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Mit Mördern gegen Streikende

Ölarbeiterstreik in Kasachstan angeblich beendet / Gewerkschaft gegen Arbeitskampf

Von Axel Eichholz, Moskau *

Im Westen Kasachstans werden streikende Ölarbeiter Ziel von Morden und Vergewaltigungen. Die Ölarbeiter fordern höhere Löhne und die Nationalisierung der Betriebe. Damit provozieren sie nicht nur den kasachischen Staat, sondern auch China.

Seit einem halben Jahr dauert ein Ölarbeiterstreik in West-Kasachstan an. Es ist der bisher größte und schärfste Arbeits- und Sozialkonflikt dieser Art seit dem Zerfall der Sowjetunion. Am 9. Mai waren die Arbeiter der Aktiengesellschaft Karaschanbasmunai in einen Hungerstreik getreten. Am 17. Mai schlug die Aktion in einen Massenstreik um. Anfang Juni nahmen 15 000 Arbeiter daran teil, auch von Firmen wie Osenmunaigas, Jersai Kaspian Kontraktor und Burgylau. Sie forderten nicht nur höhere Löhne für sich selbst, sondern auch für Angestellte des Staates. Die Forderung nach Renationalisierung der Betriebe und Einführung einer Arbeiterkontrolle färbte den Ausstand politisch.

Mancherorts kam es zu Zusammenstößen zwischen Streikenden und Polizei. Streikbrecher, bei denen es sich zum Teil um Polizisten in Zivil handelte, wurden mit Bussen herangeschafft. Nach Angaben des Streikkomitees stehen der chinesische CITIC-Konzern und der Besitzer des Monopolriesen KasMunaiGas, Timur Kulibajew, ein Schwiegersohn des Präsidenten Nursultan Nasarbajew, hinter den Repressalien. Die Juristin der Ölarbeitergewerkschaft Natalja Sokolowa wurde verhaftet, zahlreiche Arbeiteraktivisten wurden entlassen. Sie werfen den Arbeitgebern Zusammenarbeit mit der Mafia vor, die Schlägereien provoziere und ihre Häuser in Brand setze.

Gewerkschaften gegen Zusammenarbeit

Nach Angaben der Streikführung schlug sich der offizielle, als Erbe der exsowjetischen Gewerkschaften geltende Gewerkschaftsbund Kasachstans voll auf die Seite der Arbeitgeber. Dessen Generalsekretär Siasbek Mukaschew bezeichnete den Streik als »illegal«. Dem russischen Mitarbeiter der Internationalen Gewerkschaft der Öl- und Gasarbeiter (IECM) Anatoli Surin werfen die Streikenden vor, die IECM-Zentrale in Genf desinformiert und die Arbeiterproteste als »Maoisten- und Extremistenaktionen« dargestellt zu haben. Als Folge habe sich die Internationale Gewerkschaft geweigert, den Streik in Kasachstan zu unterstützen, heißt es. Surin wird als »Mitarbeiter der russischen Geheimdienste« bezeichnet, »der in internationale Gewerkschaften geschleust wurde«.

In Aktau, der Hauptstadt des von der Streikbewegung erfassten westkasachischen Gebiets Mengistau, veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung im November eine zweitägige Schulung für Arbeiteraktivisten. Vertreter der Polizei und der Regierungspartei Nur Otan versuchten, daran teilzunehmen, wurden jedoch von den Veranstaltern mit der Begründung ausgeladen, die Schulung sei nur für die Streikenden da. Die Streikenden kennen die Gesetze nicht und verstoßen deshalb dagegen, sagte der DGB-Vertreter Horst Küsters in einem Interview des »roten« kasachischen Fernsehsenders KTV. Nur-Otan-Vertreter verunglimpften ihrerseits die Schulung als »Subversion« und die Veranstalter als »FBI-Mitarbeiter«. Ihr Ziel sei ein Umsturz in Kasachstan.

In Schanaosen wird der Hungerstreik fortgesetzt, dessen 17 Teilnehmer Opfer von Aussperrungen wurden. Sie werden von über 2000 Kollegen in einer Rund-um-die-Uhr-Kundgebung auf dem Hauptplatz der Stadt unterstützt. Die Behörden werfen ihnen vor, den Platz zu verunreinigen und Grünanlagen zu beschädigen. Die Kundgebungsteilnehmer weisen das zurück. »Unsere Gegenspieler haben absichtlich Schafe und Kamele auf den Platz getrieben, die die Vegetation ruiniert haben«, sagte einer von ihnen dem Fernsehreporter. Nun versuchten die Behörden, es den Streikenden in die Schuhe zu schieben. Gleichzeitig treibt die Mafia ihr Unwesen. Die Tochter eines Arbeiteraktivisten, Schansaule Karabalajewa soll in eine Falle gelockt, vergewaltigt und brutal umgebracht worden sein. Ein junger Gewerkschafter wurde eines Morgens tot in einer Gasse aufgefunden.

Konflikt angeblich beigelegt

Unterdessen meldet die Nachrichtenagentur Nowosti-Kasachstan aus der Hauptstadt Astana, der Ölarbeiterstreik sei »lokalisiert« worden - eine Umschreibung für Fortdauer in kleinerem Umfang. Die Ölproduktion, die im Sommer um ein Viertel zurückgegangen war, steige nach und nach wieder. Bei einer Arbeitsbesprechung in Astana, an der der Gebietschef von Mengistau, Branchenminister und Konzernchefs teilnahmen, hieß es, der Konflikt sei »im Rahmen der Arbeitsgesetzgebung beigelegt worden«. Zugleich bleibe die Frage der Neuanstellung von »Menschen, die im Zusammenhang mit der Verletzung der Arbeitsverträge entlassen wurden«, weiterhin aktuell, heißt es in einer Presseerklärung. »Im Zuge des illegalen Streiks wurden rund Zweitausend Personen gekündigt«, sagte der Chef der Wohlstandsstiftung Samruk Kasyna, Timur Kulibajew. Deren Schicksal könne »uns nicht gleichgültig bleiben«.

* Aus: neues deutschland, 18. November 2011


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