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"Unreif für Demokratie"

Jordanien: König Abdullah läßt wählen, um seine absolute Macht zu festigen. Angeblich stammt er vom Propheten ab, aber ob ihm das auch in Zukunft nützt, ist ungewiß

Von Gerrit Hoekmann *

Wenn am heutigen Mittwoch drei Millionen wahlberechtigte Jordanier ein neues Parlament bestimmen, dann steht die größte organisierte politische Kraft im Königreich nicht auf dem Stimmzettel. Die »Islamische Aktionsfront«, der politische Arm der jordanischen Muslimbrüder, hat zum Boykott aufgerufen. Den religiösen Fundamentalisten gehen die von König Abdullah zaghaft eingeleiteten demokratischen Reformen nicht weit genug, berichtete der arabische Fernsehsender »Al-Dschasira«. Auch linke Gruppen, die Gewerkschaften und die Protestbewegung »Hirak«, ein weitverzweigtes Netzwerk aus bürgerlichen Politikern und Aktivisten der Twitter-und-Facebook-Generation wollen an der Wahl nicht teilnehmen.

Besonders das ungerechte Wahlsystem ist der Opposition ein Dorn im Auge, weil es die Monarchisten begünstigt. Weit über die Hälfte der Parlamentssitze ist von vornherein für Einzelkandidaten reserviert, Parteien dürfen nur ungefähr ein Fünftel der Abgeordneten stellen. Die Einzelbewerber stammen überwiegend aus den ländlichen Gebieten, dort, wo die großen Beduinenfamilien das Sagen haben, die traditionell dem König verpflichtet sind. Damit bei einem Urnengang auch wirklich für den König alles glatt läuft, wiegt eine Stimme auf dem Land laut Wahlgesetz zudem noch dreimal soviel wie eine in der Hauptstadt Amman, wo die Einwohner es eher mit der Opposition halten. Hinzu kommt, daß manche Kandidaten sich die Stimmen der Wähler zusammenkaufen, schreibt die in London erscheinende saudiarabische Tageszeitung Al-Hayat. Eine Handvoll Politiker muß sich deshalb wegen Wahlbetrugs bereits vor Gericht verantworten.

Lange Zeit stand Regent Abdullah außerhalb der Kritik der Opposition. Das Königshaus der Haschemiten besitzt nach wie vor eine große Autorität im Land. Immerhin kann sich der König auf eine direkte Abstammung vom Propheten Mohammed berufen. Doch allmählich werden die Stimmen lauter, die seine Abdankung fordern. Zumindest aber die vollständige Übergabe seiner Macht an das Parlament. Aber der Herrscher ziert sich. Einzige Reform bis jetzt: Die Abgeordneten dürfen nach der Wahl zum ersten Mal seit 1956 den Ministerpräsidenten und die Regierung selbst bestimmen – bislang ein Vorrecht des Königs. Sonst bleibt alles beim alten: Der Monarch kann zum Beispiel den Ministerpräsidenten entlassen oder das Parlament auflösen, wenn ihm danach ist. Wie im vergangenen Oktober, als er die Abgeordneten kurzerhand ihres Amtes enthob und die jetzt stattfindenden Neuwahlen ausrief.

»Der König will dem nächsten Parlament freiwillig Schritt für Schritt die Macht übergeben«, zitiert Al-Hayat den amtierenden Ministerpräsidenten Abdullah Ansour. »Wir sind im Moment noch nicht in der Lage, die Macht des Königs in der Verfassung zu ändern, weil der demokratische Prozeß in Jordanien gerade erst begonnen hat.« Das Volk ist nach Abdullahs Ansicht noch zu unreif für wirkliche Demokratie.

Viele Jordanier sehen das sogar ähnlich. »Syrien wirft einen Schatten bis nach Jordanien, da die Menschen Angst haben, in einen Bürgerkrieg abzurutschen. Deshalb halten sie lieber den Mund, als sich gegen die Korruption oder anderes aufzulehnen«, glaubt der linke Gewerkschafter Khalid Kalaldeh in einem Interview mit dem Online-Blog »alsharq.de«. Viele Jordanier würden deshalb auch mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad sympathisieren.

Die »Islamische Aktionsfront« und ihre Anhänger stehen jedoch auf der Seite der syrischen Rebellen und fordern auch in Jordanien »mehr Demokratie«, was für die Fundamentalisten im Prinzip bedeutet, das islamische Gesetz, die Scharia, einzuführen. Mitte November konnten sich die Islamisten an die Spitze einer Protestbewegung setzen, die gegen eine drastische Erhöhung der Brennstoffpreise um über die Hälfte auf die Straße ging. Die Regierung hatte damals die Subventionen für Öl und Gas gekappt – kurz vor dem Winter, der auch im Wüstenstaat Jordanien zuweilen recht ruppig werden kann, ein Affront gegen alle armen Untertanen des Königs. Doch das kleine Königreich, seit jeher ein treuer Vasall der USA, will dringend zwei Milliarden Dollar vom Internationalen Währungsfonds und bekommt das Geld nur, wenn es das Haushaltsdefizit verringert und dafür notfalls auch Subventionen streicht.

Dabei geht es vielen Jordaniern schon jetzt schlecht, die Zahl der Mittellosen wächst seit Jahren stetig. Die Arbeitslosigkeit liegt inoffiziell bei 25 Prozent, der Staatshaushalt ist zerrüttet, die Korruption ufert aus, die Inflation steigt und mit ihr der Preis für Grundnahrungsmittel. Wie überall treffen die Sparmaßnahmen die Armen am härtesten, und so wehte im November ein Hauch von arabischem Aufruhr durchs Land. Die Polizei setzte Knüppel und Wasserwerfer gegen die Protestierenden ein. Aber auch wenn am Ende drei tote Aktivisten zu beklagen waren – bis jetzt ist es noch nicht zur großen Konfrontation mit dem König gekommen. Ob es so bleibt, wird davon abhängen, wie viele seiner Versprechen Abdullah nach der Wahl umsetzt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 23. Januar 2013


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