Jemen: eine "Revolution" im Wartestand
Von Lutz Rogler *
Auch der Jemen wurde Anfang 2011 von „revolutionärem“ Protest und Euphorie erfasst. Wie anderswo in der Region ging es um den Sturz eines Jahrzehnte lang herrschenden Autokraten, der sein Land mit einem von Nepotismus, Korruption und Repression getragenen Regime in eine umfassende politische und gesellschaftliche Krise geführt hatte. Der autokratische Präsident ist gegangen; die politische und gesellschaftliche Krise ist geblieben.
Am vergangenen 18. März demonstrierten Zehntausende von Jemeniten, vor allem in der Hauptstadt Sanaa, um an das "Massaker am Freitag der Würde" ein Jahr zuvor zu erinnern, das einen Wendepunkt in der jemenitischen "Revolution der Jugend" einleitete: An jenem Tag wurden in Sanaa von Scharfschützen fast 60 friedliche Demonstranten gegen das Regime von Präsident Ali Abdallah Salih getötet. Während letzterer jegliche Verantwortung für diesen Gewaltakt leugnete, brachte das Geschehen damals eine große Zahl von politischen Kräften und insbesondere die Parteien der etablierten Opposition dazu, sich nunmehr der Protestbewegung und ihrer Forderung nach einem Rücktritt Salihs ausdrücklich anzuschließen.
Was sich im Verlaufe weniger Wochen zur jemenitischen "Revolution" entwickelte, hatte im Januar 2011 unter dem Eindruck der Ereignisse in Tunesien und Ägypten mit Protestaktionen vor allem junger Aktivisten begonnen und vor dem Hintergrund des Rücktritts von Präsident Mubarak in Ägypten am 11. Februar einen ersten Höhepunkt erreicht. Im Jemen wird daher zuweilen auch von der "Revolution des 11. Februar" gesprochen. In der Folgezeit breitete sich bei den zahllosen Sit-ins und Demonstrationen, vor allem an den Tagen des Freitagsgebets, in weiten Teilen des Landes auch schnell die zentrale Forderung der Bewegungen in Tunesien und Ägypten aus: Sturz des Regimes, Abtritt des autokratischen Herrschers.
Entgegen der ebenfalls von den tunesischen und ägyptischen Entwicklungen genährten Erwartung, Ali Abdallah Salih würde sich letztlich schnell der Erhebung der Massen beugen und seine Macht abgeben müssen, sollte allerdings die Durchsetzung der Hauptforderung der „revolutionären“ Kräfte im Jemen ein monatelanges zähes und opferreiches Ringen erfordern: Obwohl sich die Kräfteverhältnisse ab März zunehmend zu seinen Ungunsten entwickelten, erreichte Salih einerseits durch die anhaltende Repression, andererseits durch das ihm gewohnte Manövrieren und Taktieren, dass die Entscheidung über das Ende seiner seit 1978 bestehenden Herrschaft erst im November erfolgte.
Bei der Entscheidung handelte es sich schließlich um eine lange verhandelte "politische Lösung", die auf eine Initiative des Golfkooperationsrats im April 2011 zurückging: Nachdem sich im Frühjahr Teile der jemenitischen Armee und der Stämme, darunter vor allem der Stammesverband der Hashid unter Führung der al-Ahmar-Familie, gegen Salih und seine Anhänger gestellt hatten und in diesem Kontext das Ausmaß der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen wesentlichen Konfliktparteien weiter zuzunehmen drohte, strebten die Golfstaaten unter Federführung Saudi-Arabiens danach, eine "militärische" Lösung der "Krise" im Jemen durch die Aushandlung eines politischen Auswegs zu vermeiden. Während die meisten „revolutionären“ Aktivisten darauf beharrten, dass Salih bedingungslos zurücktreten und zur Verantwortung gezogen werden sollte, bestand die sogenannte "Golfinitiative" im Kern darin, Salih einen "geordneten Rückzug" zu ermöglichen, indem ihm und seinem Machtnetzwerk Straffreiheit zugesichert werden sollten. Mittlerweile wird dieses Arrangement, vor allem im Hinblick auf die Auseinandersetzungen in Syrien, auch als "jemenitische Lösung" des Machtwechsels bezeichnet.
Dass Salih nach langem Taktieren letztlich die "Golfinitiative" akzeptierte, dürfte eher mit dem regionalen und internationalen Druck zu tun haben, denn mit einem einsichtigen Nachgeben gegenüber seinen Widersachern im eigenen Land. Dass die "politische Lösung" zustande kam, verdankt sich im Übrigen auf der anderen Seite den Führern der etablierten jemenitischen Oppositionsparteien, die sich seit 2002 in einer Allianz (al-Liqa' al-mushtarak) befinden. Diese beiden Seiten, Salih und seine Regierungspartei Allgemeiner Volkskongress (AVK) und das Parteienbündnis Liqa' unterzeichneten am 23. November in der saudischen Hauptstadt Riad schließlich jene Vereinbarung, die unter dem Label "Golfinitiative" den inhaltlichen und zeitlichen Kompromiss über die Modalitäten eines Machtwechsels im Jemen und die Etappen einer Übergangsperiode zur Neugestaltung der politischen Verhältnisse im Land beinhaltet.
Regime im Übergang Ø
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