Nasarbajew lässt in Kasachstan vorfristig wählen
Regierungspartei dürfte trotz Unruhen im Westen des Landes haushoch gewinnen
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Sonntag (15. Jan.) wird in Kasachstan das Parlament,
die Madschlis (Versammlung),
gewählt. Im Westen des Landes
waren erst jüngst Unruhen ausgebrochen.
Um 98 der insgesamt 107 Sitze in
der Madschlis bewerben sich alle
acht zugelassenen Parteien. Die
restlichen neun Mandate werden
am Montag auf einer Tagung des
Rates der Völker Kasachstans vergeben.
Die Dachorganisation der
über 50 ethnischen Minderheiten
– Russen, Deutsche, Uiguren, Tataren
und Karakalpaken sind die
größten – soll dafür sorgen, dass
sich alle Volksgruppen im Parlament
angemessen vertreten fühlen.
Stimmberechtigt sind über
neun Millionen bei einer Gesamtbevölkerung
von 16,6 Millionen.
Eigentlich war die Abstimmung
erst für den Sommer geplant.
Doch im November gab Präsident
Nursultan Nasarbajew, der
die öl- und gasreiche Republik seit
mehr als 20 Jahren autoritär regiert,
einer Petition von 53 Abgeordneten
statt, die um Vorverlegung
des Termins baten. Da derzeit
in der Madschlis nur eine Partei
vertreten ist – Nasarbajews
Hausmacht Nur Otan (Licht des
Vaterlands) –, glauben viele, dass
der »Führer der Nation« die Bittschrift
selbst bestellt hatte. Zumal
er mit ähnlichen Mitteln auch die
Präsidentenwahl im vergangenen
April, die ihm eine weitere Amtszeit
sicherte, um ein Jahr vorgezogen
hatte. Die neuerliche Vorverlegung
wird mit der Befürchtung
begründet, dass eine neue
Runde der Weltwirtschaftskrise die
Nachfrage nach Öl und Gas und
damit die Staatseinnahmen drücken
könnte. Für das Krisenmanagement
würden daher schon
jetzt jene effizienteren Machtstrukturen
gebraucht, die durch
die Änderung von Verfassung und
Wahlgesetz seit 2009 angestrebt
werden. Wahrscheinlich ging es
Nasarbajew aber darum, den
Wahlkampf so zu verkürzen, dass
die ohnehin schwache Opposition
keine Chancen hat.
Zwar muss im neuen Parlament
mindestens eine weitere
Partei vertreten sein. Auch dann,
wenn sie an der Sieben-Prozent-
Hürde scheitert. Das Rennen dürfte
jedoch die staatsnahe Ak Zhol
(Lichter Weg) machen. Denn die
KP Kasachstans darf nicht antreten,
weil sie versucht hatte, ein
Wahlbündnis mit der nicht registrierten
Alga-Partei einzugehen.
Niemand zweifelt daher am
Sieg von Nur Otan, und doch
könnten nach der Wahl die sozialen
Spannungen mit Gewalt auf
Entladung drängen. Ein Streik der
Ölarbeiter in der westkasachischen
Stadt Schanaosen eskalierte
im Dezember zu Unruhen und
wurde von Sicherheitskräften
brutal niedergeschlagen. Offiziell
gab es 17 Tote. Westkasachstan
gilt traditionell als Hochburg des
Widerstands gegen den Nasarbajew-
Clan, der alle profitträchtigen
Bereiche beherrscht. Denn obwohl
der Westen zu den reichsten
Region Kasachstans gehört, leben
die Menschen dort noch immer
besonders schlecht. Dazu kommen
Spannungen zwischen den
regional organisierten Clans, die
um Ämter und Pfründe streiten.
Derzeit sitzt die sogenannte Mittlere
Horde, zu der auch Nasarbajew
gehört, an den Hebeln der
Macht. Die Kleine Horde dagegen,
die in den Steppen des Westens –
zwischen Kaspischem Meer und
Aralsee – siedelt, ging bisher leer
aus. Gefährlich könnte Nasarbajew
zudem werden, dass Kasachen
aus dem Ausland im Rahmen
der staatlich geförderten
Rückkehr vor allem in Westkasachstan
angesiedelt wurden. Die
Mentalität der Neubürger aber
unterscheidet sich erheblich von
der traditionellen Obrigkeitsgläubigkeit
im Lande.
* Aus: neues deutschland, 14. Januar 2012
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