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Pseudokrieg um Hindutempel

Nationalisten heizen Konflikt zwischen Thailand und Kambodscha an

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Es sind vor allem innenpolitische Spannungen in Thailand, die zu Scharmützeln an der Grenze zu Kambodscha führen: Seit Freitagabend (4. Feb.) liefern sich die Nachbarn nahe der Ruine des Tempels Preah Vihear Feuergefechte. Mehrere Soldaten und Anwohner starben, Tausende sind auf der Flucht.

Sowohl Thailand als auch Kambodscha geben an, in Selbstverteidigung zu handeln. Kambodschas Premier Hun Sen rief den UN-Sicherheitsrat an und bat, »Thailands Aggression zu stoppen«. In Bangkok drohte Armeesprecher Sansern Keowkhamnerd derweil, Thailand werde »weiter schießen, solange die Kambodschaner auf uns schießen«.

Klar ist, dass in Thailand Kriegstreiber die Trommeln rühren. Die nationalistischen Gelbhemden der Volksallianz für Demokratie (PAD), die mit Massenprotesten schon vier Regierungschefs zu Fall brachten, nutzen den Grenzkonflikt, um den Sturz des jetzigen Premiers Abhisit Vejjajiva zu betreiben. Der wiederum versucht sich bei den Gelbhemden einzuschmeicheln, indem er auf Konfrontationskurs zu Phnom Penh geht. Die Eskalation ist das Ergebnis.

Ausgetragen wird der Machtkampf im Namen des Tempels Preah Vihear, von dessen Höhe sich ein prächtiger Blick über die thailändische Landschaft bietet. Dass dieser fast tausendjährige Hindutempel laut einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahre 1962 dem »minderwertigen« Kambodscha gehört, wie Armeesprecher Sansern sagte, das wollen thailändische Nationalisten nicht akzeptieren.

Erst recht nicht, seit Preah Vihear 2008 als Stätte des Weltkulturerbes anerkannt wurde. Denn an der touristischen Vermarktung des Tempels hatten zuvor insbesondere thailändische Grenzorte verdient, weil die einzige Zufahrt über thailändisches Gebiet führte. Prominentester Einpeitscher des Nationalismus ist der pensionierte Generalmajor Chamlong Srimuang, der die Gelbhemden in Bangkok zum Protest gegen die Regierung hetzt, weil die den Kambodschanern angeblich nicht entschieden genug entgegentritt. Am Wochenende jubelten die treuen PAD-Anhänger, als es von der Bühne hieß, dass 64 kambodschanische Soldaten getötet worden seien – eine frei erfundene Zahl. Das thailändische Geschosse den Tempel beschädigt haben, interessiert offenbar niemanden unter den Gelbhemden.

Chamlong will erst aufgeben, wenn die Regierung unter Premier Abhisit gestürzt ist. Zwar muss in diesem Jahr ohnehin gewählt werden, doch auf Wahlen will sich die PAD nicht einlassen. Bei den jüngsten Kommunalwahlen in Bangkok gewann sie nämlich keinen einzigen Sitz. Chamlong setzt auf die Macht der Straße und arbeitet an einer neuen, noch geheimen »Eskalation«, die er am Freitag in die Tat umsetzen will, um die Regierung in die Knie zu zwingen.

Abhisit gibt sich gelassen, auch wenn ihm die Ironie nicht entgeht, dass seine früheren Verbündeten, die Gelbhemden, zu unfreiwilligen Helfern ihrer Erzfeinde werden, der Rothemden, die ebenfalls den Sturz des Premiers wünschen.

Thailands Regierungssprecher Panitan Wattanayakorn denkt bereits an den Bau von Bunkern im Grenzgebiet. Auf die Idee, dass es eine friedliche Lösung für den Pseudokrieg um Preah Vihear geben könnte, scheint in Bangkok niemand zu kommen.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2011


Erneut Gefechte wegen Tempels

Kambodscha fordert Hilfe der Vereinten Nationen. Blauhelme sollen Grenzgebiet zu Thailand sichern **

Im Streit mit Thailand um einen Hindu-Tempel hat Kambodscha am Montag die Vereinten Nationen um Hilfe gebeten. Ministerpräsident Hun Sen forderte die Entsendung von Blauhelmen, um eine Pufferzone im Grenzgebiet einzurichten. In einem Brief an den UN-Sicherheitsrat verlangte er eine Sondersitzung des Gremiums. Das thailändische Außenministeriums wandte sich ebenfalls an den Sicherheitsrat und protestierte gegen »wiederholte und unprovozierte Angriffe kambodschanischer Soldaten«.

Die Streitkräfte beider Seiten lieferten sich am Montag (7. Feb.) erneut Gefechte. Nach einer Stunde einigte man sich auf eine inoffizielle Waffenruhe. Der thailändische Militärsprecher Oberst Sansern Kaewkamnerd sagte, seine Soldaten hätten nicht als erste angegriffen. Er wollte nicht von einem Krieg sprechen. Es war bereits der vierte Tag in Folge, daß Schüsse an der umstrittenen Grenze zwischen Kambodscha und Thailand fielen. Mindestens fünf Menschen kamen bisher ums Leben.

Hintergrund der Spannungen ist ein Streit um den hinduistischen Tempel Preah Vihear, den beide Seiten für sich beanspruchen. Demonstranten in Bangkok forderten kürzlich die thailändische Regierung auf, Kambodschaner aus der Region um den Tempel zu vertreiben. Der Internationale Gerichtshof hatte die Region um den Tempel 1962 zur Verärgerung vieler Thailänder Kambodscha zugesprochen. Der Tempel gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist nach kambodschanischen Behördenangaben am Sonntag teilweise eingestürzt. Thailändisches Artilleriefeuer sei dafür verantwortlich. Thailand wies das als Propaganda zurück.

** Aus: junge Welt, 8. Februar 2011


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