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Die Opposition bleibt königstreu

In Jordanien werden Rufe nach Reformen lauter. Die Monarchie aber steht nicht zur Debatte

Von Martin Lejeune *

Tausende Jordanier haben in den vergangenen Tagen erneut in der Hauptstadt Amman für politische Reformen demonstriert. Diese wöchentlichen Proteste halten nun schon seit über einem Monat an.

»Die Demonstranten trugen Transparente mit der Aufschrift ›Das Volk will das Regime reformieren‹ und ›Das Volk will die Auflösung des Parlaments‹«, berichtet im Gespräch mit ND der jordanische Schriftsteller Elias Farkouh, der im Zentrum von Amman wohnt. Zu der Kundgebung aufgerufen hätten die linksgerichtete Partei der Volkseinheit und die Islamische Aktionsfront. Letztere, eine religiös-konservative Partei, die aus den Muslimbrüdern hervorgegangen ist, hatte die jüngste Parlamentswahl im November vergangenen Jahres boykottiert, weil sie sich durch ein neues Wahlgesetz benachteiligt fühlte.

»Im Parlament stehen 103 der 120 Abgeordneten loyal zu König Abdullah II.«, kritisiert auch Farkouh, der einer bekannten christlich-armenischen Familie aus Homs in Syrien entstammt und in linken Kreisen politisch aktiv ist. Dass die Proteste auf den Straßen Ammans seit Wochen nicht abflauen, obwohl Abdullah II. im Februar bereits die komplette Regierung austauschte, zeige laut Farkouh, dass sich hier eine lange Zeit unterdrückte Stimme des Volkes endlich Gehör verschaffe, die einen Wandel des Systems und mehr politische Freiheiten wolle. Aus Farkouhs Sicht, dessen literarische Werke auch ins Englische, Französische und Deutsche übersetzt wurden, habe Abdullah II. vor allem in der Wirtschaftspolitik zu viele Entscheidungen getroffen, die nicht den Interessen der Bevölkerung entsprochen hätten. Hintergrund dafür sei sein aus den USA importierter ultraliberaler Kurs und die von ihm initiierte Privatisierungswelle, welche an der zunehmenden Verarmung der Bevölkerung schuld sei: »In den letzten sieben Jahren wurden staatseigene Unternehmen an private Investoren unter Wert verkauft. Diese Art von Korruption kommt einem Ausverkauf von Volksvermögens gleich.« Zeitgleich stiegen in Jordanien die Preise für Lebensmittel, Benzin, Wasser und Elektrizität, was für eine noch stärkeres Arm-Reich-Gefälle gesorgt habe.

Jordanien ist eine erbliche Monarchie. Das Königshaus der Haschemiten leitet sich in der 43. Generation vom Propheten Mohammed ab. Die Legislative wird vom König gemeinsam mit der Nationalversammlung ausgeübt. Als Staatsoberhaupt hat der Monarch das Recht, sowohl den Premierminister als auch dessen Kabinett zu ernennen und das Abgeordnetenhaus aufzulösen. Der König agiert also als letzte Entscheidungsinstanz der Legislative, Exekutive und Judikative zugleich. Er kann zum Beispiel die Verfassung ändern, Richter ernennen und entlassen und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

»Trotzdem stimmt die Mehrheit der Gesellschaft noch immer mit der Monarchie als Staatsmodell überein«, gibt Farkouh die derzeitige Stimmung im Lande wieder. Niemand in Jordanien wolle einen Sturz des Königs, dessen Macht fest auf der Unterstützung durch die zahlreichen Beduinenstämme gegründet sei. Zudem basiere das politische System Jordaniens nicht auf Tyrannei, sondern sei ein gemäßigt autoritäres System. »Daher gibt es eine Beziehung zwischen dem einfachen Volk und dem König, gar ein Vertrauen, eine Hoffnung, dass er dazu fähig ist, Reformen und Verbesserungen durchzuführen«, meint Farkouh, der 1948 in der Hauptstadt Amman geboren wurde.

Auf seine syrische Herkunft angesprochen entgegnet Farkouh: »Ich sehe mich als Araber, mein Herz brennt für Jordanien genauso wie etwa für Syrien oder Palästina.« Tatsächlich stammen weit mehr als die Hälfte der Jordanier ursprünglich aus Palästina. Jede fundmentale Veränderung in Jordanien könne daher theoretisch bedeuten, dass Jordanien Teil eines zukünftigen palästinensischen Staates werde, meint Farkouh. Und auf den Schwarzen September 1970 angesprochen, den Mord an Yasser Arafats Fatah-Leuten, die aus jordanischer Sicht dabei waren, den Staat zu unterminieren, erwidert der Romancier: »Wir wollen die Einheit von Jordaniern und Palästinensern. Wir wollen keinen Bürgerkrieg mehr.«

Er sieht die Situation in Jordanien ganz anders als jene in Libanon oder Syrien: Bei uns sind Palästinenser rechtlich gleichgestellt und nicht benachteiligt. Aber natürlich haben sie eine andere Identität und können ihren Traum von einem eigenen palästinensischen Staat niemals vergessen.« Wie wichtig die Palästina-Frage für Jordanien ist, zeigt die 238 Kilometer lange Grenze zu Israel, die seit 1994 eine befriedete ist. Jeder in der jordanischen Gesellschaft wisse, so Farkouh, dass ein so kleines und schwaches Land sich keine militärische Auseinandersetzung mit dem von der westlichen Welt hochgerüstetem Israel leisten könne. Daher sei eine Annullierung des Friedensvertrages mit Israel auch nach einem Sturz von Abdullah II. – unabhängig davon, wie stark dann noch die »Islamische Aktionsfront« sein werde – unwahrscheinlich.

Darum allerdings geht es den Demonstranten auch nicht. Sie verlangen politische Reformen. Fünf andere Oppositionsparteien hatten sich der Demonstration nicht angeschlossen. Sie wollen dem Dialog mit dem neuen Ministerpräsidenten Maruf Bachit noch eine Chance einräumen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. März 2011


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