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Der Krieg im Jemen zieht die verfehlten Grenzen des Mittleren Ostens neu

Berichte aus der Gefahrenzone

Von Conn Hallinan *

Der Jemen ist das ärmste Land in der arabischen Welt, bar jeglicher Ressourcen, zersplittert durch Stammeszugehörigkeiten und religiösen Konfessionalismus und geplagt durch Bürgerkriege.

Und doch ist dieses kleine Land am Rande der arabischen Halbinsel dabei, alte Allianzen zu zerschlagen und neue und überraschende zu erzeugen. Während Saudi-Arabien seine Luftangriffe auf Jemens Huthi Rebellen fortsetzt, sind Unterstützer und Gegner der Riad-Monarchie dabei, die politische Landschaft in einer Art und Weise neu zu justieren, die auch nach dem Ende der Kämpfe wohl nicht einfach verschwinden wird.

Die saudische Sicht des Krieges ist, dass der schiitische Iran versucht, den sunnitischen Jemen durch den Einsatz von Stellvertretern zu übernehmen – den Huthis – um die südliche Grenze des Königreichs zu bedrohen und die Kontrolle über die strategisch wichtige Bab-el-Mandeb-Straße, den Zugang zum Roten Meer zu gewinnen. Die Iraner hingegen behaupten, sie hätten keine Kontrolle über die Huthis und keine Pläne bezüglich der Meeresstraße. Sie sehen den Krieg als eine inner-jemenitische Angelegenheit, die von der dortigen Bevölkerung zu klären sei.

Die Saudis haben eine auf den ersten Blick gewaltig erscheinende Koalition zusammengebracht, die aus der Arabischen Liga, den Monarchien des Golf Kooperationsrates (GCC), der Türkei und den USA besteht. Allerdings ist diese „Koalition“ nicht so fest, wie sie erscheint – in der Tat ist es interessanter zu sehen, wer ihr nicht angehört als wer ihr angehört.

Freunde wie diese

Ägypten und die Türkei sind die treibenden Kräfte in der Allianz, aber es gibt da mehr „Klang und Wut“ (ein bekanntes Zitat aus Shakespeares „Macbeth“, d. Übers.) als Substanz in ihrer Unterstützung.

Anfänglich deutet Ägypten das Entsenden von Bodentruppen an – die saudische Armee schafft es nicht allein gegen die Huthis und deren Verbündete – aber bedrängt von Al-Monitor wurde Kairos Botschafter im Jemen äußerst vage: „Ich bin nicht derjenige, der über eine bodengestützte Intervention im Jemen entscheiden wird. Das obliegt der Einschätzung der höchsten Autorität des Landes und seiner nationalen Sicherheit.“

Da Saudi-Arabien den ägyptischen Militär-Coup gegen die Regierung der Muslim-Bruderschaft unterstützte und das Regime mit massiven Geldströmen absichert, könnte Riad möglicherweise Kairo dazu zwingen, Bodentruppen in den Krieg im Jemen zu schicken. Aber das letzte Mal, als Ägypten im Jemen einmarschierte, verlief die Operation nicht besonders erfolgreich: Vor knapp fünf Jahrzehnten hatte sich Ägypten auf ein Militärabenteuer in dem bergigen und schwer zugänglichen Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel eingelassen. Nach fünf Jahren Guerilla-Krieg zog der damalige Präsident Gamal Abdel Nasser seine 50.000 Soldaten aus dem Jemen zurück, nachdem dort mehrere Tausend ihr Leben verloren hatten.[1]

Während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Ankaras Unterstützung für „die saudische Intervention“ zusagte und verlangte, dass „der Iran und die terroristischen Gruppen“ sich zurückziehen, war er doch vorsichtig genug zu äußern, dass er das Angebot „logistischer Unterstützung abhängig von der Entwicklung der Lage in Erwägung ziehen könnte.“

Erdogan möchte den Iran für seine Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien bestrafen, wie auch für seine militärische Präsenz im Irak, wo Teheran die Regierung in Bagdad gegen den islamischen Staat unterstützt. Er möchte ferner saudische Geldquellen anzapfen. Die türkische Wirtschaft befindet sich in Schwierigkeiten –die Staatsverschuldung befindet sich auf dem höchsten Stand seit 10 Jahren, und die Kreditaufnahme verteuert sich gerade weltweit. Bei den anstehenden wichtigen Wahlen im Juni dieses Jahres hofft Erdogan auf saudische Hilfsleistungen.

Eine direkte Beteiligung am Krieg ist dann aber noch eine andere Sache. Die Türken glauben, dass sich die Saudis in eine missliche Lage manövriert haben – der Jemen ist ein äußerst schwieriges Terrain für eine erfolgreiche Kriegsführung und Luftangriffe ohne Bodentruppen haben keinerlei Erfolgsaussichten.

Als die Iraner scharf auf Erdogans Kommentare reagierten, ruderte der Präsident sofort zurück. Der Iran ist ein Haupthandelspartner für die Türken, und mit der Aussicht auf die Möglichkeit des baldigen Endes der internationalen Sanktionen gegen Teheran möchte die Türkei an dem Goldrausch, der mit ziemlicher Sicherheit folgen wird, einen Anteil haben. Während Erdogans kürzlich erfolgter Reise nach Teheran veröffentlichten der türkische Präsident und der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif eine gemeinsame Erklärung, die ein Beenden des Krieges im Jemen und eine „politische Lösung“ forderte. Das unterschied sich stark von Erdogans anfänglicher Kriegsbereitschaft.

Die Arabische Liga unterstützt den Krieg, aber doch in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Der Irak opponiert gegen die saudischen Angriffe und Algerien bleibt auf Distanz mit seinem Ruf nach dem Ende „aller ausländischen Interventionen.“

Selbst im normalerweise folgsamen GCC, der die Öl-Monarchien am Golf vertritt, gibt es einen Deserteur. Oman grenzt an den Jemen, und sein Herrscher, Sultan Qabus sorgt sich, dass das Chaos sich über seine Grenze ausbreiten wird. Und während die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE) Einsätze in Jemen geflogen haben, will die Organisation gleichwohl bereit sein für Geschäfte, wenn die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden. „Iran liegt vor unserer Tür, wie müssen dann dort sein,“ so Marwan Shehadeh, ein Bauunternehmer in Dubai, gegenüber der Financial Times. „Das könnte die Spielregeln entscheidend verändern.“

Pakistan treibt in eine andere Richtung

Die augenfälligste Abwesenheit in der Saudi-Koalition stellt allerdings Pakistan dar – ein Land, das Milliarden Hilfsgelder von Saudi-Arabien erhalten hat und dessen gegenwärtiger Premierminister, Nawaz Sharif, vor dem Zorn des pakistanischen Militärs 1999 in Riad Schutz fand.

Als die Saudis anfänglich verkündeten, den Jemen anzugreifen, bezogen sie Pakistan die die verkündete Koalition mit ein, ein Akt der Hybris, der übel nach hinten losging. Das pakistanische Parlament verlangte eine Debatte über die Angelegenheit und stimmte dann einstimmig dafür, neutral zu bleiben. Während zwar Islamabad seine Absicht erklärte „die saudische Souveränität zu verteidigen“, glaubt doch niemand, dass die Huthis davor stehen nach Djiddah zu marschieren.

Der Krieg im Jemen ist höchst unpopulär in Pakistan, und die Aktionen des Parlaments wurden von weiten Kreisen unterstützt, wobei ein Kommentator dazu aufforderte, sich dem „GCC Diktat“ nicht zu beugen. Lediglich die extremistische Lashkar-e-Taiba Organisation, die das 2008 Massaker im indischen Mumbai geplant hatte, unterstützte die Saudis.

Pakistan hat sich bisher auf die saudische Großzügigkeit verlassen und im Gegenzug Sicherheit für Riad gewährleistet. Aber die enge Beziehung beginnt zu bröckeln.

Erstens gibt es weitverbreitete Empörung in Pakistan über die saudische Unterstützung extremistischer islamischer Gruppen, von denen einige sich im Krieg mit der pakistanischen Regierung befinden. Letztes Jahr massakrierte eine dieser Organisationen – die Tehrik-i-Taliban – 145 Menschen, davon 123 Schüler in Peschawar. Der Kampf gegen diese Gruppen in Nord-Waziristan belastet die pakistanische Armee, die sich auch um ihren südlichen Nachbarn Indien kümmern muss.

Den Saudis, mit ihrer Unterstützung für die rigide wahabitische Interpretation des Islam, wird ferner die Schuld an den wachsenden sunnitisch-schiitischen Spannungen in Pakistan gegeben.

Zweitens ist Islamabad dabei, seine Beziehungen mit China zu vertiefen. Mitte April versprach der chinesische Präsident Xi Jinping, 46 Milliarden Dollar für die Finanzierung von Beijings neuer „Seidenstraße“ von Westchina an den Persischen Golf zu investieren. Ein Teil davon wird eine gewaltige Erweiterung des Hafens in Gwadar in Pakistans Unruhe-Provinz Belutschistan einbeziehen, ein Hafen, der, so Bruce Riedel, „Konkurrent für Dubai oder Doha als regionales Wirtschaftszentrum sein wird.“

Riedel ist der Sicherheitsexperte für Süd-Asien, ein Senior Fellow der gemäßigten Brookings Institution, und Professor an der John Hopkins Universität. Dubai liegt in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Doha in Katar, beide Mitglieder des GCC.

China ist besorgt über die Sicherheitslage in Belutschistan mit dessen langandauernden Aufstand gegen Pakistans Zentralregierung, wie auch wegen des fortdauernden Widerstands seitens der turk-sprachigen, größtenteils muslimischen uigurischen Bevölkerung in der west-chinesischen Provinz Xinjiang. Die Uiguren, eine Bevölkerung von knapp über 10 Millionen, werden zunehmend marginalisiert durch ein Einströmen von Han-Chinesen, Chinas größter ethnischen Gruppe.

Wohlhabende Saudis haben bei der Finanzierung dieser uigurischen Gruppen geholfen, worüber weder Beijing noch Islamabad glücklich sind. Pakistan hat sich verpflichtet, eine 10.000 Mann starke „Special Security Division“ aufzustellen um Chinas Investitionen zu schützen. Laut Riedel sagten die Chinesen den Pakistanern, dass Beijing „Pakistan beistehen würde, wenn seine Verbindungen mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sich auflösen sollten.“

Die USA und Israel

Die USA haben eine wichtige, wenngleich auch irgendwie unbehagliche Rolle im Krieg im Jemen gespielt.

Sie versorgen Saudi-Arabien mit Geheimdienstinformationen und Zielangaben und betanken saudische Kampfflugzeuge in der Luft. Sie haben ebenfalls eine iranische Flotille, die nach Jemen unterwegs war, abgefangen, von der Washington behauptete, dass sie Waffen für die Huthis transportierte. Der Iran bestreitet das und es gibt auch wenig belastbare Beweise, dass Teheran die Aufständischen mit Waffen versorgt.

Aber während Washington die Saudis unterstützt, hat es auch Riad gedrängt, die Luftangriffe zurückzuschrauben und nach einer politischen Lösung zu suchen. Die USA sind besorgt, dass die kriegsbedingte Anarchie es Al-Kaida ermöglichen wird, sich auf der arabischen Halbinsel zu etablieren. Die bekämpften Huthis waren die Hauptgegner dieser terroristischen Gruppe.

Die humanitäre Lage im Jemen wird zunehmend kritischer. Mehr als 1.000 Menschen, viele davon Zivilisten, sind bereits getötet worden, und die Bombardierungen und Kämpfe haben 300.000 Flüchtlinge erzeugt. Die Saudi-US-Seeblockade – und die kürzlich erfolgte Zerstörung des Internationalen Flughafens des Jemen – haben die Lieferung von Nahrung, Wasser und medizinischen Gütern beendet, und das in einem Land, das größtenteils von importierten Nahrungsmittellieferungen abhängig ist.

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Obama-Regierung die Saudis vor den Kopf stoßen wird, da diese bereits verärgert sind über Washingtons Verhandlungen über eine Nuklearvereinbarung mit dem Iran. Neben der Hilfe bei den Angriffen der Saudis haben die USA die Tür für Waffenkäufe der Saudis weit geöffnet.

In der Zwischenzeit hat die Nuklear-Vereinbarung mit dem Iran zu etwas geführt, dass als die seltsamste Allianz in dieser Region bezeichnet werden muss: Israel und Saudi-Arabien. Riad befindet sich auf der gleichen Wellenlänge wie die Netanyahu-Regierung was den Iran betrifft, und die beiden kooperieren bei dem Versuch, die Vereinbarung zu torpedieren. Laut Robert Parry, einem investigativen Journalisten, wurde die Allianz zwischen Tel Aviv und Riad besiegelt durch ein geheimes 16 Milliarden Dollar Geschenk von Riad auf ein israelischen „Entwicklungskonto“ in Europa, von dem Teile zur Finanzierung illegaler Siedlungen in den besetzten Gebieten abgezweigt wurden.

Die Saudis und die Israelis befinden sich ferner auf derselben Seite in syrischen Bürgerkrieg. Und was das ganze Gerede Riads über die Unterstützung der Palästinenser angeht, so sind Katar und Kuwait die einzigen Mitglieder des GCC, die Gelder zum Wiederaufbau Gazas nach dem israelischen Angriff im letzten Sommer zur Verfügung gestellt haben.

Ein Königreich der Furcht

Wie all dies am Ende ausgehen wird, ist schwer vorherzusagen, außer, dass eines klar ist: die Saudis schaffen es, trotz ihrer finanziellen Feuerkraft, nicht, die wichtigen regionalen Akteure – mit der Ausnahme Israels – an Bord zu bekommen. Und eine Allianz mit Israel – ein Land, das gegenwärtig stärker isoliert ist wegen seiner Besatzungspolitik als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in seiner Geschichte – wird kaum über Stabilität verfügen.

Der langjährige Korrespondent für den Nahen/Mittleren Osten, Robert Fisk, äußerte, dass die Saudis in „Furcht“ leben vor den Iranern, vor der Shia, dem Islamischen Staat, Al-Kaida, einem Verrat der USA, israelischen Verschwörungen, sogar vor „sich selbst, denn wo sonst wird die Revolution im sunnitisch-islamischen Saudi-Arabien starten, wenn nicht in seiner eigenen königlichen Familie?“

Diese „Furcht“ treibt den Krieg im Jemen an. Und daraus folgt, warum die USA aufhören sollten die Flamen weiter anzufachen, und stattdessen gemeinsam mit der EU einen sofortigen Waffenstillsand, humanitäre Hilfe und eine politische Lösung durch die Jemeniten selbst fordern sollten.

Original: Conn Hallinan: Yemen’s War Is Redrawing the Middle East’s Fault Lines, May 11, 2015, in: Dispatches From the Edge

Anmerkung:
  1. Die beiden letzten Sätze stammen aus einem Artikel von Martin Gehlen („Der Kampf um den Jemen beginnt erst“) vom 26. März 2015. Im Originaltext klafft hier eine Lücke.

* Conn Hallinan ist ein regelmäßiger Kolumnist für "Foreign Policy In Focus". Außerdem gibt er selbst die Internetzeitung "Dispatches From the Edge" heraus.


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