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Ungleicher Kampf um die Hütten

"Elite Town" statt Wohnraum für Arme - Zwangsvertreibungen in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh

Von Michael Lenz, Phnom Penh *

Zehntausende Bewohner von Armensiedlungen wurden in den letzten Jahren in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, zwangsumgesiedelt. Jetzt soll das Viertel rund um einen See an der Reihe sein - doch die Bewohner wehren sich.

Der Weg zu Kolap führt durch das Backpackerviertel am Boeung-Kak-See mit seinen billigen Herbergen, Bars und Internetcafes. Der Bürgerrechtsaktivist einer kambodschanischen Landrechteorganisation führt immer tiefer durch ein Gewirr von Gassen. Der feste Weg geht in einen Holzsteg aus verwitterten Planken über, die auf reichlich schiefen und beängstigend dünnen Pfählen ruhen. Der Steg reicht weit in den See hinaus. Rechts und links stehen Holzhütten. Kinder spielen auf der hölzernen Dorfstraße, Frauen in bunten Sarongs schwatzen, waschen, tragen ihre Einkäufe nach Hause.

Der Boeung-Kak-See ruhte bisher still in bester Lage in einem Teil der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh, der sich langsam zu einem Viertel mit Banken, Hotels und Regierungsneubauten mausert. Auf dem See haben Arme ohne Land ihre Dörfer auf Stelzen gebaut, um ihn herum siedeln kleine Gewerbetreibende. Jetzt wird er zugeschüttet, um Bauland für Prestigeobjekte wie Luxuswohnungen, teure Hotels und opulente Einkaufszentren zu schaffen. Auf den 132 Hektar Land rund um den See sind 4252 Familien von Zwangsräumung und Zwangsumsiedlung bedroht.

Repressionen sind an der Tagesordnung

Bevor wir in diese Dorfwelt eindringen, warnt mein Begleiter: »Besser steckst du jetzt die Kamera weg.« Er fürchtet nicht Diebe, sondern Aufpasser der Regierung und der Investorenfirma, die gegen jeden vorgehen, der sich für die Geschehnisse zu sehr interessiert. Mein Begleiter, der anonym bleiben will, sagt: »Repressionen gegen alle, die sich für die Rechte der Menschen hier am See einsetzen, sind an der Tagesordnung.«

Die drohende Vertreibung am Boeung-Kak-See ist kein Einzelfall. Seit vielen Jahren müssen Slums in Phnom Penh Megabauprojekten weichen, von denen niemand so genau weiß, ob sie wirklich realisiert werden oder ob es nach der Fertigstellung für all die teuren Immobilien überhaupt einen Markt im bitterarmen Kambodscha geben wird. Oft ist auch unklar, wer die Bauherren sind. Ein europäischer Finanzexperte, der namentlich nicht genannt werden will, sagt: »Es wird offenbar nicht mit Bankkrediten gebaut, aber trotzdem ist Geld da. Das kann nur Schwarzgeld sein.«

Erst im Juli wurden 70 Familien von einem »Gruppe 78« genannten Stück Land in unmittelbarer Nähe des Parlaments am Ufer des Flusses Bassac von Polizei und Militär zwangsgeräumt. Das Land wird für die »Elite Town« gebraucht, die dort und auf der Diamanteninsel im Fluss gebaut wird. Kurz darauf wurden 40 Familien mit Aids aus dem Stadtteil Borei Keila vertrieben, wo Apartmenthäuser entstehen sollen. Zwischen 2003 und 2008 sind nach Angaben der kambodschanischen Menschenrechtsorganisation LICADHO in Phnom Penh mehr als 30 000 Menschen aus ihren Siedlungen vertrieben worden. In ganz Kambodscha sollen es 150 000 sein. Manfred Hornung, der als Rechtsberater für die Organisation arbeitet, sagt: »Der Landraub ist größte Menschenrechtsproblem in Kambodscha.«

Elf Menschen, ein Hund und zwei Katzen teilen sich die Hütte von Kolap. Der große Raum mit einer riesigen Stereoanlage und einem Fernseher ist Wohnzimmer, Schlafzimmer, Vorratslager, Esszimmer und Garage für die drei Mopeds zugleich. Lücken im Dach sind mit Pappe geflickt. Gekocht wird auf einer Art Veranda, von der aus man früher einen tollen Blick über den See hatte. Heute sieht man fast nur noch Bagger und Pipelines auf der Sandzunge, die sich immer weiter in den See frisst. Gut ein Drittel ist bereits zugeschüttet.

Kolap und ihr Mann sind stolz auf ihr Heim. »Das ist unser Haus. Wir haben es 1990 gekauft und seitdem leben wir hier«, sagt sie und fügt hinzu: »Wir haben die Dokumente und können alles beweisen. Wir wollen bleiben und das wollen alle hier.« Kolap muss es wissen, denn sie ist »Community Leader«, eine Art Bürgermeisterin des Dorfes mit der Nummer 6. Kolap versucht, den Zusammenhalt zu organisieren.

Erfahrungen aus früheren Vertreibungen zeigen, dass die Entwickler und Behörden die Betroffenen geschickt gegeneinander ausspielen. Es gibt keine einheitlichen Standards bei den Entschädigungen. Die Faustregel: Wer besser pokert, schlägt mehr raus. Wer zu hoch pokert, kriegt nichts. Say Ouk aus »Gruppe 78« akzeptierte am Abend vor der Vertreibung 8000 Dollar. Einige Familien, die bis zum Anrücken der Abrissbagger die Nerven behielten, erhielten 12 000 Dollar.

Das Landgesetz ist in der Praxis nichts wert

Derartige Summen klingen nach viel Geld in einem armen Land wie Kambodscha. Aber in der Realität werden die Slumbewohner betrogen. In den allermeisten Fällen nämlich gehört ihnen laut dem Landgesetz das Grundstück, auf dem sie vor zehn, fünfzehn Jahren ihre Hütten gebaut haben. »Der Marktpreis liegt bei gut 1300 Dollar pro Quadratmeter. Da kommt selbst bei einer Hütte von 20 Quadratmetern eine ordentliche Summe raus«, sagt Ratchana Bun von der unabhängigen »Housing Rights Task Force«. »Aber durch Schikane und Einschüchterungen durch die Behörden werden die Siedler daran gehindert, ihre Ansprüche legal festschreiben zu lassen.«

Das Landgesetz aus dem Jahr 2001 sollte eigentlich der Startschuss zum Aufbau des vom Pol-Pot-Regime komplett zerstörten Katasterwesens werden. Seitdem läuft ein gigantisches Landvermessungsverfahren, das von internationalen Institutionen wie der Weltbank und Geberländern wie Deutschland finanziert wird, die jedoch lange zu den Vorgängen geschwiegen haben. Nach der Zwangsumsiedlung der Aidsfamilien aber forderten Geber wie die Vereinten Nationen, die EU und die Weltbank in einem gemeinsamen, auch von der deutschen Botschaft in Phnom Penh unterzeichneten Schreiben die Regierung Kambodschas auf, die Vertreibungen zu stoppen, »bis ein fairer und transparenter Mechanismus zur Lösung der Landdispute eingeführt und eine umfassende Umsiedlungspolitik entwickelt worden ist«.

Für die Menschen vom See werden in Damnak Troyeng, etwa 20 Kilometer entfernt von Phnom Penh, Häuser gebaut, die nach deutschem Verständnis allenfalls Garagen wären. So Samen und seine Familie leben seit einem Jahr in einem dieser Häuser. Sie gehörten zu den ersten, die vom See vertrieben wurden. Mehr als das nackte Haus haben sie nicht bekommen. Die Kabel für die Elektrizität mussten sie selbst bezahlen, ebenso wie 130 Dollar Gebühr für den Anschluss an das Stromnetz.

Dilemma der Hilfsorganisationen

Das Schlimmste aber, was den Zwangsvertriebenen angetan wird, ist der Verlust ihrer Lebensgrundlage. In den gut 40 Umsiedlungsgebieten wie etwa Andong, wo 1500 Familien unter menschenunwürdigen Umständen leben, gibt es keine Arbeit. Die fünf Dollar für eine Fahrt nach Phnom Penh kann sich keiner der Vertriebenen leisten, die früher als Müllsammler oder Bauarbeiter in der Hauptstadt einen Dollar am Tag verdienten.

Dafür zu streiten, dass die Armen in ihren Hütten bleiben und ihre schlecht bezahlten Jobs behalten können, stellt für Hilfsorganisationen ein Dilemma dar. Lisa Lenz, die als Friedensfachkraft des Deutschen Entwicklungsdienstes zusammen mit kambodschanischen Land- und Bürgerrechtsorganisationen Betroffene über ihre Rechte aufklärt, sagt: »Das ist für sie besser als nichts, zumal ihnen das Land ja meist gehört.« Im Prinzip.

* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2009


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