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Präsidiale Gnade

Kasachstan entläßt Gewerkschaftsanwältin aus der Haft. Gleichzeitig Prozeßwelle gegen Demonstranten

Von Tomasz Konicz *

Das kasachische Regime um Staatschef Nursultan Nasarbajew entschloß sich in der vergangenen Woche zu einem me­dienwirksamen Gnadenakt: Am 7. März wurde die Gewerkschaftsanwältin Natalja Sokolowa unter strengen Auflagen aus der Haft entlassen. Sokolowa hatte sich für die Arbeiter im kasachischen Energiesektor engagiert, deren Gewerkschaftskampf für bessere Arbeitsbedingungen mit einer staatlichen Repressionskampagne beantwortet wurde. Diese gipfelte im vergangenen Dezember in einem Militärmassaker an Dutzenden von Demonstranten in der westkasachischen Stadt Schanaosen (siehe junge Welt vom 19.12.2011).

Natalja Sokolowa wurde bereits im vergangenen August unter dem Vorwurf, die Konflikte angeheizt zu haben, festgenommen und zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Umwandlung des Strafmaßes zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe ist mit strengsten Auflagen verknüpft. Sokolowa ist es untersagt, die Stadt und ab zehn Uhr abends ihre Wohnung zu verlassen oder an öffentlichen Diskussionen und Demonstrationen teilzunehmen. Zudem wird die Anwältin in den kommenden drei Jahren nicht mehr für die kasachischen Gewerkschaften arbeiten dürfen. Schließlich mußte die Juristin ein Geständnis unterschreiben, in dem sie sich des »Schürens sozialer Konflikte« selbst bezichtigte.

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko, der als Wahlbeobachter in Kasachstan kurz nach dem Massaker in Schanaosen weilte, machte in einer Stellungnahme auf die weiterhin anhaltende Repression in dem zentral­asiatischen Land aufmerksam: »Ich bin weiterhin besorgt über die Inhaftierung des Menschenrechtsaktivisten Wadim Kuramschin, der sich gegen Folter und Mißhandlung in Gefängnissen« engagiere, so Hunko. Wenige Tage nach einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kasachstan sei Kuramschin inhaftiert worden.

Derzeit beginnt der kasachische Justizapparat die Abrechnung mit Teilnehmern der am 16. Dezember abgehaltenen Gewerkschaftsdemonstrationen in Schanaosen, die sich nach brutalen Polizeiübergriffen zu einem schließlich von Militäreinheiten blutig niedergeschlagenen Aufstand ausweiteten. Es sollen Gerichtsverfahren gegen insgesamt 51 Gewerkschaftsaktivisten eröffnet werden, die angeblich hinter den Unruhen stünden. Schließlich bemüht sich die Anklage, die oppositionelle Partei »Alga« (»Vorwärts«) als Drahtzieher der Arbeiterproteste zu brandmarken, deren bereits verhaftete Führungsspitze ebenfalls auf ihren Prozeß wartet.

Nasarbajew reagierte auf diese Ereignisse aber auch mit umfassenden Neubesetzungen von Spitzenposten in Verwaltung und Staatsbetrieben wie mit einer Reform des kasachischen Arbeitsrechts. So übte etwa Omirsaq Schukeew, der neue Chef des kasachischen Staatsfonds Samruk-Kazyna, harsche Kritik an seinem Amtsvorgänger Timur Kubilajew, der als Schwiegersohn Nasarbajews bis zum 16. Dezember beste Aussichten hatte, den alternden Staatschef zu beerben. Der bislang wie ein Selbstbedienungsladen im präsidialen Familienbesitz geführte Staatsfonds Samruk-Kazyna kontrolliert den Energiesektor, die Atomwirtschaft und die Eisenbahn Kasachstans.

Das Nasarbajew-Regime müht sich in seinen Medien, die Verbesserungen beim Arbeitsschutz und die neuen Gesundheitsregelungen hervorzuheben, die das reformierte Arbeitsgesetz mit sich bringen soll. Doch wird eine Reihe von Gesetzesvorschriften die Arbeit von Gewerkschaften in dem zentral­asiatischen Land ungemein erschweren. So sollen künftig die »Arbeitgeber« die Gewerkschaftsbeiträge der Lohnabhängigen einsammeln, wodurch sie die Kontrolle über die Gewerkschaftsfinanzen erhalten. Zudem sollen künftig sowohl Staatsanwaltschaft wie Unternehmer vor Gerichten die Illegalisierung von Streiks beantragen können, um danach alle am Ausstand beteiligten Gewerkschafter und Arbeiter entlassen zu können. Gewerkschaften werden hingegen künftig nicht mehr gegen Unternehmer vor Gerichten klagen können.

Seitens der EU oder Berlins muß Astana keine Kritik fürchten, speilt doch das Nasarbajew-Regime – mit dem Merkel jüngst ein Lieferabkommen über Seltene Erden unterzeichnete – eine wichtige Rolle als Rohstofflieferant und geopolitischer Brückenkopf des Westens in der Region.

* Aus: junge Welt, 14. März 2012


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