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Nasarbajew – ein Fels in der Steppe

Kasachstans Präsident preist sein Land als Stabilitätspfeiler in Zentralasien

Von Detlef D. Pries *

Nursultan Nasarbajew steht faktisch seit 1989 unanfechtbar an der Spitze Kasachstans: zunächst als Erster Sekretär des ZK der KP Kasachstans, seit 1991 als Präsident der unabhängigen Republik. Anlässlich eines zweitägigen Deutschland-Besuchs referierte Nasarbajew am Dienstagabend im Berliner Hotel »Adlon« über Innen- und Außenpolitik seines Landes.

Erst im Dezember 2005 hat sich Nursultan Nasarbajew mit 91 Prozent der Wählerstimmen für sieben weitere Jahre im höchsten Staatsamt bestätigen lassen. Und gerade hat er seinen Ministerpräsidenten ausgewechselt. Für Na-sarbajew kein Problem: Die Verfassung räumt ihm alle Möglichkeiten ein, und aus dem Parlament droht keinerlei Widerstand. 90 Prozent der Abgeordneten sind Mitglieder seiner »gesamtnationalen« Partei »Nur Otan« (Licht des Vaterlands), die gut 700 000 Mitglieder hat – mehr als alle anderen Parteien zusammengenommen. Die Konkurrenz, sofern sie sich nicht von »Nur Otan« aufsaugen lassen hat, schreibt sich Mitgliederzahlen knapp über 50 000 zu. Unterhalb dieser Grenze droht laut Parteiengesetz nämlich die Auflösung. Da nur 10 der 77 Mandate für die Mashilis (das Unterhaus) durch Verhältniswahl bestimmt werden, haben sie ohnehin kaum eine Chance auf eine Vertretung im Parlament. Die OSZE hat Wahlgesetzgebung und -verlauf in Kasachstan mehrfach kritisiert. Nach Ansicht von »Reporter ohne Grenzen« (ROG) ist es um Medien- und Meinungsfreiheit ebenso schlecht bestellt. Mehrere Fernsehsender, Radiostationen und Zeitungen gehören Nasarbajews Tochter Dariga und seinem Schwiegersohn. Wer kritisch über den Präsidenten und seine Familie berichte, riskiere Gefängnis- oder hohe Geldstrafen, klagte ROG und reihte Kasachstan auf der Weltrangliste der Pressefreiheit auf Platz 138 (von 167) ein.

Nasarbajew indes sieht die Pressefreiheit in seinem Land gewährleistet, es gebe freie Wahlen, freie Parteien und zahlreiche regierungsunabhängige Organisationen, kurz: Kasachstan sei ein moderner demokratischer Staat, ein Pfeiler der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in Zentralasien. Nach dem Zerfall der UdSSR habe freilich Chaos geherrscht, angesichts ethnischer und religiöser Probleme »drohte die regionale Instabilität über unsere Grenzen zu schwappen«. Da habe es zwar eine »Lawine von Ratschlägen« aus dem Westen gegeben, aber nicht alle seien »angemessen« gewesen, denn sie hätten die nationalen Besonderheiten nicht berücksichtigt. Die kasachische Demokratie habe sich allmählich entwickeln müssen. Jetzt aber könne Kasach-stan mit Recht den Vorsitz der OSZE beanspruchen, der dem Land im Jahre 2009 turnusgemäß zufallen würde. »Wir würden versuchen, europäische Standards zu übernehmen«, hatte Nasarbajew vor seinem Vortrag bereits im Gespräch mit Angela Merkel versprochen. Die Bundeskanzlerin – anders als USA-Präsident George Bush – hält eine kasachische Präsidentschaft in der Organisation denn auch für vorstellbar, wenn die Regierung ihre Reformen fortsetze. Die OSZE selbst hatte ihre Entscheidung über den Vorsitz Ende letzten Jahres verschoben.

Als stärkstes Argument für die Richtigkeit seines Kurses betrachtet der Präsident den wirtschaftlichen Aufschwung Kasachstans. Seit dem Jahr 2000 werden stets Wachstumsraten von mehr als 9 Prozent verkündet – vor allem dank der »stürmischen Entwicklung« der Erdöl- und Erdgasförderung und der hohen Rohstoffpreise, wie der neue Ministerpräsident Karim Massimow, seinerzeit noch Vizepremier, Ende letzten Jahres in einem Anzeigentext für die »Wirtschaftswoche« schrieb. Kasachstan förderte im letzten Jahr knapp 62 Millionen Tonnen Erdöl und will die Produktion bis 2015 auf 150 bis 170 Millionen Tonnen steigern. Schon jetzt ist es der fünftwichtigste Öllieferant der Bundesrepublik. Selbstbewusst fragte Nasarbajew am Dienstag in die Runde deutscher Wirtschafts- und Politikprominenz: »Ihr Interesse an Energielieferungen ist klar; aber was hat Kasachstan davon?« Das war deutlich als Ruf nach Investitionen in die Verarbeitungsindustrie ebenso wie nach Verständnis für Kasachstans Form der Demokratie zu verstehen.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Februar 2007


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