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Kampf um lebenswerten Lohn

Bisherige Offerten der Regierung in Kambodscha reichen den Textilarbeitern nicht

Von Thomas Berger *

Ein Ende der Arbeitskämpfe in Kambodschas Textilbranche ist nicht absehbar. Am Donnerstag wurden bei Zusammenstößen zwischen Textilarbeitern und Soldaten mehrere Demonstranten verletzt.

Seit über einer Woche streiken Kambodschas Textilarbeiter für höhere Löhne. Die Streiks würden fortgesetzt, bis sich die Regierung zu einer neuen Verhandlungsrunde bereit erkläre, sagte Kong Athit von der Textilarbeitergewerkschaft. Dies sei am Donnerstag bei einem Treffen der sechs größten unabhängigen Gewerkschaften beschlossen worden.

Das Arbeitsministerium hatte zum Jahreswechsel angekündigt, bei der anstehenden Erhöhung des Mindestlohns noch einmal fünf Dollar draufzupacken. Die für 2014 ursprünglich angekündigte Anhebung von 80 auf 95 Dollar (70 Euro) im Monat hatte die Massenproteste ausgelöst, weil die Gewerkschaften den Betrag als zu niedrig einstuften. Aber auch die nun angebotenen 100 Dollar gehen an den Forderungen nach einem menschenwürdigen Mindestlohn vorbei. 160 Dollar sind aus Sicht der Gewerkschaftsführer das absolute Minimum, um bei steigenden Lebenshaltungskosten über die Runden zu kommen.

Die Textilarbeiter, in erster Linie Frauen, werden selbstbewusster, wie das zurückliegende Jahr zeigt: 131 Streiks und andere Protestaktionen gab es in der Branche – eine Rekordzahl, seit vor zehn Jahren mit der Erhebung solcher Daten durch die Dachvereinigung der textilproduzierenden Betriebe (GMAC) begonnen wurde.

Die Lobbygruppe der Betriebe, die zuvorderst ins westliche Ausland exportieren, bedrängt die Regierung, nicht einseitig auf Forderungen der Streikenden einzugehen. Schon die aktuelle Fünf-Dollar-Offerte sowie das Inkrafttreten der Erhöhung im Februar statt im April sei mit der GMAC nicht abgestimmt gewesen. Zwar beschließt das Ministerium die Mindestlöhne – festgelegt werden sie aber durch ein Gremium aus Politikern, Arbeitgebern und Beschäftigten.

Die Firmenbosse warnen in einheimischen Medien vor den Folgen längerer streikbedingter Produktionseinbußen und überzogener Forderungen. Aufträge könnten in andere Länder verlegt werden und Firmen abwandern, heißt es. Selbst in unabhängigen Blättern wie der »Phnom Penh Post« und der »Cambodia Daily« nehmen die Sorgen der Arbeitgeber breiten Raum ein. So seien Liefertermine kaum zu halten, wenn man nicht von der Verschiffung auf die teurere Luftfracht ausweiche. Zwar mag dies im Einzelfall stimmen, doch im Hafen von Sihanoukville, wo sich der Umschlag konzentriert, war bisher keine nennenswerte Einschränkung der Verladung von Textilcontainern festzustellen.

Mit 5,07 Milliarden Dollar haben die Exporte der Branche bis November 2013 einen neuen Höchststand erreicht. Dies bedeutete ein Plus von 22 Prozent gegenüber 2012. Waren im Umfang von 1,96 Milliarden gingen dabei in die USA. Richtung Europa beliefen sich die Ausfuhren auf 1,81 Milliarden Dollar, was eine Steigerung um ein Drittel bedeutete. Ähnlich hoch war das Plus bei Exporten nach Japan und Südkorea. Der Branche geht es also insgesamt gut, weshalb die Beschäftigten stärker an den Profiten beteiligt werden wollen und mehr denn je einen menschenwürdigen Mindestlohn einfordern.

Ähnlich wie in Bangladesch, wo 2013 mehrere Fabrikunglücke mit über 1000 Toten weltweit Schlagzeilen machten, lenken die aktuellen Proteste in Kambodscha zugleich den Blick auf die global agierenden Modemarktketten und Discounter sowie das Käuferverhalten im Westen. Hauptsache billig lautet das Einkaufsargument – woher die Kleidungsstücke kommen und unter welchen Arbeitsbedingungen sie produziert werden, scheint egal.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 3. Januar 2014


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