeten Bevölkerung wird es noch reicher sein.« Dann könnte es
eine positive Rolle hinsichtlich Frieden und Kooperation spielen.
Noch ist das Zukunftsmusik, Katar ist fast ausschließlich auf die Unterstützung ausländischer
Akademiker und Fachleute, meist aus dem Westen, angewiesen. Einer von ihnen ist der USAmerikaner
Patrick Ludwick, der für die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung zuständig ist. Fünf USEliteuniversitäten
hätten sich auf dem Campus niedergelassen, teilt er bei einer Rundfahrt mit und
zählt auf: die Virgina Commonwealth Universität für Kunst, die Georgetown Universität für Politik-
und Rechtswissenschaften, Carnegie Mellon, Texas A & M und die Weill Cornell Universität für
Medizin. Der Unterricht ist nicht billig, gibt er zu, bis zu 10 000 Euro jährlich betragen die
Studiengebühren. Weniger Bemittelte können sich um ein Stipendium bewerben. Für das Jahr 2010
erwartet man 20 000 Studierende in der »Stadt der Bildung«.
Eine besondere Schule in ihr ist die Katar-Akademie, an der rund 2000 Schülerinnen und Schüler
aus 40 Ländern vom Kindergarten bis zur 12. Klasse unterrichtet werden. Die Abschlüsse
entsprechen dem internationalen Bakkalaureat, vergleichbar mit dem bundesdeutschen Abitur.
Eine Gruppe Schüler ist gerade auf dem Weg zum Unterricht. Mit knielangen Hosen, weißen
Söckchen, den Ranzen auf den Rücken geschnallt, steht der Lockenkopf Jacob Singleton im Kreis
seiner Klassenkameraden. Die Jungen kommen aus Australien, den USA und Kanada, ihre Väter
gehören zu den ausländischen Fachkräften im Land und arbeiten bei Exxon Mobil, bei QAPCO, der
Ölgesellschaft Katars, oder in einer Universität.
In einigem Abstand folgt eine Gruppe Kataris. Yasmin und Ayse gehen in die 8. Klasse, Ayse
möchte einmal Erzieherin werden, sagt sie. Ein kräftiger 12-Jähriger weiß zwar nicht viel über seine
Zukunftswünsche zu sagen, doch umso stolzer gibt er seinen wohlklingenden Namen zum Besten.
»Ich heiße Banda Bin Sabah Bin Abbas«, verkündet er unter dem Gekicher der umstehenden
Schüler und Schülerinnen. Plötzlich sind aus einem Nebengang energische Schritte zu hören, kurz
darauf ruft eine strenge Frauenstimme: »Was steht ihr noch herum, der Unterricht beginnt gleich!«
Wie aufgescheuchte Hühner stieben die Schüler in Richtung Klassenraum.
Clive Rymer leitet die Abteilung für Kunst, Design und Schauspiel an der Katar-Akademie. Seit vier
Jahren unterrichtet die Britin in Katar, ebenso ihr Mann. Das Gehalt sei gut und steuerfrei, die
Lebensbedingungen seien sehr angenehm. Viele der Schüler und Schülerinnen hätten einen
binationalen Hintergrund, erzählt sie. Der Vater sei Araber, die Mutter aus dem Westen. Auch aus
Libanon, Palästina, Ägypten kommen Schüler, die meisten aber sind Kataris. Die Lehrbedingungen
sind in Ordnung, meint die Lehrerin, die Lernbereitschaft aber könnte besser sein. Manche der
Mädchen seien desinteressiert, weil die arabische Tradition sie ohnehin an die Familie binde, egal
wie hart sie arbeiten. Die Jungen dagegen »sehen nicht ein, warum sie sich anstrengen sollen. Ihre
Familien sind reich, ihre finanzielle Zukunft ist sowieso sicher.«
Für den 17-jährigen Palästinenser Abdallah Termin ist das anders. Er stammt aus Ramallah,
aufgewachsen ist er in den USA. Sein Lieblingsfach ist Geschichte, unter dem Arm hält er einen
Stapel Bücher. Auf dem Obersten prangt ein Bild von Che Guevara, über den er »alles« weiß, wie er
sagt. »Ich mag ihn sehr,« Sein Alltag ist völlig auf das Lernen ausgerichtet: früh aufstehen,
Unterricht mit kurzen Pausen. Zu Hause ruht er mittags eine Stunde aus, spielt Basketball oder
schaut Fernsehen. Dann drei Stunden Büffeln, eine Stunde Pause und noch einmal eine Stunde
Lernen.
Brücke zwischen den Arabern und Europa
Während für die einen eine gute Ausbildung die Chance ist, einmal ein besseres Leben zu haben als
die Eltern, herrscht unter den Kataris, die ökonomisch mehr als gut abgesichert sind, eher
Gleichgültigkeit. Durch ihr eigenes Beispiel versuchen Scheichin Mozah und ihre Familie, die
bequeme, ans Arbeiten nicht gewöhnte katarische Gesellschaft herauszufordern. Bei jeder
Gelegenheit propagieren sie, wie wichtig eine gute Ausbildung sei und allein im Konsum nicht die
Zukunft liege. Dabei setzt sie auf die Jugend und hofft, dass junge Leute zum Vorbild für die
nächsten Generationen werden.
Jungen arabischen Akademikern wird Förderung angeboten, damit sie eines Tages das
ausländische Lehrpersonal ersetzen können. Doch das wird Generationen dauern, sagt Dr.
Abduljalil. »Heute planen wir nicht für zwei, drei oder vier Jahre, wir planen für Jahrzehnte.« Die
neue Generation müsse die Beziehungen zwischen Westen und Osten aufbauen. Die »Stadt der
Bildung« sei »eine Insel, auf der die Kulturen miteinander verknüpft werden und ein Dialog
entsteht«. Das entspreche der islamischen Zivilisation, die sich im Mittelalter anderen Zivilisationen
geöffnet habe und so »als Brücke zwischen der arabischen, der muslimischen Welt und Europa
diente«.
Eine neue Generation nutzt bereits die Chance. Der 26-jährige Yussif Fahro studierte in Houston
(Texas) Wirtschaftswissenschaften und Management. Neben Arabisch spricht er fließend Englisch
und Spanisch. Vor einem Jahr kehrte er nach Katar zurück und arbeitet nun in der Stiftung. Er hat
keine Angst davor, dass die westlichen Eliteuniversitäten und Lehrer die arabische Jugend in einer
falschen Richtung beeinflussen könnten. Wichtig sei doch, »wie man zu Hause erzogen wird, Moral
und Werte werden von den Eltern vermittelt.« Es gebe die Chance, das Positive aus der westlichen
Welt mit dem Positiven ihrer arabischen Heimat zu verknüpfen. Für Yussif Fahro ist gute Bildung der
beste Weg zur Völkerverständigung. Es sei viel besser, sich zusammenzusetzen und über
wissenschaftliche Fragen zu diskutieren, »als einen neuen Krieg zwischen den Kontinenten
anzufangen«.
Die gemeinsame Sprache der Zukunft seien »nicht Englisch, Arabisch oder Spanisch, nein, diese
Sprache ist Bildung, Aufklärung«, sagt er voller Überzeugung. Die Menschen müssten die Welt
besser verstehen und das beste Wissen an ihre Kinder weitergeben. »Damit nächste Generationen
aufbrechen, um eine bessere Welt für uns alle zu schaffen.«
* Aus: Neues Deutschland, 3. Juli 2006
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