Krisentreffen mit Hurriyat
Indischer Premier verhandelte mit Separatisten von Kaschmir
Von Hilmar König, Delhi*
Vorm Hintergrund verstärkter Aktivitäten militanter Gruppen im indischen Teil Kaschmirs fand am
Mittwoch [3. Mai 2006] ein Treffen zwischen Premier Manmohan Singh und Vertretern der separatistischen
Hurriyat-Konferenz statt.
Wenige Stunden vor dem Meeting in Delhi wurden bei einem Feuergefecht in dem kaschmirischen,
nordwestlich von Srinagar gelegenen Dorf Kangan drei Soldaten und drei Rebellen getötet. Zu
Wochenbeginn hatten islamische Extremisten im Distrikt Doda bei zwei Überfällen 22 hinduistische
Dorfbewohner und 13 Hirten umgebracht. Indien macht dafür die in Pakistan verbotene, im
Untergrund agierende Organisation Lashkar-e-Toiba verantwortlich.
Wegen des ungewöhnlich frühen Sommerbeginns wurden die Pfade im Himalaja über die
Grenzkontrolllinie zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil Kaschmirs bereits
passierbar. Das trug spürbar zum verstärkten Einsickern von Rebellen aus Pakistan ins indische
Gebiet bei.
Bevölkerung und politische Parteien reagierten auf die jüngsten Anschläge mit Empörung und
landesweitem Protest. Doch die Regierung ließ die Gesprächsrunde mit der Hurriyat nicht platzen.
Eben auf deren Scheitern zielten die beiden Massaker. M. K. Nara-yanan, der nationale
Sicherheitsberater, erklärte: »Das waren Versuche, die Gespräche zu verhindern. Aber wir lassen
uns davon nicht in die Enge treiben.«
Premier Singh empfing zum zweiten Mal in seiner Amtszeit Führer der All Party Hurriyat Conference,
eines Konglomerats aus zwei Dutzend politischen Parteien und radikalen Gruppen, die allerdings
nicht geschlossen auftreten. Einige wollen einen Anschluss an Pakistan, andere Unabhängigkeit
oder weitgehende Autonomie für beide Teile Kaschmirs.
Beim ersten Meeting im September 2005 hatte der Regierungschef Versprechungen gemacht, die
massive Militärpräsenz von etwa 500 000 Mann im Gebiet Jammu und Kaschmir auszudünnen und
damit auch Vorwürfe des Hurriyat-Hardliners Syed Shah Geelani zu entkräften. Der meint, der
gesamte Friedensprozess zwischen Indien und Pakistan habe keine Chance, »wenn indische
Sicherheitskräfte weiterhin Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir verüben«. Der
Premier konterte nach dem Blutbad von Doda: »Ich kann die indische Öffentlichkeit nicht hinter mich
bringen, wenn tagtäglich indische Bürger getötet werden. Pakistan hat erklärt, es habe den
terroristischen Elementen straffe Zügel angelegt. Wir werden das prüfen.« Der Friedensdialog könne
nur an Fahrt gewinnen, wenn die von Islamabad als Freiheitskämpfer bezeichneten Terroristen unter
Kontrolle gebracht werden.
Die Hurriyat vertritt die Ansicht, Manmohan Singh habe seine Versprechen vom September 2005
nicht eingelöst. Nach der Doda-Tragödie ließ er sogar noch mehr Militär aufmarschieren. Fehlendes
Engagement der Regierung führten die Separatisten auch als Grund an, den ersten Runden Tisch in
Delhi zu Kaschmir im Februar dieses Jahres zu boykottieren. Dessen Beratungen waren deshalb
auch ziemlich wertlos.
Nun kommen die Hurriyat-Füher mit einer neuen Strategie in die indische Hauptstadt. Wie Mirwaiz
Umar Faruk, ihr moderater Sprecher, äußerte, wolle man diesmal keine Forderungen stellen,
sondern klipp und klar zum Kern des Kaschmirkonflikts sprechen und die eigenen Vorstellungen
vortragen. Delhi müsse auf die Vorschläge Pakistans eingehen und sich bedeutend flexibler und
kompromissbereiter zeigen. Bei ihren drei Besuchen in sieben Monaten in Islamabad und
Gesprächen mit Präsident General Pervez Musharraf habe die Hurriyat den Eindruck gewonnen,
dass Pakistan ernsthaft nach einer Lösung des Kaschmirkonflikts sucht. Die indische Regierung
solle ihre Ansichten zur Regelung des Problems endlich auf den Tisch legen. Kaschmir dürfe nicht
länger als Zankapfel behandelt, sondern sollte als ein Mittel zur Kooperation zwischen Indien und
Pakistan verstanden werden. Und die Kaschmiren beider Teile müssten in den Friedensdialog
einbezogen werden.
Ob bei den Mittwoch-Gesprächen Fortschritte erzielt wurden, wird sich praktisch erst am 25. Mai
zeigen. Dann findet in Delhi – mit oder ohne Hurriyat – der zweite Runde Tisch zu Kaschmir statt.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2006
Zurück zur Kaschmir-Seite
Zur Indien-Seite
Zurück zur Homepage