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Kasachstan als Erfolgsmodell

Zentralasiatische Republik forderte in Den Haag eine Welt ohne Nuklearwaffen

Von Antje Stiebitz *

Als die Konferenzteilnehmer aus aller Welt durch die Parkanlage auf den symbolträchtigen Den Haager Friedenspalast zustreben, liegen dunkle Wolken über der Szenerie. Die kasachische Regierung hatte am Mittwoch (31. Aug.) eingeladen, um über gegenwärtige und künftige Entwicklungen der nuklearen Abrüstung zu diskutieren.

Anlass für das Treffen von Regierungsvertretern, Wissenschaftlern und Unternehmern sind der 20. Jahrestag der Schließung des ehemaligen sowjetischen Atomtestgeländes in Semipalatinsk und der internationale Tag gegen Nukleartests am 29. August. Es sei Zeit, die Nichtverbreitung und Reduzierung von Atomwaffen zu verstärken, erklärt der kasachische Staatssekretär Kanat Saudabajew dem Publikum ruhig, aber entschlossen.

Dass sich die zentralasiatische Republik um Abrüstung müht, speist sich aus ihren Erfahrungen mit Semipalatinsk: Es war Josef Stalin, der Semipalatinsk, in der kasachischen Steppe gelegen, zum Atomwaffentestgelände bestimmte. Begründet wurde die Wahl mit dem Argument, die Region sei unbewohnt. Von 1949 bis 1989 wurden dort 456 Bombentests durchgeführt, davon 160 oberirdisch. Die entfesselte nukleare Kraft entsprach insgesamt dem 2500-fachen der Hiroshima-Bombe. Der radioaktive Staub verbreitete sich über ein Gebiet, das etwa den Maßen Deutschlands entspricht und ein Zehntel Kasachstans ausmacht. 1,5 Millionen Menschen wurden durch die Explosionen verstrahlt. Viele starben, die Überlebenden kämpfen mit hohen Raten an Krebs und Geburtsfehlern. Die Angst vor der Zukunft treibt viele Betroffene in den Selbstmord. »Deswegen engagiert sich Kasachstan so aktiv in der Bewegung um die Nichtweiterverbreitung«, erklärte Roman Wassilenko, Sprecher des Außenministeriums, gegenüber ND.

Am 29. August 1991, einhergehend mit der Unabhängigkeit Kasachstans, wurde Semipalatinsk geschlossen, die Atomwaffenarsenale wurden demontiert. »Wir glauben, dass es gut ist, wenn andere Nationen auf das Beispiel Kasachstan blicken. Denn wir beweisen seit 20 Jahren, dass man die Sicherheit eines Landes auch durch andere Mittel gewährleisten kann als durch nukleare Waffen. Durch Verträge, Freundschaft und wirtschaftliche Zusammenarbeit.« Wassilenko ist davon überzeugt, dass Kasachstan dadurch, dass es zeigt, eine friedliebende Nation zu sein, eine Atmosphäre schafft, die ausländische Investoren anzieht.

Keiner der Anwesenden glaubt, dass es möglich ist, sich der nuklearen Massenvernichtungsmittel über Nacht zu entledigen. Oder wie es Kanat Saudabajew ausdrückt: Der Weg in eine atomwaffenfreie Welt ist schwierig und dornig. Umso mehr seien die vereinigte Anstrengung und der Gute Wille aller Beteiligten notwendig.

USA müssen mit gutem Beispiel vorangehen

Konkret geht es um die noch ausstehende internationale Anerkennung des Kernwaffenteststopp-Vertrags. Der Vetrag verbietet die Durchführung jeder Art von Kernwaffenexplosion, ob für zivile oder militärische Zwecke; auch jegliche Assistenz ist verboten. Erarbeitet wurde der Vertrag von der UN-Abrüstungskonferenz, die UN-Generalversammlung hat ihn bereits 1996 angenommen. Jetzt muss er von der internationalen Gemeinschaft unterzeichnet und ratifiziert werden. Über 150 Nationen haben das bereits getan, doch Indien, Pakistan und Nordkorea haben ihn noch nicht unterschrieben und die USA, China, Indonesien, Iran, Israel und Ägypten haben eine Ratifizierung bislang abgelehnt.

Aus Sicht Wassilenkos müssten vor allem die USA mit gutem Beispiel vorangehen. »Solange die USA als weltweit größte Atommacht den Vertrag nicht ratifizieren, werden sich auch viele andere Länder nicht zu dem Vertrag bekennen.« Die internationale Gemeinschaft müsse die noch ausstehenden Länder vor allem ermutigen, denn Druck alleine würde ihnen nicht helfen. Die meisten Staaten, die noch nicht unterschrieben oder ratifiziert haben, seien in langwierige Konflikte verwickelt – dafür müssten endlich politische Lösungen gefunden werden. Wassilenkos Gesten wirken etwas hilflos. Ja, das klinge vielleicht utopisch, aber er hoffe, dass seine Kinder eine Welt ohne Atomwaffen erleben werden. »Der Nutzen von Atomwaffen muss in den Köpfen der Menschen unvorstellbar werden, einfach nur weil sie schrecklich sind.« Er verweist – wie es auf der Konferenz immer wieder getan wird – auf das Verbot von chemischen Waffen. Hier sei es der Weltgemeinschaft schließlich auch gelungen, eine ganze Klasse von Waffen zu ächten.

Im hellen Oval des Konferenzraums wird noch eine Idee diskutiert, bei deren Verwirklichung Kasachstan offenbar eine tragende Rolle spielen möchte: die Gründung einer Bank für nuklearen Brennstoff. In einer solchen »Atombrennstoffbank« will die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) künftig niedrig angereichertes Uran bevorraten. Damit Staaten, die aus politischen Gründen von anderen kein Nuklearmaterial mehr geliefert bekommen, die Möglichkeit haben, nuklearen Brennstoff zu kaufen. Allerdings immer von der unabhängigen – doch eng mit den Vereinten Nationen verlinkten – Atomenergie-Behörde beobachtet und kontrolliert.


Kanat Saudabajew war 2007 bis 2009 Außenminister Kasachstans, danach wurde er zum Staatssekretär ernannt. Für die zentralasiatische Republik führte er 2010 den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Von 2000 bis 2007 hatte er Kasachstan als Botschafter in den USA vertreten. In Washington engagierte sich vor allem in den Bereichen Sicherheit, nukleare Abrüstung, Ökonomie und Demokratie. Der 65-jährige Philosoph und Politikwissenschaftler ist verheiratet und hat drei Kinder.



»Wir wollen Länder nicht ermutigen, Nuklearenergie zu nutzen, aber wenn sich ein Land dafür entscheidet, bieten wir juristische, organisatorische und technologische Hilfe, damit sie ihre nukleare Macht etablieren können«, erklärt Hermann Nackaerts, stellvertretender Generaldirektor der IAEA-Sicherheitsabteilung. Ausschlaggebend sei der Nachweis dafür, dass die Energie friedlich genutzt wird.

Kasachstan ist in Besitz von 25 Prozent der Uran-Weltreserven und produziert jährlich 18 000 Tonnen Uran – es verfügt über die nötigen Ressourcen. Seine Hauptabnehmer sind China, Russland, Frankreich, Indien, Japan und die USA. Die Brennstoffbank wäre für rund 60 Tonnen ausgelegt. Bereits im Jahr 2009 äußerte der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew, dass er darüber nachdenke, eine solche Atombrennstoff-Bank zu beherbergen. Der Vorschlag wurde ins Washingtoner Weiße Haus getragen und der amerikanische Präsident Barack Obama signalisierte seine Unterstützung.

Kasachstan sei der einzige Kandidat der sich bislang bereit erklärt hat, eine solche Nuklearbrennstoff-Bank zu beherbergen, erklärte Wassilenko im ND-Gespräch. »Im September werden wir in Wien die IAEA treffen und dort wird alles weitere besprochen.« Man sei nahe daran, eine Entscheidung zu fällen.


Roman Wassilenko ist Sprecher des kasachischen Außenministeriums und war lange Zeit als Diplomat in den Vereinigten Staaten tätig.



Keine Angst vor atomarem Müll

Die friedliche Nutzung von Atomenergie stellt keiner der Konferenzteilnehmer in Frage. Wassilenko glaubt an die Sicherheit der vierten Generation von Reaktoren. Da könne nichts schief gehen. Gas, Öl und Kohle würden nur die globale Erwärmung vorantreiben und alternative Energien seien noch nicht ökonomisch. Das Wort »atomarer Müll« wischt er mit einer Handbewegung vom Tisch. Es gebe Wissenschaftler, die Methoden kennen, den Brennstoff so zu nutzen, dass er gar nicht erst entsteht.

Sharon Squassoni vom Zentrum für Internationale und Strategische Studien ist ebenfalls überzeugt, dass es auch nach dem Unglück von Fukushima nachhaltige Atomenergie geben kann. Sie plädiert für eine strenge Kontrolle des Brennstoffs und für vielfältige Energiequellen. Ein Ausstieg aus der Kernenergie, wie in Deutschland geplant, wird nicht diskutiert.

Den Nutzen friedlicher Atomenergie bezweifelt auch der österreichische Diplomat Alexander Marschik nicht. Doch ist er der einzige, der die Frage aufwirft, warum es das System manchen erlaubt, Atomwaffen zu besitzen, und anderen nicht. Es gebe zahlreiche Verträge, Diskussionen und Organisationen, aber sie würden kaum etwas ändern. »Unser System versucht immer, die alten Machtverhältnisse zu schützen und damit auch die Verteilung der Atombomben.« Er beklagt, dass es dem Thema »Abrüstung« an einer Lobby mangele – und zudem an Staatschefs, die es zu ihrer Priorität machten. Die Herausforderung bestehe darin, das stabile System in einem langen Prozess zu verändern.

Als die Anwesenden den Konferenzsaal am Abend verlassen, hat es aufgeklart und der Friedenspalast liegt im Sonnenlicht.

* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2011


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