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Schmutzige Kleidung

Ausgebeutet und vergewaltigt: Skandalöse Behandlung ausländischer Arbeiterinnen in jordanischer Textilfirma. Druck auf namhafte US-Handelspartner wächst

Von Thomas Berger *

Für ausländische Arbeitskräfte ist es – selbst bei legalem Aufenthaltsstatus – in vielen Ländern ohnehin schwierig, ihre Rechte durchzusetzen. Noch mehr trifft dies auf Frauen zu. In Jordanien gibt es aktuell einen Skandal um den größten Exporteur der Textilbranche. In der Firma Classic Jeans Apparel Manufacturing Ltd. (Classic Brands) sollen aus Südasien stammende Arbeiterinnen mindestens seit 2007 immer wieder durch Mitglieder des Managements sexuell belästigt, vergewaltigt und in Einzelfällen sogar gefoltert worden sein. Unterdessen wird der Druck auf die namhaften US-Handelspartner des Unternehmens immer größer, etwas gegen die Zustände bei dem jordanischen Zulieferer zu unternehmen. Nichtregierungsorganisationen und progressive Medien rund um den Globus haben die Vorfälle öffentlich gemacht.

Die zuständigen Behörden haben bislang wenig zur Aufklärung der Vorfälle beigetragen. Mitte Juni wurde lediglich Anil Santha, einer der beschuldigten Manager, zwei Tage lang von der jordanischen Polizei festgehalten und verhört, danach aber umgehend wieder auf freien Fuß gesetzt. Anil Santha steht im Mittelpunkt des Skandals. Immer wieder soll er sich für gewaltsame sexuelle Eskapaden jeweils fünf bis sechs junge Frauen aus Sri Lanka in ein Hotelzimmer haben bringen lassen. Gegen solche Übergriffe hatten die Arbeiterinnen 2010 sogar gestreikt, letztlich aber ohne Erfolg. Sanal Kumar, Eigentümer und Direktor von Classic Brands, nahm seinen Chefaufseher in der Fabrik lediglich für wenige Wochen aus der Schußlinie, indem er ihn auf Rekrutierungsmis­sion für neue Arbeitskräfte nach Südasien schickte. Anschließend war Anil ohne jegliche Konsequenzen wieder an seinem alten Platz.

Allein die Arbeitsbedingungen in der jordanischen Firma sind skandalös. Von den 4800 Beschäftigten sind die meisten Migranten. Sie stammen aus Sri Lanka, Indien, Nepal, Bangladesch und Ägypten. Eine Tagesschicht dauert einem aktuellen Bericht des Institute for Global Labour & Human Rights (IGLHR) zufolge in der Regel 13 Stunden, bei anstehenden Auslieferungen können aber auch 18 Stunden daraus werden. Die Näherinnen müssen demnach sechs, oft sogar sieben Tage pro Woche arbeiten, werden mit umgerechnet gerade einmal 61 US-Cent pro Stunde entlohnt, häufig geschlagen, beschimpft und zu Überstunden gezwungen. Die Gemeinschaftsunterkünfte, in denen sie hausen, sind von Ungeziefer befallen und haben in den oft kalten jordanischen Wintern weder Heizung noch warmes Wasser.

Das IGLHR, die Organisation Change sowie andere Menschenrechtsgruppen machen in den USA, Jorda­nien und Sri Lanka Druck. Sie fordern nachhaltige Ermittlungen wegen der Vergewaltigungsvorwürfe einerseits und wegen der extremen Ausbeutung und Unterbezahlung andererseits. Sowohl das Arbeitsministerium in Jordaniens Hauptstadt Amman als auch ein behördliches Untersuchungsteam aus Sri Lanka haben aber angeblich keine Anhaltspunkte für Übergriffe gefunden. Anil sei offenbar zu Unrecht beschuldigt worden, sagten Kingsley Ranawaka vom Sri Lanka Bureau of Foreign Employment und Oberst Nissanka Wijerathne vom zuständigen Ministerium vor der srilankischen Presse.

Classic Brands produziert für die führenden US-Handelsketten Wal-Mart, Kohl’s, Target, Hanes und Macy’s. In den dortigen Konzernzentralen versucht man, den Skandal um einen wichtigen Hersteller der in den Vereinigten Staaten verkauften Kleidung bislang totzuschweigen. Wie die britische Huffington Post in einer Titelstory berichtete, war keine der Abnehmerfirmen auf Nachfrage bereit, Fragen zum Umgang mit dem Zulieferer zu beantworten. Hanes antwortete gar nicht auf eine Interviewanfrage, während die Führungen der anderen Konzerne lediglich ihre Besorgnis über die Zustände in Jordanien zum Ausdruck brachten, sich aber nicht dazu äußern wollten, ob man weiter mit Classic Brands zusammenarbeiten oder Veränderungen im dortigen Management einfordern werde.

Unterdessen hat eines der Vergewaltigungsopfer, eine junge Frau aus Bangladesch, gegenüber Medienvertretern von den Übergriffen gegen sie und ihre Kolleginnen berichtet. Und vor dem Hauptquartier von Sears, einem weiteren namhaften Abnehmer der Ware, demonstrierten in Chicago kürzlich Schüler. Sie forderten das Unternehmen auf, seinen Einfluß auf die Arbeitsbedingungen in Jordanien geltend zu machen und Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.

* Aus: junge Welt, 2. September 2011


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