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Hoffnung im Kaschmir-Konflikt

Gesprächsinitiative der indischen Regierung

Von Ashok Rajpaut, Neu-Delhi *

Die im Oktober auf Initiative der indischen Regierung gebildete »Gesprächsgruppe« zu Kaschmir erlitt Mitte der Woche bei ihrem Besuch in der nordkaschmirischen Stadt Baramulla einen Rückschlag. Keiner der Kontaktpartner erschien zum angebotenen Dialog. Lediglich einige Vertreter von politischen Parteien kamen zum Meinungsaustausch. Offensichtlich waren die umworbenen Obstbauern, Händler, Transportunternehmer und Juristen dem Boykottaufruf von Syed Ali Geelani gefolgt, der den harten Kern der separatistischen Hurriyat Conference bildet. Er zeigt sich erst dann zu Gesprächen bereit, wenn seine fünf Forderungen erfüllt werden, darunter eine Entmilitarisierung des überwiegend muslimisch besiedelten Kaschmir-Tales und dessen Anerkennung als »international umstrittenes Gebiet«. Geelani hatte Anfang des Monats gemeinsam mit der Schriftstellerin Arundhati Roy mit der Bemerkung, Kaschmir sei niemals integraler Bestandteil Indiens gewesen, landesweit für Empörung und Protest in Hindukreisen gesorgt.

Die »Gesprächsgruppe« befindet sich auf ihrer zweiten Arbeitsrunde im Bundesstaat Jammu und Kaschmir und kam aus dessen nördlicher Ladakh-Region, die buddhistisch geprägt ist, ins muslimische Baramulla. Die drei Kaschmir-Experten, darunter eine Frau, bemühen sich um Kontakt zu allen an einem Dialog interessierten Gruppierungen. Auf diesem Weg sollen Bedingungen für eine dauerhafte Lösung des Konflikts geschaffen werden. Die Notwendigkeit für eine derartige Initiative entstand nach anhaltendem Aufruhr der Bevölkerung im indischen Teil Kaschmirs. Seit Juni kamen dort bei Protestbekundungen, die oft von steinewerfenden Jugendlichen begleitet wurden, über 110 Menschen durch das Eingreifen von Sicherheitskräften ums Leben. Auf den Demonstrationen wurde immer wieder der Ruf nach dem Abzug der indischen Truppen aus dem Kaschmir-Tal und nach »Azadi« (Freiheit, Unabhängigkeit) laut. Die Regierung mußte wiederholt den Ausnahmezustand verhängen, um die Kontrolle zu behalten. Die Hurriyat-Organisation goß mit dem Ausrufen von Generalstreiks Öl ins Feuer. Allerdings mußte Geelani am Mittwoch ein für zehn Tage ausgelegtes Streikprogramm absagen, weil ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr mitmacht.

Im Oktober war die Gesprächsgruppe zum ersten Mal durch Jammu und Kaschmir gereist und hatten sich von Vertretern politischer Parteien, der lokalen Regierung, des Militärs, von Frauen, Studenten und Jugendlichen, von inhaftierten Militanten und jungen Männern, die nach dem Steinewerfen eingesperrt worden waren sowie von aus dem Bundesstaat vertriebenen Hindus (Pandits) über die Lage und über ihre Probleme informieren lassen. Sie legte Anfang November dem Innenministerium ihren ersten Bericht vor. Die Mitglieder der Gesprächsinitiative schätzen ihre mühevolle Arbeit illusionslos als »erste Babyschritte« ein. Denn der gesamte Kaschmir-Konflikt bildet seit 1947 das Haupthindernis bei der Normalisierung der Beziehungen zwischen Indien und Pakistan. Beide streiten sich um die Region und führten deshalb bereits dreimal Krieg gegeneinander.

Daher ist es unrealistisch, sprunghafte Fortschritte zu seiner umfassenden, permanenten und alle Seiten befriedigenden Beilegung zu erwarten. Immerhin erhielt die Gruppe laut eigener Einschätzung bisher »einen wertvollen Eindruck« davon, was die Menschen bedrückt, was sie erwarten, was ihrer Meinung nach das Resultat eines Dialogs sein sollte. Das könnte Neu-Delhi durchaus beim Suchen nach Lösungsansätzen helfen. So intensiv wie jetzt hat die Regierung jedenfalls noch nie Interesse an den Auffassungen aus allen Bevölkerungsschichten Jammus und Kaschmirs gezeigt.

* Aus: junge Welt, 12. November 2010


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