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Warnung vor Bürgerkrieg

Jemen: Neue Kämpfe nach Salehs Rückkehr. Opposition kündigt Marsch zum Präsidentenpalast an

Von Karin Leukefeld *

Die jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa treiben das Land weiter in Richtung Bürgerkrieg. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, daß am frühen Donnerstag morgen (29. Sept.) im Norden der Stadt erneut Kämpfe begonnen hätten, als Republikanische Garden von Präsident Ali Abdullah Saleh auf Soldaten der Ersten Bewaffneten Division von General Ali Mohsen Al-Ahmar gestoßen waren. Al-Ahmar hat sich den Gegnern des Präsidenten angeschlossen und seine Soldaten beauftragt, deren Protestlager am »Platz des Wandels« zu schützen. Die Republikanischen Garden werden von Ahmed Saleh, dem Sohn des Präsidenten, geführt.

Auch aus anderen Landesteilen werden Kämpfe gemeldet. Im südlich gelegenen Aden überlebte am Dienstag der jemenitische Verteidigungsminister Mohammed Nasser Ali nur knapp einen Bombenanschlag auf seinen Konvoi. Sieben Soldaten, die im ersten Fahrzeug des Konvois saßen, wurden verletzt, der Minister im zweiten Fahrzeug blieb unverletzt.

Die Spannungen im Land haben deutlich zugenommen, seit Präsident Saleh am vergangenen Freitag (23. Sept.) überraschend aus Saudi-Arabien in den Jemen zurückgekehrt war. Unmittelbar nach Bekanntwerden seiner Rückkehr war es zu Massenprotesten in Sanaa gekommen. Saleh war in Riad medizinisch behandelt worden, nachdem er Anfang Juni bei einem Angriff schwer verletzt worden war. Trotz mehrfacher Aufforderungen seiner westlichen Verbündeten USA, Großbritannien und dem »Freundeskreis Jemen« und trotz der zunehmenden Gewalt im Land weigert Saleh sich, sein Amt aufzugeben.

Dem Vermittlungsvorschlag des Golfkooperationsrates (Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Kuwait, Bahrain, Katar) weicht Saleh aus. Mehrmals kündigte er seine Zustimmung an, um im entscheidenden Moment wieder einen Rückzieher zu machen. Der Vorschlag sieht vor, daß Saleh abtritt und vier Wochen später die Macht an eine provisorische Regierung übergibt. Diese soll von seinem Stellvertreter, Vizepräsident Abdrabbo Mansur Hadi, zusammen mit Vertretern der Opposition geleitet werden. Einzige Aufgabe der Übergangsregierung ist es, Neuwahlen vorzubereiten und abzuhalten. Saleh und seiner Familie wird im Gegenzug Straffreiheit zugesagt.

Vizepräsident Hadi warnte am Mittwoch (28. Sept.) vor einem Bürgerkrieg im Jemen. Er war am Rande der UN-Vollversammlung mit Vertretern des Sicherheitsrates, der EU und des Golfkooperationsrates zusammengetroffen. Wenn »die Lage explodiert, ist das das Ende der Initiative des Golfkooperationsrates und aller friedlichen Lösungen«, wird Hadi in Medienberichten zitiert. Die nächsten zwei Tage seien entscheidend.

Hadi bezog sich dabei offenbar auf eine Ankündigung oppositioneller Jugendgruppen vom Mittwoch, die erklärt hatten, in den kommenden Tagen friedlich zum Präsidentenpalast marschieren zu wollen, um Saleh zum Rücktritt zu bewegen. Den der Opposition nahe stehenden General Al-Ahmar habe man gebeten, seine Soldaten zurückzuhalten, sagte ein Oppositionssprecher. Man wolle die Truppen des Präsidenten nicht provozieren.

Die Vereinten Nationen haben unterdessen erneut auf die katastrophale humanitäre Lage im Jemen hingewiesen. Bereits 416 760 Menschen seien als Inlandsflüchtlinge registriert, hieß es in einem Bericht des Hohen UN-Kommissars für Humanitäre Angelegenheiten. Die Lebenshaltungskosten hätten sich dramatisch erhöht, Grundnahrungsmittel seien kaum noch bezahlbar. Der Benzinpreis hat sich demnach seit Anfang des Jahres um 233 Prozent verteuert, Reis und Brot kosten knapp 50 Prozent mehr. Die bisherigen Zerstörungen durch die anhaltenden Kämpfe haben Schäden von rund zwei Milliarden US-Dollar verursacht.

* Aus: junge Welt, 30. September 2011


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