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Duchs "begrenzte Reue"

Im Prozess gegen Pol Pots Folterchef steht nur noch das Urteil aus

Von Michael Lenz, Phnom Penh *

Am Freitag (27. Nov.) wurden die letzten Plädoyers im ersten Prozess vor dem UN-gestützten Kambodscha-Tribunal gehalten. Das Urteil gegen Kaing Guek Eav alias Duch, Chef des Foltergefängnisses S-21 (Tuol Sleng) in Phnom Penh, soll Anfang 2010 verkündet werden.

»Ich bitte darum, dass das Gericht mich freilässt«, sagte der 67-jährige ehemalige Mathematiklehrer Kaing Guek Eav, der sich den »Revolutionsnamen« Duch zugelegt hatte, am Freitag. Zwei Tage zuvor hatte er seine Sicht der Geschichte vom Blatt abgelesen: Wie die Pol-Pot-Clique im April 1975 an die Macht gekommen war und wie sie während ihrer knapp vierjährigen mörderischen Herrschaft funktionierte, bevor sie im Januar 1979 durch vietnamesische Truppen vertrieben wurde.

Das Gespenstische an Duchs Geschichtslektion: Er selbst kam darin kaum vor. Wohl hatte er sich während des Prozesses mehrfach zu seiner juristischen Verantwortung für das verbrecherische Geschehen im Foltergefängnis S-21 (Tuol Sleng) und auf den »Killing Fields« bekannt. Auch hatte er die Angehörigen seiner Opfer gebeten, ein »Fenster der Vergebung« offen zu halten. Doch sah er sich selbst auch als Opfer. Die eigentlich Schuldigen seien Pol Pot und sein engster Führungskreis. Das war praktisch: Bis auf »Bruder Nummer Zwei«, Nuon Chea, dem zusammen mit drei anderen ehemaligen Pol-Pot-Getreuen im Jahr 2011 der Prozess gemacht werden soll, sind die Übeltäter tot.

Duch porträtierte sich als machtloses Rädchen im System. Er habe töten lassen müssen, um nicht selbst getötet zu werden. Dabei unterschlug er, dass er zum Chef von S-21 auserkoren worden war, weil er sich schon zu Guerillazeiten vor 1975 als ergebener und effektiver Vollstrecker der »Zerschlagung« von »Feinden der Revolution« erwiesen hatte. Duch leitete seinerzeit ein Foltergefängnis M-13 im »befreiten Gebiet«.

Die Anklage beantragte 40 Jahre Haft für Duch. Der habe »begrenzte Reue« gezeigt und fünf Jahre nach seiner Festnahme 1999 ohne rechtliche Grundlage in Untersuchungshaft verbracht, begründete Ankläger William Smith, warum er nicht lebenslänglich fordere. Bei manchem löste dieser Antrag Unverständnis aus. »Das ist keine Gerechtigkeit«, klagte Chum Mey, einer der drei Überlebenden von S-21, die während des Prozesses ausgesagt hatten. Duch erfahre eine Form von Gerechtigkeit und Menschlichkeit, die er den Häftlingen seinerzeit versagt habe. Am Freitag empörte sich Ankläger Smith: Hätte er gewusst, dass Duch seine Freilassung fordert, hätte er eine höhere Strafe verlangt.

Die Verteidigung hatte sich nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen können. Duchs kambodschanischer Anwalt Kar Savuth forderte Freispruch: Das Tribunal sei nur für »Hauptverantwortliche« des Regimes zuständig, als Befehlsempfänger könne Duch nicht hauptverantwortlich gewesen sein. Sein französischer Kollege François Roux dagegen hielt angesichts der Reue seines Mandanten eine mildere Strafe als die von der Anklage geforderte für angemessen.

Die Erwartungen an das Tribunal sind hoch, vielleicht zu hoch. Nur langsam wird den Opfern bewusst, dass die Möglichkeiten der Geschichtsaufarbeitung durch die Justiz begrenzt sind. Staatsanwalt Smith sagte, das Tribunal könne über die Schuld der Angeklagten befinden. Ein nationaler Versöhnungsprozess könne allenfalls Nebenprodukt des Verfahrens sein.

* Aus: Neues Deutschland, 28. November 2009


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