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Prekär in Phnom Penh

Vertreibung und Bauboom: Kambodschas Regierung will Konzessionen von Immobilienentwicklern prüfen. Ermittlerteam untersucht Tod von Umweltaktivisten

Von Thomas Berger *

Es sieht aus wie eine jähe Wendung: Jahrelang hatte Kambodschas Regierung unter Premier Hun Sen zumindest stillschweigend zugesehen, wie Bürger für kommerzielle Projekte von ihrem Grund und Boden vertrieben wurden. Allein in der Hauptstadt Phnom Penh und im unmittelbaren Umfeld der Metropole am Zusammenfluß von Tonle Sap und Mekong gibt es zahlreiche derartige Fälle. Jetzt hat der Ministerrat in einer Sitzung Ende April beschlossen, vorerst keine neuen Landkonzessionen zu vergeben und die bisherigen einer genauen Überprüfung zu unterziehen. Die Entscheidung ist von Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen zwar prinzipiell begrüßt worden. Doch sie zeigen sich bislang skeptisch, ob hinter der Ankündigung wenige Wochen vor anstehenden Wahlen tatsächlich ein grundlegender Politikwechsel steht oder das scheinbare Umdenken nur ein Manöver der regierenden Kambodschanischen Volkspartei (CPP) ist.

Konkrete Vorgaben, nach welchen Kriterien die Überprüfung in der Vergangenheit abgesegneter Landkäufe erfolgen soll, gibt es noch nicht. »Dieses Moratorium kann nur der allererste Schritt in einem längeren Prozeß sein«, warnte Mathieu Pellerin Anfang Mai von der Landrechtsvereinigung ­LICADHO gegenüber der Zeitung Phnom Penh Post. »Wir sind nur wenige Wochen von Kommunalwahlen entfernt – handelt es sich also um eine ehrliche Initiative oder nur den Versuch der Regierung, den Leuten das zu sagen, was sie gerne hören wollen?«

Das vermutet auch Koul Panha von der Wahlbeobachtungsvereinigung COMFREL. »Das Thema ist hochpolitisiert, so daß sich etwas tun mußte. Doch Versprechen haben wir schon viele gehört – jetzt müssen sie etwas Belastbares, ein konkretes Verbot weiterer Konzessionen vorlegen«, wird Panha zitiert.

Pen Bonnar, regionaler Koordinator von ADHOC, einer weiteren Bürgerrechtsorganisation in der Provinz Ratanakkiri, verweist auf den Umstand, daß dort der Prozeß der Landnahme durch »Geschäftsleute« besonders verbreitet ist. Dies untersucht derzeit auch eine UN-Mission. »Mindestens die Hälfte der hier gewährten Konzessionen ist illegal, die Leute nutzen das nur für den Holzeinschlag, die Plünderung der Wälder«. Ein klarer Stopp für neue Verträge sei nur das eine. Aber auch die bestehenden Konzessionen müßten unbedingt genau unter die Lupe genommen werden, fordern die Aktivisten.

Prominentes Beispiel für kommerzielle Landnahme und Vertreibung angestammter Bewohner ist das Gebiet rings um den größten See der Hauptstadt, des Boeung Kak. Die Firma Shukaku, die einem Senator der Regierungspartei gehört, will dort in Kooperation mit chinesischen Partnern ein Hotel-, Wohn- und Geschäftsviertel für die Wohlhabenden errichten. Seit dem Vorjahr läuft die auch aus ökologischer Sicht bedenkliche Verfüllung des Gewässers. Die ersten Anwohner mußten bereits ihre Hütten verlassen. Die Betroffenen haben keine Besitztitel, die sie schützen könnten. Sie oder ihre Eltern hatten unmittelbar nach dem Ende der Schreckensherrschaft des Pol-Pot-Regimes (1975–1979) das Gebiet besiedelt. Ein früheres Programm, langjährigen Bewohnern bestimmter Areale wie in diesem Fall eine Legalisierung zu ermöglichen, ist von der Regierung 2010 faktisch beendet worden. Selbst die sonst investorenfreundliche Weltbank hat angekündigt, Kambodscha vorerst von den Kreditvergaben auszuschließen, solange dieser Landkonflikt schwelt.

Falls der neue Kurs in Regierungskreisen ernst gemeint sein sollte, wäre auch dies nur ein erster Schritt. Oft sind es nicht die Ministerien in Phnom Penh, sondern lokale Behörden, die gegen Geld windigen Geschäftsleuten Konzessionen überlassen und notfalls auch mit Einsatz staatlicher Sicherheitskräfte deren Interessen schützen. So berichtete die britische BBC Anfang des Jahres über den Fall eines Investors aus dem benachbarten Thailand, für dessen Pläne zur Errichtung einer Zuckerfabrik etliche Dorfbewohner weichen mußten. Diese ließen sich das nicht widerstandslos gefallen, bei Protestaktionen kam es zu Festnahmen, eine zu diesem Zeitpunkt hochschwangeren Frau mußte ihr Kind im Gefängnis gebären.

Gegen diese Art der Landnahme, die Presseberichten zufolge inzwischen 15 Prozent der gesamten Nutzfläche umfassen soll, hat auch Chun Wutty gekämpft. Der landesweit bekannte Umweltschützer kam am 1. Mai unter bislang ungeklärten Umständen ums Leben, als er erneut Recherchen in diesem Bereich anstellte. Ein Militärpolizist, der ihn auf seiner Exkursion begleitete, ist ebenfalls tot. Ob der Bewaffnete den Umweltaktivisten in einem persönlichen Streit erschoß, von der Landmafia gekauft war oder beide gleichermaßen das Opfer unbekannter Täter wurden, soll nun eine Sonderkommission untersuchen. Deren Bildung hat die Regierung angekündigt. Ihr sollen Vertreter mehrerer Ministerien angehören – ob auch Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen dabeisein dürfen, war zunächst noch nicht klar. Bürgerrechtler fordern dessenungeachtet, wenigstens einen früheren Richter oder andere als unabhängig geltende Persönlichkeiten als Rechtsexperten einzuzahlen, um etwaige Vertuschungsversuche zu vereiteln. Denn ranghohe CPP-Mitglieder sollen persönliche Verbindungen zur Landmafia unterhalten, gar selbst oder über Strohmänner aus dem Familien- und Freundeskreis an der Spitze von derartigen Firmen stehen. So ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Morduntersuchung, aber auch in die angekündigte Überprüfung der Landkonzessionen doch sehr begrenzt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 10. Mai 2012


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