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Granatbeschuss auf Kaschmir

Feuergefechte und Propagandaschlacht zwischen Indien und Pakistan. Bisher mindestens zehn Tote zu beklagen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Seit über einer Woche kommt es an einem 200 Kilometer langen Abschnitt der indo-pakistanischen Grenze im Kaschmirgebiet zu Granatbeschuss. Vor den Feuergefechten sind inzwischen rund 10.000 Zivilisten, die meisten von ihnen Bauern, ins indische Hinterland geflohen.

Auf der pakistanischen Seite ist die Situation ähnlich. Die militärischen Kräfte beider Länder schenken sich nichts. Mindestens zehn Tote, darunter Kinder, sind bisher zu beklagen. Es gibt Berichte, dass Scharfschützen Position bezogen haben. Obwohl ein Mechanismus zwischen den Kommandeuren der Grenztruppen zur Minimierung von Spannungen existiert, haben diese seit dem 1. Januar keine Kontakte aufgenommen. Islamabad und Neu-Delhi beschuldigen sich gegenseitig, der Aggressor zu sein, »unprovoziert« die Gefechte vom Zaun gebrochen zu haben und »exzessiv« zu handeln. Keine Seite ist bereit, einen Schritt zurückzutreten.

Begleitet wird diese Konfrontation von einer Propagandaschlacht. »Wir haben unter Premier Modi eine neue Regierung, die sich nicht auf der Nase herum tanzen lässt. Sie redet Tacheles mit euch«, tönt die hindunationalistische Indische Volkspartei (BJP). Ihr Sprecher drohte im Fernsehen in höchster Rage: »Wir werden Pakistan eine Lektion erteilen.« Das Außenministerium in Islamabad wirft den Indern hingegen vor, durch »unprovozierte Gefechte und Schüsse auf Zivilisten die Spannungen zu eskalieren«.

In dieser Situation war das Auftauchen eines »Terrorbootes« vor der indischen Westküste in der Silvesternacht Öl ins Feuer. Es war von der indischen Küstenwache aufgebracht worden und danach in Flammen aufgegangen. Sofort kursierten Vermutungen, es habe sich ein Terrorkommando gehandelt, das versuchte, im Bundesstaat Gujarat zu landen. Es sei im pakistanischen Hafen Keti Bundar in der Nähe von Karatschi in See gestochen und elektronisch von indischer Seite aus verfolgt worden. Bewiesen wurde bis heute nichts davon. Doch der indische Verteidigungsminister sprach von einem vermutlichen pakistanischen Anschlag. Die Bootsbesatzung habe mit Armeestellen in Karatschi in Verbindung gestanden. Sie habe nicht auf indische Stopp-Signale reagiert, sondern zu flüchten versucht und Harakiri begangen, indem sie das Boot in Brand setzte und alle Beweise vernichtete. Der Minister verwarf den pakistanischen Hinweis, es hätten Schmuggler sein können.

Die indische Besorgnis ist verständlich. Zum einen lässt sich die 7.600 Kilometer lange Küste nur schwer überwachen. Zum anderen soll sich unter keinen Umständen ein Massaker wie das vom 26. November 2008 in Mumbai wiederholen. Es war von per Boot aus Pakistan kommenden Terroristen verübt worden. Ihm fielen 166 Menschen zum Opfer und 304 wurden verletzt. So etwas darf nicht noch einmal geschehen, unterstrich Innenminister Rajnath Singh in einer Stellungnahme. Deshalb läuteten im Verteidigungsministerium in Neu-Delhi sofort alle Alarmglocken, als die Nachricht von der Küstenwache und Geheimdienststellen eintraf, ein Schiff halte Kurs auf die gujaratische Küste.

Pakistan hat alle Verdächtigungen über eine Verwicklung in diesen Zwischenfall zurückgewiesen. Außenamtssprecher Tasnim Aslam versicherte, kein Boot sei in jener Nacht von Karatschi aus in See gestochen. Es handele sich um ein indisches Propagandamanöver, um die Aufmerksamkeit von den Feuergefechten an der indo-pakistanischen Grenze abzulenken.

Indien konterte, mit dem anhaltenden Granatbeschuss würden die pakistanischen Grenzer Feuerschutz für Gruppen geben, die auf die indische Seite Kaschmirs vordringen und dort Anschläge verüben wollen. Islamabad wolle das gegenwärtige politische Vakuum im Bundesstaat Jammu und Kaschmir für Störmanöver ausnutzen. Nach Wahlen zur Volksvertretung, bei denen die regionale Volksdemokratische Partei mit 28 Mandaten und die BJP mit 25 Mandaten am besten abschnitten, gestalten sich die Verhandlungen um eine Regierungsbildung sehr schwierig. Diese Situation, so Neu-Delhi, ermutige Islamabad zur Einmischung.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 8. Januar 2015


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