Frieden für den "dritten Pol"
Pakistans Präsident Asif Ali Zardari zu Besuch in Indien
Von Hilmar König *
Pakistans Präsident Asif Ali Zardari weilte am Sonntag zu einem offiziell als privat angekündigten Kurzbesuch in Indien: eine Pilgerreise zum Schrein des verehrten Sufi-Heiligen Khwaja Moinuddin Chisthi in der radschastanischen Stadt Ajmer. Auf Einladung von Premier Manmohan Singh machte er aber zuvor Halt in Neu-Delhi. So bekam der »Privatbesuch« doch einen unverkennbar politischen Anstrich. Präsident Zardari zeigte sich anschließend »sehr zufrieden mit dem Ergebnis dieser Visite«. Er betonte: »Wir möchten bessere Beziehungen.«
Später machten Sprecher beider Seiten deutlich, was sie als die Haupthindernisse für eine Normalisierung des Verhältnisses ansehen: Indien verlangt vom Nachbarn eine schärfere Gangart gegen terroristische Aktivitäten. Pakistan will sichtbare Fortschritte bei der Bereinigung des seit 1947 schwelenden Kaschmir-Konflikts. Immerhin versicherte man sich gegenseitig, Schritt für Schritt die Hürden aus dem Weg räumen zu wollen.
Spektakuläre Resultate waren von der Visite zwar nicht erwartet worden. Aber nun wird sie doch als Mosaikstein zur Vertrauensbildung und Entspannung, zur Gesundung der Atmosphäre zwischen den beiden atomar bewaffneten Nachbarn bewertet. Nach sieben Jahren Pause betrat wieder ein pakistanischer Präsident den Boden Indiens. Singh und Zardari hatten sich zuletzt 2009 auf dem SCO-Gipfel (Shanghai Cooperation Organisation) im russischen Jekaterinburg getroffen. 2011 hatte der indische Premier zwei Begegnungen mit seinem pakistanischen Amtskollegen Jusuf Raza Gilani: beim SAARC-Gipfel (Südasiatische Assoziation für Regionalzusammenarbeit) auf den Malediven und beim Kricket-Weltcup im indischen Mohali. Zardaris Visite setzte nun diesen positiven Trend fort.
Pakistans Außenministerin Hina Rabbani Khar hatte schon vor dem Indien-Besuch vor dem Parlament in Islamabad geäußert, dieser sei »Teil der Betonung eines regionalen Dialogs und der Zusammenarbeit im Streben nach Frieden«.
Zum Meinungsaustausch über eins der ungelösten bilateralen Probleme – den Siachen-Gletscher – gab es einen unglücklichen aktuellen Anlaß. Am Samstag voriger Woche hatte dort eine gewaltige Lawine aus Schnee, Geröll, Schlamm und Steinen 124 pakistanische Soldaten und elf Zivilisten verschüttet. Die Rettungskräfte konnten bis Montag noch keins der Opfer bergen. Mit schwerem Räum- und modernstem Ortungsgerät sind sie am Fuße des Siachen-Gletschers im Norden der Kaschmir-Region im Einsatz. Die mehr als 1000 Meter breite und 25 Meter hohe Lawine begrub das Hauptquartier Gayari des 6. Bataillons der Nördlichen Leichtinfanterie unter sich. Es liegt dicht an der Grenze zu Indien. Am Sonntag hatte Armeechef General Ashfaq Kayani die Unglücksstätte besucht. Es bestehe »keine Hoffnung und überhaupt keine Chance«, noch Überlebende zu finden, schätzte Oberst Sher Khan, ein erfahrener Alpinist, die Lage vor Ort ein.
Der fast 6000 Meter hohe und 70 Kilometer lange Siachen-Gletscher gilt seit 1984 als das höchstgelegene Schlachtfeld, weil sich hier pakistanische und indische Kontrollposten gegenüberstehen und von Zeit zu Zeit bis zum Jahre 2003 Scharmützel lieferten. Wegen der extremen Wetterbedingungen mit Temperaturen bis minus 50 Grad spricht man von diesem unwirtlichen Gebiet auch als dem »dritten Pol« der Erde. Beide Seiten haben hier insgesamt zwischen 10000 und 20000 Mann stationiert. Ein in jeder Beziehung teures Unterfangen, denn Witterung und Höhenlage kosteten bereits über 2000 Soldaten das Leben. Indien zahlt jährlich etwa 300 Millionen und Pakistan 200 Millionen Dollar für den Unterhalt der Truppen. 2003 wurde eine Waffenruhe vereinbart.
Die Grenzlinie zwischen dem indischen und pakistanischen Kaschmir-Teil erfaßt diese Bergkette nicht. 1984 besetzte Indien die Höhenlagen des Gletschers und kam damit einer ähnlichen Absicht Pakistans zuvor. Seit der Waffenruhe sind Bemühungen im Gange, den Siachen zu entmilitarisieren und in einen »Friedenspark« umzuwandeln.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. April 2012
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