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Plädoyers vor dem Tribunal

Kambodscha: Ehemalige Anführer des Pol-Pot-Regimes angeklagt *

Im Prozess gegen drei ehemalige Anführer des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha haben am Montag (21. Nov.) die Eröffnungsplädoyers von Anklage und Verteidigung begonnen.

Vor dem UNgestützten Völkermordtribunal sind der einstige Chefideologe Nuon Chea, der frühere Staatschef Khieu Samphan sowie der damalige Außenminister Ieng Sary angeklagt. Ihnen werden Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Während der Schreckensherrschaft der Pol-Pot- Clique (1975-1979) kamen in dem südostasiatischen Land mehr als zwei Millionen Menschen ums Leben.

Die Pol-Pot-Herrschaft habe Kambodscha in ein Massenlager für Sklaven verwandelt, sagte Koanklägerin Chea Leang in ihrem Eröffnungsplädoyer. Eine gesamte Nation habe unter einem System von unfassbarer Brutalität leben müssen. Gerichtssprecher Lars Olsen erklärte, es sei ein bedeutender Meilenstein, dass der Prozess überhaupt begonnen habe.

Die Plädoyers sollen vier Tage lang dauern. Die Staatsanwaltschaft wird voraussichtlich lebenslange Haft für die drei Angeklagten fordern. Die greisen Männer im Alter zwischen 80 und 86 Jahren weisen alle Vorwürfe von sich. Sie beharren darauf, von den Gräueltaten nichts gewusst zu haben. Die ebenfalls angeklagte frühere Sozialministerin Ieng Thirith (79) war vergangene Woche vom Tribunal wegen einer Demenz-Erkrankung für prozessunfähig erklärt worden. Weil die Anklage Einspruch gegen die unverzügliche Freilassung erhob, bleibt Ieng Thirith zunächst in Untersuchungshaft.

* Aus: neues deutschland, 22. November 2011


Personalie: Prozessunfähig

Ieng Thirith / Ihr Platz auf der Anklagebank des Kambodscha-Tribunals bleibt frei

Von Detlef D. Pries **


Im Jahre 2009 drohte Ieng Thirith den Richtern des Kambodscha-Tribunals mit dem »siebten Kreis der Hölle«. Die Anklage gegen sie sei »zu 100 Prozent falsch«. 1979 hatte sie in einem »Spiegel«-Interview behauptet, unter Pol Pots Herrschaft seien in Kambodscha »nur ungefähr 10 000 Personen Opfer eines Machtmissbrauchs geworden, der absichtlich von den Agenten der fünften vietnamesischen Kolonne begangen wurde«.

Die Ankläger des Tribunals zählen Ieng Thirith dagegen zu den Hauptverantwortlichen für den Tod von mehr als zwei Millionen Menschen in den Jahren 1975 bis 1979. Wiewohl nicht Mitglied des engsten Führungszirkels um Pol Pot, sei sie als Sozialministerin des Regimes an »Planung, Leitung, Koordinierung und Anordnung ausgedehnter Säuberungsaktionen« beteiligt gewesen. Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und Völkermord werden ihr vorgeworfen.

Doch auf der Anklagebank des Prozesses im »Fall 002«, der am Montag fortgesetzt wurde, bleibt Ieng Thiriths Platz leer. Denn in der vergangenen Woche entschied das Gericht nach Anhörung mehrerer Gerichtsmediziner und Psychiater, dass die 79-Jährige wegen Demenz prozessunfähig sei. Sie hätte »erhebliche Schwierigkeiten«, dem Verfahren zu folgen, auszusagen und ihre Anwälte zu instruieren. Ein fairer Prozess sei daher nicht möglich. Eine Aussage über Schuld oder Unschuld der Angeklagten sei damit nicht getroffen, hieß es.

1932 in Phnom Penh als Khieu Thirith geboren, ist die Tochter eines Richters seit 1951 mit dem mitangeklagten ehemaligen Außenminister Ieng Sary verheiratet. Ihre ältere Schwester Khieu Ponnary, 2003 in geistiger Verwirrung gestorben, war die erste Frau Pol Pots. Das Khmer-Quartett fand sich Anfang der 50er Jahre in Paris, wo Ieng Thirith als erste Kambodschanerin ein Studium der englischen Literatur abschloss.

Nach dem Sturz des Mordregimes 1979 gingen die Eheleute Ieng in den Untergrund. Erst 1996 ergaben sie sich der Regierung in Phnom Penh, seit November 2007 sitzen beide in Untersuchungshaft. Noch ungeklärt ist, ob Ieng Thirith jetzt freigelassen oder unter medizinischer Beobachtung in Haft gehalten wird.

** Aus: neues deutschland, 22. November 2011


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