Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nicht ganz lupenrein:

Jemens Exilregierung

Von Knut Mellenthin *

Die von Präsident Hadi und Premierminister Bahah geführte jemenitische Exilregierung, die in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad residiert, ist von der UNO und allen Staaten der internationalen Gemeinschaft als einzige legitime Vertretung des Landes anerkannt. In Wirklichkeit gibt es zur Zeit allerdings kaum ein Gebiet im Jemen, wo diese Exilregierung – und nicht ihre Gegner oder die sehr selbständigen Milizen ihrer zeitweiligen Verbündeten – die Kontrolle ausübt.

Wodurch sonst sind diese beiden Politiker legitimiert? Bahah wurde im Oktober 2014 von Hadi als Regierungschef nominiert und im Dezember vom Parlament bestätigt. Dessen sechsjährige Amtszeit ist allerdings schon seit 2009 abgelaufen; die letzte Wahl fand am 27. April 2003 statt. Vor seiner Ernennung zum Premier war Bahah sechs Jahre lang Botschafter in Kanada und anschließend ein knappes Vierteljahr Vertreter Jemens bei der UNO in New York gewesen.

Was ist mit Hadi selbst? Er wurde am 21. Februar 2012 zum Präsidenten gewählt. Allerdings nur für eine Übergangszeit von zwei Jahren. Die ist inzwischen definitiv abgelaufen. Zudem war der Wahlvorgang alles andere als »lupenrein demokratisch«. Es gab keinen Gegenkandidaten; wer Hadi nicht wollte, musste »Nein« auf den Stimmzettel schreiben. Das offiziell mitgeteilte Ergebnis war zwar nicht überraschend, aber doch atemberaubend: Bei einer Wahlbeteiligung von 64,78 Prozent sollten 99,80 Prozent für Hadi gestimmt haben. Das würde schon unter normaleren Umständen niemand glauben, aber vor dem Hintergrund der Zerrissenheit der jemenitischen Gesellschaft war es geradezu eine Groteske. Die schiitische Minderheit hatte übrigens ebenso zum Wahlboykott aufgerufen wie die Separatisten des Südens.

Und dennoch: Die Oberhäupter der »internationalen Staatengemeinschaft« verkniffen sich das Lachen und gaben peinliche Statements ab. Der britische Außenminister William Hague: »Das jemenitische Volk hat deutlich gemacht, dass es in der demokratischen Zukunft des Jemen keinen Platz für Gewalt gibt.« Dmitri Medwedew für die Russische Föderation: »Wir stellen mit Genugtuung fest, dass die Republik Jemen sich auf dem Pfad der Wiederherstellung von Stabilität und Sicherheit bewegt.«

Die Wahl Hadis zum Präsidenten – er war schon seit 1994 Vizepräsident gewesen – folgte exakt einem Fahrplan, den die autokratischen Regimes des Golf-Kooperationsrats ausgearbeitet und durchgesetzt hatten. Mitglieder dieses Staatenbundes sind Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Katar, Bahrain und Oman. Vorausgegangen waren im Zeichen des »arabischen Frühlings« monatelange Massendemonstrationen gegen Hadis Vorgänger Ali Abdullah Saleh, der zunächst seit 1978 Präsident der Jemenitischen Arabischen Republik (Nordjemen) und seit dem Zusammenschluss beider Landesteile 1990 Staatsoberhaupt des gesamten Jemen gewesen war. Im Tausch gegen das Angebot, strafrechtlich nicht verfolgt zu werden und freie Ausreise in die USA zu erhalten, stimmte Saleh im November 2011 der Machtübergabe an Hadi zu.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. August 2915


Vor der Offensive?

Riad droht Jemen mit Bodentruppen

Von Knut Mellenthin **


Im Jemen droht möglicherweise eine Eskalation der von Saudi-Arabien angeführten internationalen Militärintervention. Westliche Zeitungen meldeten in der vergangenen Woche, dass nun doch der Einsatz von Bodentruppen geplant sei. Darüber war schon spekuliert worden, seit die Saudis und einige mit ihnen verbündete Staaten am 26. März die »Operation Entscheidungssturm« begonnen hatten. 150.000 saudische Soldaten stünden hinter der Grenze zum Einmarsch bereit, hieß es damals. Ägypten, das die stärksten Streitkräfte der arabischen Welt besitzt, habe mehrere zehntausend Mann Unterstützung zugesagt.

Von Zeit zu Zeit leben die Gerüchte über eine nahe bevorstehende Bodenoffensive der Interventionsstaaten wieder auf. Bisher beschränken sie sich jedoch in der Hauptsache auf tägliche Luftangriffe, denen nach übereinstimmendem Urteil unabhängiger Beobachter außergewöhnlich viele Zivilpersonen zum Opfer fallen. Darüber hinaus hat eine Seeblockade zum Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung des Jemen geführt. In normalen Zeiten führt das Land, in dem aus klimatischen Gründen kaum eine Landwirtschaft möglich ist, 80 bis 90 Prozent seines Bedarfs aus dem Ausland ein. An der Blockade beteiligen sich außer den Saudis auch die Vereinigten Emirate und Ägypten. Eine hohe Präsenz US-amerikanischer Kriegsschiffe gibt der Aushungerung der jemenitischen Bevölkerung Flankenschutz, indem sie die iranische Marine von einem Eingreifen abschreckt.

In kleinen Gruppen, man spricht von einigen Dutzend oder mehreren hundert, nehmen Soldaten und Offiziere aus Saudi-Arabien und anderen Interventionsstaaten schon jetzt am jemenitischen Bürgerkrieg teil. Sie fungieren als Ausbilder und Berater des Militärs der von der saudischen Hauptstadt Riad aus operierenden Exilregierung und der sie zeitweilig unterstützenden regionalen Milizen. Einigen Berichten zufolge sind auf jemenitischem Boden auch saudische Spezialeinheiten tätig. Eine besondere Truppe, die zwischen 50 und 100 Mann stark soll, dient als Leibwache für jemenitische Exilpolitiker, wenn diese sich zu einem ihrer sehr seltenen Kurzauftritte in den Jemen zurücktrauen. Über ihre Verluste bei solchen Einsätzen verraten die Interventionsstaaten in der Regel kaum etwas. Immerhin ist bekannt, dass mindestens drei Offiziere der Vereinigten Emirate im Jemen getötet wurden. Darunter einer bei der »Befreiung« Adens Mitte Juli. Die Exilregierung im fernen Riad ordnete daraufhin sofort an, eine Straße in der südjemenitischen Hafenstadt nach ihm zu benennen. Gleichzeitig erhielt die Hauptstraße Adens den Namen des saudischen Königs Salman. Populär ist das selbst bei den Verbündeten der Exilregierung nicht, denn die Saudis haben wegen ihrer zahlreichen Luftangriffe auf zivile Ziele keinen guten Ruf.

Zwei Argumente könnten aus Sicht der Interventionsstaaten, vor allem Saudi-Arabiens, dafür sprechen, trotz der auf der Hand liegenden Risiken Bodentruppen in größerer Zahl in den Jemen zu schicken. Erstens: Das bisherige militärische Eingreifen hat nicht zu wesentlichen Veränderungen zugunsten der Exilregierung und ihrer zeitweisen Partner geführt. Dabei hieß es zu Anfang, vor nunmehr schon über vier Monaten, dass es sich lediglich um eine kurze, zeitlich begrenzte Intervention handeln solle. Am 21. April gaben die Saudis sogar das Ende der »Operation Entscheidungssturm« bekannt. Begründung damals: Alle wesentlichen militärischen Ziele seien erreicht, das Potential der Gegner sei zerstört, sie stellten keine Gefahr mehr für Saudi-Arabien und andere Staaten der arabischen Halbinsel dar. Seither läuft das Eingreifen in den jemenitischen Bürgerkrieg unter dem Namen »Operation Wiederherstellung der Hoffnung« – mit sehr viel mehr Luftangriffen als zuvor. Den Namen haben die Saudis von der US-amerikanischen Militärintervention in Somalia übernommen, die im Dezember 1992 begonnen hatte. Kein gutes Omen: Präsident William Clinton ließ das Unternehmen nach dem Tod von 18 US-Soldaten beenden.

Zweites Argument für den Einsatz von Bodentruppen: Die Hauptgegner der Intervention, die Streitkräfte der schiitischen Organisation Ansarolla (im Westen oft despektierlich »Huthis« genannt), greifen mit Kurzstreckenraketen und Truppenvorstößen über die Grenze sehr wirkungsvoll saudische Militärposten und Stützpunkte an. Sie können dort einen klassischen Guerillakrieg führen, weil sie von großen Teilen der schiitischen Bevölkerung des nördlichen Jemen unterstützt werden. Außerdem ist das Gelände unwegsam und unübersichtlich. Die Grenze zwischen beiden Staaten ist rund 1.800 Kilometer lang. Dauerhaft könnten die Saudis die lästigen Angriffe von Ansarolla nur zu unterbinden versuchen, indem sie mit Bodentruppen gegen deren Stützpunkte auf der jemenitischen Seite der Grenze vorgehen. Das würde jedoch, zumindest in den nächsten Monaten, ihre militärischen Probleme noch mehr verschärfen.

Unterdessen machen die PR-Berater der Exilregierung auf Optimismus. Am Sonnabend tauchte deren Premierminister Khaled Bahah überraschend zu einem »symbolischen Besuch in Aden« auf, bei dem sich auch sechs Minister in seiner Begleitung befunden haben sollen. Angeblich fuhr er durch mehrere Bezirke der Hafenstadt und ließ sich über die Kriegsschäden am Präsidentenpalast, am staatlichen Rundfunksender und am Militärhauptquartier informieren. In Wirklichkeit ist ungewiss, ob Bahah bei dieser Stippvisite den gut gesicherten internationalen Flughafen von Aden verlassen hat, auf dem er mit einigen Journalisten sprach. In die Stadt, in der es immer noch Gebiete gibt, die von Ansarolla verteidigt werden, hat sich seit der »Befreiung« vor drei Wochen noch kein Vertreter der Exilregierung oder auch nur ihrer Zivilverwaltung getraut. Bahah flog, so wird berichtet, wenige Stunden später nach Dubai in den Vereinigten Emiraten weiter. Er gilt, das macht seinen Kurzauftritt interessant, als möglicher Nachfolger von Exilpräsident Abed Rabbo Mansur Hadi. Der war noch nicht wieder in Aden, seit er am 27. März nach Riad flüchtete. Nicht mal auf dem Flughafen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 4. August 2915

Jemen: Einseitige Aggression

Seit dem 26. März führt Saudi-Arabien im Bund mit einer Reihe anderer Staaten einen Luftkrieg gegen den Jemen, bei dem in erster Linie zivile Ziele angegriffen werden. Eine von Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Emiraten verhängte Seeblockade hat zum Zusammenbruch der Versorgung der jemenitischen Bevölkerung mit Lebensmitteln geführt. Nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen würden 21 Millionen Menschen, über 80 Prozent aller Bewohner Jemens, Hilfe in irgendeiner Form brauchen, die das Land jedoch nicht erreicht. Unter ihnen sind 13 Millionen, die an akuter Lebensmittelknappheit leiden. Sechs Millionen Menschen können nach Erkenntnissen der UNO nicht dauerhaft ohne Hilfe von außen überleben.

Ein Mandat der Vereinten Nationen gibt es für die saudische Militärintervention nicht einmal näherungsweise. Eine Aggression, gar ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder wenigstens ein ernsthaftes Diskussionsthema stellt sie nach Ansicht des UN-Sicherheitsrats trotzdem nicht dar. Dem vorherrschenden internationalen Verständnis von Recht und Legitimität zufolge darf jede Regierung, ob demokratisch gewählt oder selbsternannt, die Streitkräfte anderer Staaten ins Land rufen, um Krieg gegen Teile ihrer Bevölkerung zu führen. Den Sicherheitsrat geht das grundsätzlich nichts an.

Dementsprechend sind die in diesem Jahr verhängten Sanktionen und Strafmaßnahmen einseitig und ausschließlich gegen die schiitische Minderheit und gegen jene Teile des Militärs gerichtet, die den früheren Präsidenten Saleh unterstützen. Während Saudi-Arabien, die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Staaten ihre Verbündeten im jemenitischen Bürgerkrieg mit Militärgütern überschwemmen, hat der Sicherheitsrat gegen deren Gegner im April ein totales Waffenembargo verhängt. Die schiitische Ansarolla soll »sofort und bedingungslos« alle von ihren Streitkräften eingenommenen Gebiete, einschließlich der Hauptstadt Sanaa, räumen. Dass dann wahrscheinlich Al-Qaida und IS in das Vakuum nachrücken würden, scheint den Sicherheitsrat nicht beschäftigt zu haben. Wegen der Einseitigkeit des Waffenembargos enthielt sich Russland bei der Abstimmung. (kt)




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