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Berlin mit Katar in herzlichem Einvernehmen

Emir Tamim Bin Hamad: Wir haben die Terrormiliz IS nie unterstützt *

Der Emir von Katar hat Vorwürfe zurückgewiesen, sein Land unterstütze die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) finanziell. »Katar hat nie terroristische Organisationen unterstützt« und werde es niemals tun, sagte Scheich Tamim Bin Hamad al-Thani am Mittwoch nach einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Die CDU-Chefin sagte zu der Äußerung, sie habe »keinen Grund, den Aussagen des Emirs nicht zu glauben«. Sie hob hervor, dass Katar sich der internationalen Koalition gegen den IS angeschlossen habe. In der Vergangenheit hatte es immer wieder Berichte gegeben, der IS werde mit Geld aus dem ölreichen Golfemirat Katar finanziert.

Politiker der Opposition und auch der Regierungsparteien hatten von Merkel verlangt, das Verhältnis von Katar zur Terrormiliz zu klären. Bundespräsident Joachim Gauck und Merkel müssten das in ihren Gesprächen mit dem Emir thematisieren. Ebenso gehe es darum, die brutalen Ausbeutungspraktiken gegenüber ausländischen Arbeitern, vornehmlich aus Indien, Nepal und Pakistan, anzusprechen. Diesbezüglich, so verlautete nach dem Gespräch der Kanzlerin mit Scheich Tamim Bin Hamad, habe dieser Versäumnisse eingeräumt. »Wir«, so der Emir, »sagen nicht: Wir sind der ideale Staat, der keine Fehler macht.«

Kritik gibt es auch den deutschen Rüstungsexporten nach Katar. Merkel entgegnete darauf, diese müssten jeweils im Einzelfall abgewogen werden. Es gebe für die Regierung bei Rüstungsausfuhren klare Richtlinien und Grundsätze wie Sicherheitsinteressen und die Frage eines möglichen Missbrauchs von Waffen. »Danach wägen wir ab.« Katar kauft in Deutschland seit längerem Rüstungsgüter, darunter den Kampfpanzer Leopard 2.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. September 2014


Katar winkt Berlin mit Milliardenaufträgen

Beim Besuch von Emir Tamim wurden die angekündigten kritischen Nachfragen wohl Beute der Petrodollars

Von Roland Etzel **


Der Emir von Katar war am Mittwoch in Berlin zu Besuch. Im Gepäck hatte er einige Erklärungen zum Krieg in seiner Region und vor allem Milliardenversprechungen an Investitionen in Deutschland.

Wenn ein Monarch vom Persischen Golf zum Staatsbesuch in Berlin erscheint, sind die Erwartungen hoch, ganz besonders bei den deutschen Wirtschaftsverbänden, und am höchsten, wenn es sich um den Repräsentanten Katars handelt. Das Emirat an der Ostküste Saudi-Arabiens besitzt als Staat auf Grund seiner gewaltigen Erdgas- und -öleinkünfte das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Region und und ist ständig auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten für seine Petrodollars.

Der 34-jährige Emir Scheich Tamim bin Hamad al-Thani ist erst seit Juni 2013 auf dem Thron, gilt aber zur großen Erleichterung kapitalhungriger Wirtschaftskapitäne in aller Welt als ähnlich freigiebig wie sein abgedankter Vater – solange es sich nicht um die Löhne für Hunderttausende, unter sklavenähnlichen Bedingungen schuftende Ausländer in seinem Land handelt. Die Ankündigungen aus Doha, der Hauptstadt der erst seit 1971 unabhängigen absoluten Monarchie, versprachen in dieser Hinsicht eine Menge.

»Wir erwarten in der nächsten Zukunft, dass die Investitionssumme Katars in der deutschen Wirtschaft weiter wachsen wird«, sagte Handelsminister Scheich Ahmed bin Jassim bin Mohamed al-Thani denn auch am Mittwoch laut dpa bei einem Wirtschaftsforum in Berlin. Umgekehrt gebe es für deutsche Firmen in Katar große Investitionschancen. Der Handel zwischen beiden Ländern habe 2013 im Vergleich zum Vorjahr um fast 13 Prozent auf rund zwei Milliarden Euro zugelegt. Die deutschen Exporte nach Katar hätten rund 1,3 Milliarden Euro betragen. Er gehe davon aus, dass es weitere Zuwächse geben werde. Interessante Märkte in Katar seien Eisenbahn, Bau, Kommunikation, Medizintechnik, Energie oder Gesundheitstechnologie. Bei Verbrauchsgütern aller Art, besonders denen der Luxusklasse, sowieso.

Kritik an der nach Katar vergebenen Fußballweltmeisterschaft 2022 und die skandalös hohe Todesrate auf den WM-Baustellen werden da von den Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft als sehr störend empfunden. Das Emirat wirbt gegenwärtig für Großprojekte zu Hause, zum Beispiel dem Bau einer Eisenbahn auf der Halbinsel. Es existiert bereits ein Joint Venture zwischen der Deutschen Bahn und dem katarischen Staatsunternehmen Qatar Railways für ein kombiniertes Bahn/Metro-System. Das Projekt bietet mit seinen luxuriösen Begleitbauten noch für viele andere Unternehmen die Chance auf goldenen Nasen.

Löste die Eintragung des Emirs ins Gästebuch bei Bundespräsident Joachim Gauck im Berliner Schloss Bellevue – Foto rechts – schon Vorfreude aus, so wird es künftig wahre Jubelstürme geben. Die Emire – das hohe Haus der Thanis stellt neben Staats- sowie Regierungschef fast alle Minister – haben durchblicken lassen, bei einigen deutschen Renommierunternehmen wie Deutsche Bank, Hochtief oder Siemens Milliarden parken zu wollen. Scheich Ahmed bin Jassim, der auch Wirtschaftsminister ist, sprach in diesem Zusammenhang von einer »guten, starken Freundschaft« mit Deutschland.

Eigentlich gäbe es da noch ein paar Fragen der Politik zu klären. Genauer gesagt, sind es Vorwürfe an Katar, einer der Hauptsponsoren für die Bürgerkriegsmilizen in Irak und Syrien zu sein, deren brutales Vorgehen derzeit weltweit Entsetzen hervorruft. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen bezeichnete es daher als »unerträglich, dass Berlin dem blutigen Diktator Katars den roten Teppich ausrollt«. Ihre Grünenkollegin Kerstin Andreae forderte die Bundesregierung auf, Menschenrechtsverletzungen auf WM-Baustellen in Katar anzusprechen.

Kritische Anmerkungen gab es sogar aus den Regierungsparteien. Der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner sagte dem »Handelsblatt«: »Länder, die finanziell oder politisch den Terrorismus des IS unterstützen, dürfen weder deutsche Waffenlieferungen bekommen, noch sollte es mit solchen Staaten privilegierte Wirtschaftsbeziehungen geben.« Und selbst der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU, Philipp Mißfelder, verlangte von Katar Aufklärung über dessen Verhältnis zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Katar habe sogar eine »Bringschuld«, etwas zu dem Verdacht zu sagen, dass Teile seiner Elite mit dem IS sympathisierten. Es seit deshalb gut, dass das Treffen des Emirs am Mittwoch mit Kanzlerin Angela Merkel nicht abgesagt wurde.

Das klingt, als sei dies jemals ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Die Worte Merkels gegenüber dem Emir lassen jedenfalls auf keinerlei öffentliche Missbilligung – und allein diese ist politisch relevant – schließen. Im Gegenteil. Zwar fand die Kanzlerin mahnende Worte zugunsten der ausländische Arbeiter in Katar und sagte, Deutschland wünsche sich, dass ein reiches Land wie Katar bessere Arbeitsbedingungen biete. In puncto IS erwies sich Merkel aber als sehr beratungsresistent: Der Emir von Katar habe »glaubwürdig versichert«, dass der Kampf gegen die Extremisten auch im Interesse Katars sei. Sie sehe ihn sogar als Verbündeten im Kampf gegen die Dschihadisten an. Sollte sie das so gesagt haben, dürfte selbst der Emir erstaunt gewesen sein.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. September 2014


Geld, Macht, Kriege

Katar-Herrscher zu Besuch

Von Klaus Fischer ***


Der Emir besucht einen seiner Investmentstandorte. Keinen allzu wichtigen aus seiner Sicht. Aber einen, wo Geld strategisch placiert wurde und Langzeitwirkung entfalten soll: Tamim Bin Hamad Al Thani, von Allah zum Alleinherrscher eines Salzfleckens namens Katar bestimmt, sucht Deutschland heim. Da läuft es nicht, wie gewünscht. Katar sei »erkennbar befremdet«, daß es hierzulande falsch wahrgenommen werde, zitierte das Handelsblatt einen Lobbyisten. Was ist da schiefgelaufen?

Einiges. Das Gas- und Ölimperium der Al Thanis hatte sich bei den Kumpanen im Geiste die FIFA-Fußballweltmeisterschaft 2022 gekauft. Dieser Anfall von Größenwahn empörte nicht nur die versprengte antiimperialistische Linke Westeuropas. Er traf unbeabsichtigt ins Herz der mitteleuropäischen Konsum- und Spaßgesellschaft. Von Politik keine Ahnung, wenig Interesse an Wirtschaftszusammenhängen und null Bock auf gesellschaftliche Veränderungen spürt diese, nicht immer schweigende Mehrheit durchaus, wenn etwas nicht stimmt: Fußball in einer der heißesten Gegenden der Welt, die spinnen wohl.

Den Medien blieb keine Wahl, sie nahmen sich des Themas an – und heraus kam Unappetitliches: »Gastarbeiter«, die wie Sklaven schuften mußten, um Fußball-Monumentalbauten aus der knochentrockenen Erde Katars zu stampfen, Bestechungsgelder, die an FIFA-Bonzen geflossen sind. Selbst eine Ikone des deutschen Fußballs wurde bei Einreise aus dem Emirat mit Luxus­uhren im Gepäck erwischt, die der Betreffende am Zoll vorbei­schmuggeln wollte. Solcherart Nachrichten werden von einem Großteil der Bevölkerung konsumiert – Sympathiewerbung geht anders.

Ach ja, da sind noch die für Fußballkonsumenten weniger wichtigen Dinge: Katars Prinzengarde mit Milliarden-Dollar-Scheckheften steht als Strippenzieher bei der Rekrutierung und Ausrüstung islamistisch getarnter Mörderbanden am Pranger, Söldner, die Nachbarstaaten wie Syrien oder den Irak destabilisieren und in Nordafrika failed States produzieren.

Das muß nicht automatisch ein schlechtes Verhältnis zu den Herrschenden in Deutschland bedeuten. Wenn Terroristenfinanziers auf Maidan-Faschistenversteher treffen, gibt es kaum grundlegende Meinungsverschiedenheiten. Einigendes Band ist das Machtstreben, der unbedingte Vorsatz, anderen ihren Willen aufzuzwingen – und dies dient letztlich dem Zweck, satte Profite für die Eliten zu sichern – bis in alle Ewigkeit. Der Emir hat ein gutes Verhältnis zu seinen Kompagnons bei VW – dem Porsche-Piëch-Clan. Auch ist die Sippe größter Einzelaktionär der Deutschen Bank. Und mit Kanzlerin Merkel kommt ohnehin jeder gut aus, der wie Deutschlands Regierende fest an der Leine Washingtons hängt. Nur scheint es gerade hierbei Aufklärungsbedarf zu geben. Katar beherbergt zwar das US-Oberkommando für den Nahen Osten. Aber besonders gehorsam waren die Scheichs zuletzt nicht. Da wird Frau Merkel womöglich einen Ordnungsruf ausstoßen, einen dezenten.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag 18. September 2014 (Kommentar)


Hohe Kunst der Schizophrenie

Roland Etzel zum Besuch des Emirs von Katar in Deutschland ****

Vielleicht bemerken sie es gar nicht mehr, unsere höchsten Vertreter, wie selbstverständlich und locker sie uns ihre Schizophrenie offerieren. Und sie können sich immer noch steigern. So gab es beim Besuch des katarischen Emirs in Berlin gewissermaßen eine Lehrvorführung in der Disziplin Bewusstseinsspaltung. Gerade war man zurückgekehrt aus Frankreich, wo mit entschlossener Geste erklärt wurde, der Terrortruppe »Islamischer Staat« jetzt mit geballter Kraft die Stirn zu bieten. Nur zwei Tage später flocht man nun mit jenen Golfpotentaten Freundschaftsbande, die nicht wenig, wenn nicht sogar hauptsächlich für den dschihadistischen Aufwuchs in Irak und Syrien verantwortlich sind.

Aber gewiss, wir sind da in guter schlechter Gesellschaft, gab es doch schon auf der Pariser Anti-IS-Konferenz am Montag nicht einen einzigen Repräsentanten aus dem Westen, der den anwesenden Kataris – oder auch Saudis – gesagt hätte, dass dies eigentlich als ein Gremium der Gärtner und nicht der Böcke einberufen worden sei. .

Man darf vermuten, dass trotz harschen Protests der Opposition – selbst die SPD wartete mit einigen Bedenkenträgern auf – Emir Tamim bin Hamad mit Blick auf dessen mit Petrodollars prall gefüllte Taschen nicht einmal die leichte Kavallerie angedroht wurde. Berichtet wurde vielmehr von katarischen Milliardeninvestitionen in der deutschen Wirtschaft. Aber vielleicht gehört das ja zur in Paris verabredeten Austrocknung der Terrorquellen.

**** Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. September 2014 (Kommentar)

2010 war der Vorgänger des jetzigen Scheichs auch schon auf Staatsbesuch in Berlin. Hier ein Bericht:

Ein Emir in Berlin
Staatsoberhaupt von Katar wirbt für enge Wirtschaftsbeziehungen (1. Oktober 2010)




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