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Der Henker und sein Recht

Aus dem Gerichtssaal 35 Kilometer vor den Toren Phnom Penhs

Von Michael Lenz, Phnom Penh *

Das Äußere des Tribunals ist symptomatisch für das ganze Verfahren: Es ist abgehoben, abgegrenzt, distanziert. Richter, Ankläger, Verteidiger und der Angeklagte sitzen auf einer Bühne. Die ist von der Decke bis zum Boden durch eine Glaswand vom Zuschauerraum getrennt. Die Auslassungen der Juristen werden über Lautsprecher in den Zuschauerraum übertragen.

Am Dienstag (17. Feb.) wurde vor den »Außerordentlichen Kammern an den Gerichten Kambodschas für die Verfolgung von Verbrechen während der Periode des Demokratischen Kampuchea« - so der offizielle Name des Tribunals - der erste Prozess eröffnet. Als erster von fünf Angeklagten musste Kaing Guek Eav, genannt »Duch«, vor den drei kambodschanischen und zwei ausländischen Richtern erscheinen. Duch leitete unter dem Pol-Pot-Regime (1975-79), das im Namen des Tribunals als »Periode des Demokratischen Kampuchea« umschrieben ist, das Foltergefängnis S-21. Dort, im ehemaligen Lyzeum Tuol Sleng mitten in Phnom Penh, wurden 16 000 Menschen gequält und später hingerichtet. Duch registrierte sie nicht nur akribisch und ließ sie fotografieren, er wies auch immer neue Grausamkeiten an. Angeklagt ist er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Chum Nou hat in ihrem Dorf nichts erzählt

Duch, im blauen Hemd mit offenem Kragen hinter seinen Verteidigern sitzend, verfolgt das Verfahren sehr genau. Vor und nach seinem Leben als Chefhenker und Sicherheitschef des Pol-Pot-Regimes war er Mathematiklehrer. Mit strengem Lehrerblick beäugt er die im Gerichtssaal versammelte Juristenschar: Machen die auch alles richtig? Benehmen sie sich ordentlich? Wie, sie wollen mich auch noch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung anklagen?

Im Publikum verfolgen Überlebende der Schreckensherrschaft, die schätzungsweise zwei Millionen Kambodschaner das Leben gekostet hat, den ersten Prozesstag. Unter ihnen ist Chum Nou. Sie war 28 Jahre und im fünften Monat schwanger, als sie verhaftet wurde. Ihr Sohn wurde im Gefängnis S-24 geboren, einer S-21-Außenstelle. Dort ist er auch gestorben. »Auch dafür ist Duch verantwortlich.« In ihrem Dorf, 90 Kilometer von Phnom Penh entfernt, weiß niemand, dass die 60-Jährige als Nebenklägerin gegen Duch auftritt. »Ich spreche nicht darüber. Das ist besser so. Manch einer dort war bei den >Roten Khmer<«, sagt Chum Nou.

Der britische Fotoreporter Nic Dunlop spürte Duch vor zehn Jahren in seinem Versteck in Kambodscha auf. Dunlop wirft dem Gericht vor, es habe bisher kläglich darin versagt, den Kambodschanern zu erklären, was es tut und wie es arbeitet, worin seine Ziele bestehen. »Die Kluft zwischen dem städtischen und dem ländlichen Kambodscha, wo die Mehrheit der Menschen lebt, wird durch das fehlende Engagement zur Aufklärung noch vergrößert«, glaubt Dunlop.

Streit um einen Nebenkläger

Wider Erwarten wird es gleich am ersten Verfahrenstag spannend, obwohl die eigentliche Verhandlung mit Zeugenaussagen und Kreuzverhören frühestens in vier Wochen beginnen wird. Jetzt geht es zunächst um Verfahrensfragen. Anwalt Karim Khan beantragt die Zulassung eines Mannes als Nebenkläger, obwohl die Frist für einen solchen Antrag bereits am 2. Februar abgelaufen ist. Sein Mandant Norng Chan Phai habe zu spät von der Möglichkeit einer Nebenklage erfahren, sagt Khan, und macht damit dem Gericht indirekt den Vorwurf unzureichender Information der kambodschanischen Öffentlichkeit.

Norng Chan Phai ist eines von mindestens fünf Kindern, die in Tuol Sleng inhaftiert waren. Das mache den heute 39 Jahre alten Mann zu einem Schlüsselzeugen, der die Situation in S-21 »aus den Augen eines Kindes« schildern und so zur Wahrheit beitragen könne, betont Khan.

Duchs Anwalt Francois Roux, der sich bereits am Ruanda-Tribunal einen Namen als erfolgreicher Strafverteidiger gemacht hat, gibt in seiner ausholenden Replik einen ersten Einblick, was seine Verteidigungsstrategie sein könnte: Der Antrag auf Zulassung des Nebenklägers verstoße gegen die Regeln des Gerichts. Zu einem rechtsstaatlichen Prozess gehöre es, so Roux, dass sich jede Partei an die vereinbarten Regeln hält. »Der Angeklagte hat seine Verantwortung für S-21 schon öffentlich eingeräumt«, sagt Roux, »Wir verteidigen jemand, dem die schlimmsten Verbrechen vorgeworfen werden. Aber er hat das Recht auf einen fairen Prozess.« Unakzeptabel sei bereits, dass sein Mandant schon seit fast zehn Jahren ohne Urteil in Haft sitze. Und dann kam der Satz, den Chum Nou und die anderen Opfer noch oft von Roux hören werden: »Auch für meinen Mandanten gelten die Menschenrechte.«

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2009


"Manchmal muss ich dabei weinen" Opfer verlangen Reue von ihren Peinigern **

Fast zehn Jahre lang verhandelten Kambodschas Regierung und die Vereinten Nationen zäh über die Einrichtung des Tribunals aus kambodschanischen und ausländischen Richtern. Mehr als zwei Jahre dauerte die Vorbereitung des ersten Prozesses.

Chum Mey verfolgte den ersten Tag des Prozesses im Gerichtssaal. Der heute 78-Jährige war einer von nur sieben Überlebenden des Foltergefängnisses Tuol Sleng, als vietnamesische Truppen Kambodscha im Januar 1979 aus der Versklavung befreiten. »Ich will wissen, was Duch bewegt und ob er Reue zeigt«, sagte Chum Mey.

Dem Verfahren gegen den 66-jährigen Gefängnischef sieht man mit großen Erwartungen entgegen. Das Tribunal soll beweisen, dass es die Kraft hat, Licht in die Geschichte des Regimes zu bringen, das Kambodscha zwischen 1975 und 1979 beherrschte. Was davor und danach geschah, steht nicht zur Verhandlung, und schon das ist ein Defekt des Verfahrens. Von Duch erhoffen sich Ankläger und Opfer jedenfalls, dass er klar und deutlich sagt, wer in der Führung des Regimes für die Grausamkeiten verantwortlich war, die während der vierjährigen Schreckenszeit etwa ein Viertel der damaligen Bevölkerung das Leben gekostet haben.

Nach Duch werden sich Nuon Chea (82), seinerzeit Stellvertreter von Diktator Pol Pot, Khieu Samphan (77), der nominelle Staatschef des »Demokratischen Kampuchea«, Außenminister Ieng Sary (83) und dessen Gattin, Sozialministerin Ieng Thirit (76), vor dem Tribunal verantworten müssen. Die vier, die das Tribunal bereits mit etlichen Anträgen auf Haftentlassung wegen ihres schlechten Gesundheitszustands beschäftigt haben, weisen im Unterschied zu Duch jede Schuld weit von sich. Sie zeigen mit dem Finger auf Pol Pot, der vor gut zehn Jahren in seinem Dschungelverlies starb, nachdem er von seinen eigenen Kumpanen verstoßen worden war.

Mehr als zwei Jahre hat das aus internationalen und kambodschanischen Juristen zusammengesetzte Tribunal seit seiner Vereidigung im Juli 2006 für die Vorbereitung der Anklagen gebraucht. Noch nicht aufgeklärt sind Korruptionsvorwürfe gegen kambodschanische Mitglieder des Tribunals. Wie zu Beginn der 90er Jahre die UN-Übergangsverwaltung UNTAC spült das internationale Gericht Millionen Dollars, die viele Begehrlichkeiten wecken, in das arme Land.

Königvater Norodom Sihanouk, der sich nicht mehr zu den Prozessen äußert, obwohl er gewiss manches zu sagen hätte, klagte vor Jahren, das viele Geld hätte sinnvollere Verwendung verdient. Inzwischen sorgt die Absicht der internationalen Ankläger, weitere Vertreter des Pol-Pot-Regimes zu belangen, für einen weiteren Konflikt. Die kambodschanische Chefanklägerin lehnt weitere Verfahren aus Sorge um den inneren Frieden im Lande ab.

Das Tribunal war nach fast zehn Jahren zäher Verhandlungen mit dem Kompromissauftrag zustande gekommen, sich auf die Führungsebene (»senior leaders«) des Regimes und »Hauptverantwortliche« für schwere Verbrechen -- wie Duch -- zu beschränken. Erstmals in der Geschichte solcher Tribunale können diesmal Opfer als Nebenkläger auftreten. Der Deutsche Entwicklungsdienst und der Zivile Friedensdienst (ZFD) als Förderer der Nebenkläger und ihrer Anwälte hoffen, dass dies zur gesellschaftlichen Versöhnung beiträgt. ZFD-Repräsentant Andreas Selmeci meint: »Dadurch können sich Perspektiven für einen gesellschaftlichen Neuanfang und ein friedlicheres Zusammenleben ergeben.«

Chum Mey will vor Gericht über seine Haft und die Folter in Tuol Sleng aussagen, darüber, dass er seine Frau und seine vier Kinder während der Pol-Pot-Herrschaft verloren hat. »Das jüngste war nur zwei Monate alt.« Das erzählt er auch den Besuchergruppen, die er durch Tuol Sleng, den Ort seiner Qualen, führt. »Manchmal muss ich dabei weinen.«

Michael Lenz

** Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2009




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