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Die Kraft der Niedriglöhne

Kambodscha: Fahrradexporte in die EU sprunghaft gestiegen. Arbeiter verdienen 33 Cent pro Stunde

Von Michelle Tolson, Phnom Penh (IPS) *

Kambodscha hat in den vergangenen zwei Jahren seine Fahrradexporte in die EU kräftig angekurbelt. Das südostasiatische Land gehört mittlerweile zu den zehn größten Fahrradlieferanten nach Europa. Die Erfolgsgeschichte hat den europäischen Fahrradherstellerverband EBMA neugierig gemacht und zu einer Untersuchung veranlaßt. Das Ergebnis: Es sind die Hungerlöhne und geringen Steuern, die die Produzenten nach Kambodscha treiben.

2011 verkaufte Kambodscha 366000 Fahrräder in der EU und konnte diese Zahl in der ersten Hälfte von 2012 nahezu verdreifachen, wie das On­line-Magazin Bike Europe berichtete. Von Januar bis Juni vergangenen Jahres wurden somit 520000 Fahrräder nach Europa ausgeführt, während es im gleichen Zeitraum des Vorjahres nur 140000 gewesen waren. Der Preis für ein Fahrrad lag demnach bei 200 Euro.

Wie EBMA herausfand, haben mehrere Hersteller ihre Produktion inzwischen von Thailand und China nach Kambodscha verlagert. Sie hätten dies mit dortigen Kostensteigerungen begründet. Schätzungen zufolge hat die Entscheidung ihnen 14 Prozent Steuern erspart. Gemäß dem Allgemeinen Präferenzschema (GSP) der EU profitiert Kambodscha als eines der weltärmsten Länder (LDC) von Sonderregelungen. Das Übereinkommen »Alles außer Waffen« gestattet den 48 LDCs, ihre Erzeugnisse zollfrei in die EU-Länder zu exportieren. Nur Waffen und Munition sind von der Regelung ausgenommen.

Das Anfang 2011 in Kraft getretene Abkommen sorgte dafür, daß Kambodscha seine Ausfuhren in die EU um 53 Prozent steigern konnte. Damit ist die Europäische Union nach den USA der zweitgrößte Exportpartner des südostasiatischen Landes geworden, heißt es in kambodschanischen Medien.

In China verdienen Arbeiter in der Fahrradproduktion inzwischen 400 Dollar im Monat. In Kambodscha dagegen liegt der monatliche Mindestlohn bei nur 61 Dollar.

Schon in einem 2008 verbreiteten Report war der Mindestlohn der damals 1500 Beschäftigten in der kambodschanischen Fahrradindustrie mit 60 Dollar im Monat angegeben worden, das bedeutet 33 Cent pro Stunde. Um auf 60 Dollar monatlich zu kommen, war eine Sechs-Tage-Arbeitswoche notwendig. Die Informationen zeigen, daß die Löhne in Kambodscha in den vergangenen vier Jahren nicht gestiegen sind.

Ein Berater von Nichtregierungsorganisationen erklärte, daß viele Fabrikarbeiter nicht mehr als zwei Dollar am Tag verdienten. Einige Fabriken zahlen zu dem Monatsgehalt auch einen Essenszuschuß. Die Arbeiter haben nur kurze Pausen und kaufen ihr Essen meist bei Straßenverkäufern, die vor den Fabriktoren warten. Manche Arbeitgeber beteiligen sich zudem an den Fahrtkosten. In Kambodscha gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel, so daß die Arbeiter mit Motorradtaxis kommen müssen, die für eine Fahrt zwischen 50 Cent und einem Dollar berechnen.

Mitte Dezember berichteten lokale Zeitungen, daß etwa 1000 Arbeiter in einer Fahrradfabrik von Smart Tech in Svay Rieng in den Streik getreten waren, um eine Lohnerhöhung durchzusetzen. Zwei Monate zuvor hatte es ähnliche Proteste in einer Produktionsanlage von A&J gegeben.

Nhanh Kosol, einer der streikenden Arbeiter, berichtete, daß er zwar nach wie vor nur 61 Dollar monatlich verdiene, sich der Arbeitgeber jedoch immerhin bereit erklärt habe, einen Fahrtkostenzuschuß von 13 Dollar pro Monat zu leisten. Mehrarbeit ab fünf Überstunden täglich werde mit drei Dollar vergütet. Die in den letzten beiden Jahren durchgeführten Streiks hätten »ein bißchen geholfen, mehr nicht«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 31. Januar 2013


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