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Fortsetzung im Streit um Khmer-Erbe

Zerwürfnis zwischen Bangkok und Phnom Penh

Von Thomas Berger, Bangkok *

Die Beziehungen zwischen Thailand und Kambodscha befinden sich zu Jahresbeginn auf einem Tiefpunkt - was sich auf die ganze Region auswirken könnte.

»Verfassungswidrig« (Unconstitutional) stand in großen roten Lettern auf der Titelseite des thailändischen Wirtschaftsblattes »The Nation«. Die Zeitung fasste auf diese Weise ein Urteil zusammen, das Thailands Oberstes Verwaltungsgericht noch kurz vor Ende des Jahres 2009 gefällt hatte - zu Regierungsaktivitäten, die anderthalb Jahre zurückliegen.

Es geht - wieder einmal - um den Tempel Preah Vihear, ein Zeugnis alter Khmer-Kultur aus dem 11. Jahrhundert, unmittelbar an der heutigen Grenze zwischen Thailand und Kambodscha gelegen. Das Gebiet, wie der gesamte Nordwesten Kambodschas, wurde Ende des 18. Jahrhunderts von Thailand (damals Siam) erobert, bevor die französische Kolonialmacht in Indochina die Siamesen 1907 zum Rückzug an die heutigen Grenzen zwang. Der Internationale Gerichtshof bestätigte 1962 Kambodschas Souveränität über den Tempel, der Streit um Zufahrtswege und umliegende Flächen schwelte jedoch weiter und brach erneut aus, als Kambodscha 2008 bei der UNESCO darum ersuchte, Preah Vihear in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Natürlich versprach sich die Führung in Phnom Penh davon einen erheblichen Zustrom an Touristen.

Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen entsprach dem Antrag im Juli 2008, nachdem ihn Thailands damaliger Außenminister Noppadon Pattama in einem gemeinsam mit Kambodschas Vizepremier Sok An formulierten Kommuniqué unterstützt hatte. Das Kommuniqué wurde von Thailands Regierung unter Samak Sundaravej in einer Resolution gebilligt. Bald darauf wurde in Bangkok jedoch scharfe Kritik laut: Die Regierung habe nationale Interessen preisgegeben.

Der Konflikt eskalierte, als es im Oktober 2008 zu Schusswechseln an der Grenze kam. Eine militärische Konfrontation größeren Ausmaßes konnte nur durch das Einlenken der beiden Regierungschefs abgewendet werden. Mehr als ein Jahr danach stellte das von Nationalisten angerufene Gericht nun fest, die Zustimmung der Regierung zum gemeinsamen Kommuniqué mit Kambodscha sei mangels vorheriger Abstimmung im Parlament verfassungswidrig gewesen. Mit diesem Urteil erhalten all jene in Bangkok Aufwind, die auch nur die teilweise Preisgabe der Souveränität über wenige Quadratmeter thailändischen Bodens bei Grenzverhandlungen ablehnen.

Thailands derzeitige Regierung setzt solchen Scharfmachern wenig entgegen. Denn seit Kambodschas Premier Hun Sen den im Jahre 2006 gestürzten thailändischen Expremier Thaksin Shinawatra zu seinem Wirtschaftsberater ernannt hat, sind die zweiseitigen Beziehungen noch weiter abgekühlt. Thaksin wurde in Thailand verurteilt und lebt im Exil, meist allerdings in Dubai. Hun Sen lehnt eine von Thailand geforderte Auslieferung seines ehemaligen Amtskollegen ab, dessen Verurteilung sei politisch motiviert, sagt er. Zuletzt warf er der thailändischen Regierung sogar vor, sie plane einen Staatsstreich in Kambodscha, was in Bangkok natürlich umgehend bestritten wurde.

Das Zerwürfnis der beiden Nachbarn bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Region. Die ASEAN (Assoziation Südostasiatischer Nationen), in der Thailand wie Kambodscha Mitglied sind, will bis 2015 zu einer Gemeinschaft nach dem Vorbild der EU zusammenwachsen. Der Konflikt treibt jedoch einen Keil in den Staatenbund, denn Laos und Vietnam sind traditionell Verbündete Kambodschas, während Thailand gerade das Verhältnis zum Nachbarn Malaysia pflegt. Bis zu einem geeinten Südostasien werden wohl noch manche Hürden überwunden werden müssen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2010


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