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Barack Obama hat Jemen im Visier

Washington erwägt Militärschlag / Regierung in Sanaa macht Jagd auf Topterroristen

Von Olaf Standke *

Während Washington als Reaktion auf die vereitelten Paketbomben-Anschläge einen Militärschlag in Jemen erwägt, hat die Regierung in Sanaa am Dienstag eine groß angelegte Operation gegen mutmaßliche Topterroristen gestartet.

Die jemenitische Armee kämpft schon seit Wochen in der südlichen Provinz Abjan gegen dort vermutete Al-Qaida-Zellen. Am Dienstag nun verkündete die Regierung, dass auch in Schabwa und Marib ein großer Militäreinsatz begonnen habe. Im Visier hat man dabei vor allem den von Washington gesuchten Hassprediger Anwar al-Awlaki, gegen den jetzt auch die Staatsanwaltschat in Sanaa Anklage wegen »Anstachelung zur Tötung von Ausländern und Sicherheitskräften« erhob, und den aus Saudi-Arabien stammenden mutmaßlichen Bombenbauer Ibrahim Hassan al-Asiri. Er soll die Paketbomben hergestellt haben, die in der Luftfracht aus Jemen entdeckt worden sind.

Wie Beobachter vermuten, versuche man mit dieser Offensive auch, eine mögliche Intervention von Anti-Terror-Sondereinheiten der USA zu verhindern. Gestern ist in Sanaa ein Ermittlungsteam eingetroffen, um die einheimischen Behörden zu unterstützen. John Pistole von der Luftsicherheitsbehörde sagte dem Fernsehsender CBS, man habe zudem Experten und Ausrüstung entsandt, um Frachtkontrolleure in Jemen auszubilden. Zugleich wurde aus Sicherheitskreisen aber auch bekannt, dass man in Washington einen eigenen Militärschlag erwäge.

Noch zu Jahresbeginn hatte Präsident Barack Obama erklärt, man werde keine Militärs nach Jemen entsenden. Wenige Monate später erteilte er Geheimdiensten und Armee die Erlaubnis, den 1971 in New Mexico geborenen Al-Awlaki gezielt zu töten, weil er zum Dschihad gegen die USA aufgerufen habe. Es sei das erste Mal, dass ein US-Staatsbürger auf die Todesliste gesetzt wurde, schrieb die »New York Times«. Sie wurde von Präsident Bush nach dem 11. September 2001 eingeführt. Wie die »Washington Post« enthüllte, habe Al-Awlaki bereits mindestens einen von US-Militärs unterstützten Angriff jemenitischer Sicherheitskräfte überlebt.

Spezialeinheiten des US-amerikanischen »Joint Special Operations Command« (JSOC) operieren schon seit Jahren auf jemenitischem Territorium. Die Kommandoeinheit aus North Carolina lenkte auch Luftangriffe der US-Navy gegen Ziele auf der Arabischen Halbinsel. Immer wieder kommt es dabei zu »Kollateralschäden«. So starb der Vizegouverneur der Provinz Marib vor einigen Monaten bei Verhandlungen mit Al-Qaida-Vertretern durch eine Kampfdrohne. Schon 2002 hatte die CIA in Marib den angeblichen Al-Qaida-Führer Al-Kaid al-Harethi mit einer Hellfire-Rakete getötet.

Im Juni dieses Jahres verlangte Amnesty International (AI) von Washington Aufklärung über die Ermordung von über 40 Zivilisten in Abjan. Die Menschenrechtsorganisation vermutete den Einsatz von Streubomben. »Ein Militärschlag dieser Art gegen mutmaßliche Kämpfer ohne einen Versuch ihrer Festnahme ist zumindest gesetzwidrig«, erklärte AI-Experte Philip Luther.

Während Washington die Militärhilfe für Jemen auf über 150 Millionen US-Dollar (103 Millionen Euro) verdoppeln will, hat Al Qaida mit dem Sturz von Präsident Ali Abdullah Saleh gedroht und die Bildung einer »neuen Armee« ankündigt. »Renne um dein Leben«, heißt es in einer Internet-Botschaft. Doch auch über 150 einflussreiche Geistliche in Sanaa haben erklärt, beim Einmarsch ausländischer Soldaten in Jemen würden sie zum »Heiligen Krieg« aufrufen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. November 2010


Militärische Eskalation

Washington plant laut Pressebericht Ausweitung der US-Operationen im Jemen. Drohnen sollen verstärkt für gezielte Tötungen eingesetzt werden

Von Knut Mellenthin **


Die USA wollen ihre militärischen Operationen im Jemen ausweiten. Das berichtete am Montag das Wall Street Journal, das den Neokonservativen nahe steht und häufig als Sprachrohr für deren Wünsche agiert. Dem Blatt zufolge wächst innerhalb des Militärs und der Regierung der USA die Unterstützung für Pläne, dem Auslandsgeheimdienst CIA mehr Kontrolle über die Aktivitäten in der südarabischen Republik einzuräumen. Unter anderem könnte das beinhalten, daß Spezialeinheiten der US-Streitkräfte, die »verdeckte« Kommandoaktionen durchführen, formal dem Befehl der CIA unterstellt werden. Auch der verstärkte Einsatz von bewaffneten Drohnen für gezielte Tötungen werde in diesem Zusammenhang diskutiert, schrieb das Wall Street Journal.

Als zentraler Vorteil wird dabei die Möglichkeit gesehen, Operationen auch ohne ausdrückliche Zustimmung der jemenitischen Regierung durchzuführen. Da im Land eine starke Stimmung gegen den US-Imperialismus herrscht und das Regime auf die Unterstützung konservativer Stämme angewiesen ist, muß Präsident Ali Abdullah Saleh darauf bedacht sein, seine Kooperation mit den USA nicht allzu offensichtlich werden zu lassen. Während einer Ansprache zum Ramadan versicherte Saleh im August, sein Land akzeptiere keine ausländischen Truppen. Eine Unterstellung aller militärischen Aktivitäten der USA im Jemen unter das Kommando der CIA würde es dem Regime erleichtern, Nichtwissen vorzutäuschen.

Als weiteren Vorteil der angeblich geplanten Umstrukturierung nennt das Wall Street Journal den Umstand, daß US-Präsident Barack Obama dadurch besser zu einer einheitlichen Ausrichtung der Operationen in der Lage wäre. Außerdem lassen sich Aktivitäten, die formal der CIA unterstehen, auch vor dem Kongreß und vor der amerikanischen Öffentlichkeit besser abschirmen.

Pentagon-Sprecher Bryan Whitman gab zu dem Pressebericht nur ein eingeschränktes Dementi ab: »Es gibt niemanden in einer Führungsposition innerhalb des Verteidigungsministeriums, der den in diesem Artikel dargestellten Vorschlag ernsthaft in Erwägung gezogen hat.« – Das läßt andererseits vermuten, daß solche Pläne wirklich innerhalb des Ministeriums diskutiert werden. Whitman bestätigte darüber hinaus die Aussage des Wall Street Journal, daß die US-Regierung an einer »Neueinschätzung« der Lage im Jemen und ihrer »militärischen Optionen« arbeitet. Die jüngsten »Sicherheitsvorfälle« – gemeint sind die angeblichen Paketbomben – böten »eine Gelegenheit zu überprüfen, ob es weitere Dinge gibt, die getan werden müssen, getan werden können«, sagte der Pentagon-Sprecher, ohne auf konkrete Einzelheiten einzugehen.

Indessen stellt die Affäre um die Paketbomben nur einen willkommenen Vorwand dar, um der Öffentlichkeit eine Eskalation der US-Operationen im Jemen besser verkaufen zu können. Daß eine solche Eskalation beabsichtigt ist, hatte die Washington Post schon am 24. August berichtet. Dem Blatt zufolge waren entsprechende Pläne in den vorausgegangenen Wochen vom Nationalen Sicherheitsrat im Weißen Haus diskutiert worden. Nach Aussagen eines Teilnehmers sei es dabei allerdings nicht darum gegangen, die führende Rolle des Militärs bei den Operationen im Jemen durch die CIA zu ersetzen, sondern »was die richtige Mischung ist«.

Eines der erörterten Themen, so die Post, sei ein verstärkter Einsatz bewaffneter Drohnen gewesen. In Ländern, wo Washington nicht offiziell Krieg führt, ist dafür die CIA zuständig. Die USA haben in den vergangenen Monaten mehrmals Cruise Missiles gegen Ziele im Jemen eingesetzt, die aber nicht so präzis wie die Drohnen sind.

So weit bekannt, sind derzeit 50 Offiziere US-amerikanischer Spezialkommandos im Jemen stationiert, um dort »Antiterroreinheiten« auszubilden. Sie werden dabei von britischen Kollegen unterstützt. Das Regime erhält von den USA im laufenden Jahr 150 Millionen Dollar Militärhilfe, unter anderem für Hubschrauber.

** Aus: junge Welt, 3. November 2010


Jemen und der Bush-Reflex

Von Olaf Standke ***

Da ist er wieder, der alte Bush-Reflex. Kaum war der Aufgabeort der potenziell tödlichen Luftfracht bekannt, wurde in Washington über eine knallharte militärische Antwort nachgedacht, auch wenn man nicht so genau weiß, wo in Jemen die mutmaßlichen Bombenbauer wohl zu treffen sind. Frühere Versuche verursachten vor allem verheerende Kollateralschäden unter unschuldigen Zivilisten. Der »Krieg gegen den Terror« seines Vorgängers, längst wurde er zu Obamas eigenem.

Der Irak-Feldzug ist offiziell beendet – verringert hat er die Terrorgefahr nicht. In Afghanistan kämpfen mehr US-amerikanische Truppen als jemals zuvor – und der Konflikt wuchert über die Grenze nach Pakistan hinaus, ohne dass Washington die Taliban oder Al Qaida am Hindukusch in den Griff bekommen würde.

Nun also Jemen. Ein scheiternder Staat und damit perfekter Nährboden für Terroristen. Das Land am Golf von Aden droht zum neuen Afghanistan zu werden. Weil es bettelarm und jeder Dritte Erwachsene ohne Arbeit ist. Weil es seit Jahren am Rande des Bürgerkriegs taumelt und eine korrupte, zerstrittene Zentralregierung für ein gefährliches Machtvakuum sorgt. Und weil den USA nicht viel mehr als eine Aufstockung der Militärhilfe einfällt, um das zerbröselnde Land zu stabilisieren. Ein massiver Militärschlag der auch in Jemen ungeliebten Supermacht könnte ihm schnell den Rest geben.

*** Aus: Neues Deutschland, 3. November 2010 (Kommentar)


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