Düstere Geheimnisse
Kambodschas Premier will keine weiteren Prozesse vor dem Rote-Khmer-Tribunal. Aber das Gericht ermittelt weiter
Von Thomas Berger *
Kambodschas Premier Hun Sen ist aufgebracht. Einmal mehr hat er in scharfen Worten davor gewarnt, die Strafverfolgung ehemals ranghoher Vertreter der Diktatur der Roten Khmer auszudehnen. Genau dies hat jetzt aber eine Kammer des Sondergerichtshofes beschlossen, vor dem bisher fünf Personen angeklagt sind. Das Tribunal hat mit seiner Entscheidung grundsätzlich den Weg für zusätzliche Ermittlungen freigemacht. Wie viele weitere Anklagen es geben könnte, steht noch nicht fest. Unbestätigte Angaben sprechen von 32, unter anderem in der englischsprachigen Phnom Penh Post ist von dieser Zahl die Rede.
Der Gerichtsbeschluß ist ein verspäteter Triumph des internationalen Chefanklägers Robert Petit, der kurz zuvor zurückgetreten war. Immer wieder hatte er Vorstöße in diese Richtung unternommen, aber schon bei seiner eigenen Kollegin auf Granit gebissen. Denn Chea Leang, die einheimische Staatsanwältin, verteidigte die Regierungslinie. Daß auch die Kambodschaner in dem gemischt besetzten Gerichtshof nun die jüngste Entscheidung mittragen, bedeutet aber nicht, daß Hun Sen seinen Widerstand aufgibt. Der Premier fürchtet, daß ein ausgedehnteres Wühlen in der Vergangenheit die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs heraufbeschwören könnte. Hart habe man für den Frieden gekämpft: »Das lasse ich mir von niemandem zerstören«, so der Regierungschef in Richtung des Tribunals.
Mit gemischten Gefühlen nehmen auch seine Landsleute den Schritt zur Kenntnis. Die noch lebenden Mitglieder der damaligen Führungsclique vor Gericht zu bringen, ist das eine. Jede zusätzliche Anklage rührt aber in der Tat an dem, was viele in der Erinnerung ganz tief vergraben haben. Mindestens 1,7 Millionen Tote, fast ein Viertel der damaligen Gesamtbevölkerung, gehen auf das Konto der von Pol Pot angeführten Diktatur. Der einstige Lehrer und seine Kommilitonen, die die Kommunistische Partei unterwandert und gekapert hatten, errichteten nach ihrem Einmarsch in der Hauptstadt Mitte April 1975 ein Schreckensregime, das knapp vier Jahre lang Bestand hatte, bis zur Rettung ihrer Nachbarn die Vietnamesen einmarschierten. Die Opfer wurden gefoltert und ermordet, andere kamen infolge von akuter Mangelernährung, Zwangsarbeit und Krankheiten ums Leben.
Nicht nur manche Überlebenden wollen ungern daran erinnert werden. Da sogar Kinder von den Roten Khmer zum Morden angestiftet wurden, gibt es Tausende, die sich auf der untersten Ebene in irgendeiner Form mitschuldig gemacht haben und nun Verfolgung fürchten. Daß von Massenanklagen vor dem Tribunal nie die Rede war und diese auch die Kapazitäten des nicht üppig finanzierten Sondergerichtes sprengen würden, kann diese Sorge kaum eindämmen.
Das Tribunal kommt damit weiterhin nicht aus den Schlagzeilen heraus. Erst war jahrelang über die Zusammensetzung gefeilscht worden, dann über die Finanzierung, schließlich über praktische Fragen. Erst seit dem Vorjahr ist das Spezialgericht überhaupt arbeitsfähig, und lediglich gegen Kian Guek Eav alias Duch, den ehemaligen Cheffolterer Pol Pots, läuft bereits der Prozeß. Expräsident Khieu Samphan, der einstige Chefideologe und »Bruder Nummer zwei« Nuon Chea sowie Exaußenminister Ieng Sary und seine Frau Khieu Thirith, die damals Sozialministerin war, warten dagegen noch auf ihre Verhandlung.
Überlebende des Horrors und Opferanwälte hingegen boykottieren neuerdings die Sitzungen des Tribunals. Grund ist der Streit um eine geänderte Prozeßordnung. Die Neuregelung beschränkt die Rechte dieser faktischen Nebenklagevertreter. Sie sollen Angeklagte und Zeugen nicht wie bisher uneingeschränkt befragen können. Als Affront sehen das die teilweise sehr betagten Diktaturopfer, von denen einige in der Vergangenheit jeden Verhandlungstag im Gerichtssaal saßen.
* Aus: junge Welt, 12. September 2009
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