Ölarbeiter in Aktau vor Gericht
Prozess gegen Anführer und Beteiligte der Proteste im westkasachischen Shanaosen begann
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Anstiftung zu sozialem Hass wirft die
Anklage nicht nur den sieben Rädelsführern
der Unruhen in Shanaosen im
Westen Kasachstans vor, sondern auch
36 einfachen Beteiligten: Ölarbeitern,
die im Mai 2011 für die Einhaltung
elementarer Sicherheitsstandards,
das Recht auf Gewerkschaften und
bessere Löhne in den Streik traten und
sechs Monate später gefeuert wurden.
Nach den Feierlichkeiten zum Tag
der Staatlichkeit am 16. Dezember
2011 war der Streik ausgeartet:
Geschäfte wurden geplündert,
mehrere öffentliche Gebäude
in Brand gesteckt. Die Polizei
hatte mit scharfer Munition in die
Menge geschossen, dabei kamen
nach offiziellen Angaben 16 Menschen
ums Leben. Internationale
Organisationen wie Human Rights
Watch wollen bei eigenen Recherchen
bis zu 70 Opfer ermittelt
haben. Der Streik war der erste
große Arbeitskampf in Zentralasien,
die Machthaber reagierten
panisch und verhängten
über die Ölarbeiterstadt den Ausnahmezustand,
der erst im Februar
aufgehoben wurde.
Am Dienstag (27. März) begann in der 145
Kilometer entfernt liegenden Gebietshauptstadt
Aktau der Prozess.
Auf ein faires
Verfahren
und maximale
Transparenz
drängen nicht
nur internationale
Menschenrechtsorganisationen.
In Almaty,
das bis
Mitte der 90er
Jahre Hauptstadt
Kasachstans
war, versammelten
sich
am Sonntag immerhin
mehrere
hundert Menschen, um mit einer
Schweigeminute der Opfer zu gedenken.
In dem Steppenstaat, den
Präsident Nursultan Nasarbajew
seit der Unabhängigkeitserklärung
1991 autoritär regiert, ist das
ein Akt zivilen Ungehorsams, wie
die Republik ihn bisher selten erlebte.
Ramsan Jesergepow, der
Chef der Stiftung für gefährdete
Journalisten, verlangte in einem
offenen Brief an die UNO, die Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE),
das Außenministerium der USA
und die Organisation der islamischen
Staaten eine »prinzipielle
und eindeutige Wertung« der Vorgänge
in Shanaosen. Immerhin
hatte Kasachstan 2010 als erster
UdSSR-Nachfolgestaat den OSZEVorsitz
inne. Der Westen hatte sich
nach langem Zögern dazu durchgerungen,
Kasachstan trotz gravierender
Demokratie- und Menschenrechtsdefizite
einen Vertrauensvorschuss
zu gewähren.
Womöglich war das verfrüht.
Obwohl ausschließlich Beschäftigte
von Staatsunternehmen in
den Ausstand traten, lehnte die
Regierung Verhandlungen mit den
Streikenden brüsk ab. Dadurch, so
kritisieren Beobachter, sei der Arbeitskampf
überhaupt erst zu Unruhen
ausgeartet. Die Machthaber
schieben den Schwarzen Peter
Journalisten zu. Shanna Baitelowa,
die unmittelbar vor den
Unruhen in der Zeitung »Respublika
« berichtet hatte, die Streikenden
seien in ihrer Not zum Äußersten
entschlossen, wird vorgeworfen,
ihr Artikel habe die Unruhen
provoziert. Sie wurde bereits
mehrfach vernommen und
steht weiter unter Druck. Kollegen,
die recherchierten, wurden
massiv behindert. Auch die Chancen
für eine objektive Berichterstattung
zum Prozess sind gering.
Zwar ist das Verfahren öffentlich,
doch die Verhandlung findet in einem
Saal mit knapp 50 Plätzen
statt. Über 40 davon beanspruchen
allein die Verteidiger. Und auf
der Anklagebank sitzen weder die
Beamten, die den Schießbefehl gegeben
haben, noch jene, die ihn
ausführten.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. März 2012
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