Jemen: Montag so blutig wie Sonntag
Wieder zahlreiche Demonstranten getötet
Nach dem blutigen Sonntag (18. Sept.) in Jemen mit 26 Toten geht die Gewalt auch zu Wochenbeginn unvermindert weiter.
Die Republikanische Garde des Präsidenten Ali Abdullah Saleh schoss am
Montag (19. Sept.) in der Hauptstadt Sanaa erneut mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten. 22
Menschen seien getötet worden, berichteten Ärzte und Helfer eines improvisierten Lazaretts. Unter
den Toten seien auch drei desertierte Soldaten und zwei Kinder, hieß es. Eine Mutter sagte, ihr zehn
Monate altes Baby und ihr zehn Jahre alter Sohn seien getötet worden, als das Fahrzeug der
Familie nahe dem Platz des Wandels, dem Zentrum der Proteste, von Kugeln getroffen worden sei.
Augenzeugen zufolge wurden einige Zivilisten von Kugeln von auf Dächern positionierten
Scharfschützen getroffen. Andere seien bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften und
bewaffneten Regierungsanhängern getötet worden. Nach Angaben von Anwohnern lieferten sich
Sicherheitskräfte auch Auseinandersetzungen mit Soldaten einer Panzerbrigade, die im März zu den
Regierungsgegnern übergelaufen waren.
In der südlichen Stadt Taiz starben zwei Demonstranten, als die Sicherheitskräfte mit Tränengas
und scharfer Munition in eine Anti-Saleh-Kundgebung schossen, bestätigten Krankenhausärzte.
Gegner des Staatschefs hätten in der Nacht zum Montag ihre Zeltstadt auf dem Platz des Wandels
(Taghier-Platz) vergrößert, berichteten Augenzeugen. Sicherheitskräfte hätten dann am Montag die
neuen Zeltbewohner mit Waffengewalt vertrieben. »Die Lage ist sehr angespannt«, sagte ein
Bewohner der Hauptstadt. Die meisten Geschäfte blieben geschlossen, ebenso die Schulen und
Universitäten.
Am Sonntag (18. Sept.) hatten Mitglieder der Präsidentengarde nach Angaben der Protestbewegung 26
Demonstranten erschossen. Es war die blutigste Unterdrückung einer Protestkundgebung seit
Monaten. Zehntausende Menschen hatten in Sanaa den Rücktritt Salehs gefordert. Der seit 1978
regierende Staatschef lässt sich seit einem Bombenanschlag im Juni, bei dem er schwer verletzt
wurde, in Saudi-Arabien behandeln.
Seit Mai weigert sich der 69-Jährige, einen Plan der Golfstaaten für eine geordnete Übergabe der
Macht zu akzeptieren. Die Protestbewegung, die ihre Demonstrationen im Februar begann, fordert
kategorisch seinen Rücktritt. Außerdem will sie Saleh und mehrere hochrangige Funktionäre vor
Gericht stellen.
* Aus: Neues Deutschland, 20. September 2011
Profiteure
Von Karin Leukefeld **
Seit neun Monaten fordern Hunderttausende in Jemen den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh, dem sie Vetternwirtschaft und Korruption vorwerfen – und dass er aus dem Land ein Armenhaus gemacht hat. Doch Saleh, der seit einem Anschlag Anfang Juni im benachbarten Saudi-Arabien residiert, ist nicht allein verantwortlich für das Blut und das Chaos der letzten Tage. Die Staaten der westlichen Hemisphäre, die USA, Saudi-Arabien und der »Freundeskreis Jemen«, haben Saleh bis an die Zähne bewaffnet. Sie haben ihm ungezählte Militärberater an die Seite gestellt, die aus Jemen eine Basis im »Kampf gegen den internationalen Terror« gemacht haben. Saleh war ihr Basiskommandant.
Der kann selbst aus dem fernen Riad noch seiner Republikanischen Garde den Befehl zum Schießen auf die Opposition erteilen, was den Schluss nahe legt, dass auch seine reichen Freunde von Blutbädern und Chaos profitieren. In Jemen, das zwar nicht über Öl oder Wasser, dafür aber über eine geostrategisch wichtige Lage verfügt, bleibt den Menschen nichts als eine weitere Hungerkatastrophe. Das wiederum scheint kein Problem. Mit ein paar Millionen Dollar oder Euro werden Hilfsgüter eingeflogen und schöne Bilder mit Hilfsorganisationen gemacht. Einen politischen Neuanfang aber gibt es in Flüchtlingslagern nicht.
** Aus: Neues Deutschland, 20. September 2011 (Kommentar)
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