Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Jemens Regime setzt auf Repression

Tote und Verletzte bei Unterdrückung von Protesten in Sanaa und Aden

Von Karin Leukefeld *

Im Jemen ist es auch am Montag und Dienstag wieder zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Bereits am Sonntag waren acht Menschen getötet und mehr als 100 zum Teil schwer verletzt worden, als die Polizei Zehntausende Demonstranten gegen die Regierung von Präsident Ali Abdullah Saleh mit Tränengas und Schußwaffen daran hinderte, einen Kundgebungsplatz in der Nähe der Universität von Sanaa zu erreichen. Ärzte berichteten, daß die Sicherheitskräfte vermutlich auch verbotenes Nervengas gegen die Protestierenden eingesetzt hätten. Dafür sprächen Krampfanfälle und Gehirnblutungen, die bei einigen der Verletzten aufgetreten seien. Ähnliche Anschuldigungen waren schon nach einem Angriff der Polizei auf ein Zeltlager der Demonstranten am vergangenen Donnerstag erhoben worden, bei dem eine Person getötet worden war. Das Parlament hatte daraufhin einen Untersuchungsausschuß gebildet und Innenminister Mutahar Al-Masri zur Berichterstattung einbestellt. Nachdem dieser nicht erschienen war, drohte Parlamentssprecher Yahya Al-Ra’e, das Parlament werde dem Minister das Vertrauen entziehen.

Das Militär wies die Anschuldigung zurück und erklärte, die Polizei habe niemanden angegriffen und lediglich die öffentliche Sicherheit geschützt. Der Chef der Sicherheitskräfte, General Yahya Saleh, sagte, man habe keine scharfe Munition eingesetzt. »Wir benutzen Tränengaspatronen, die wir aus Ländern importieren, die für die Menschenrechte eintreten«, sagte er einem Reporter des Fernsehsenders Al-Dschasira. Ein Regierungssprecher forderte die Weltgesundheitsbehörde (WHO) auf, forensische Experten zu schicken, um die Vorwürfe zu untersuchen. Die offizielle Nachrichtenagentur SABA zitierte einen anonymen Regierungsvertreter mit den Worten, solche »Gerüchte« würden von Medien verbreitet, die der Opposition nahestünden.

Auch in anderen Teilen des Landes kommt es täglich zu Protesten. In Aden setzten Demonstranten am Sonntag abend eine Polizeistation in Brand, offenbar aus Zorn über das Vorgehen der Polizei in Sanaa. Am Samstag waren in Aden vier Demonstranten getötet worden, vier Mitglieder des Lokalparlaments traten daraufhin aus Protest zurück. Agenturberichten zufolge sollen oppositionelle Kämpfer am Montag abend nahe der Grenze von Saudi-Arabien, in dem Ort Al-Dschauf vier jemenitische Soldaten getötet haben. Dies könnte dem benachbarten Saudi-Arabien, das den Jemen als »Hinterhof« betrachtet, als Vorwand für ein militärisches Eingreifen dienen.

Präsident Saleh hatte in der vergangenen Woche dem Parlament mehr Rechte und den Demonstranten Sicherheit versprochen. Vor Ende des Jahres solle ein Referendum über eine neue Verfassung durchgeführt werden, die eine Gewaltenteilung zwischen Präsident und Parlament vorsehe. Die bislang vom Staatschef ernannte Regierung solle künftig von den Abgeordneten gewählt werden. Damit hatte Saleh offenbar auf seine Berater aus den USA und westliche Verbündete gehört, die ihn militärisch und finanziell unterstützen. Der »Antiterrorberater« des Weißen Hauses, John Brennan, forderte die Opposition auf, »konstruktiv« auf die Vorschläge des Präsidenten einzugehen.

Einen Monat nachdem die ersten Proteste gegen Präsident Saleh in Sanaa begannen, greift die Regierung auch gegen Reporter hart durch. Nachdem die Repression sich zunächst gegen jemenitische Journalisten gerichtet hatte, wurden in den letzten zwei Tagen mindestens sechs ausländische Berichterstatter festgenommen, zwei wurden bereits des Landes verwiesen.

* Aus: junge Welt, 16. März 2011


Kriegsrecht und Tote in Bahrain **

In Bahrain spitzt sich die politische Krise nach dem Einmarsch von rund 1500 Soldaten und Polizisten aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten weiter zu. Bei Zusammenstößen zwischen oppositionellen Demonstranten und Sicherheitskräften wurde in der Hauptstadt Manama ein Soldat erschossen. Der iranische Fernsehsender Press TV zeigte Aufnahmen saudischer Militärs, die offenbar bei ihrem Vormarsch ins Landesinnere die Ortschaft Boori stürmten und dabei mehrere Menschen töteten. König Hamad bin Issa Al-Chalifa verhängte für drei Monate das Kriegsrecht. »Die Atmosphäre in der Innenstadt von Manama ist gespenstisch«, sagte ein Augenzeuge. Die meisten Menschen gingen nicht zur Arbeit und schickten ihre Kinder nicht zur Schule.

Die Opposition sieht im Einmarsch ausländischer Truppen eine Besatzung ihres Landes. »Der Einsatz von Kräften aus Saudi-Arabien oder anderen Golfstaaten gegen die wehrlose Bevölkerung in Bahrain bedeutet einen nicht erklärten Krieg«, warnte die wichtigste schiitische Oppositionspartei Al-Wefaq.

Während die USA die Golfstaaten zur »Zurückhaltung« mahnten, solidarisierte sich Teheran am Dienstag offen mit der Protestbewegung. »Wir glauben, daß die Forderungen des Volkes in Bahrain legitim sind«, sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Ramin Mehmanparast. Jede Einmischung von außen mache die Situation nur noch komplizierter. EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton rief am Dienstag in Brüssel die Sicherheitskräfte vor Ort auf, die Grundrechte der Menschen zu achten.

Seit dem 14. Februar geht die mehrheitlich schiitische Bevölkerung des Kleinstaates gegen die sunnitische Monarchie auf die Straße, um mehr Machtbefugnisse für das gewählte Parlament und Chancengleichheit für Schiiten und Sunniten bei der Besetzung von Beamtenposten zu fordern. Zunehmend stellen die Demonstranten jedoch auch den Machtanspruch der Herrscherfamilie in Frage. (dpa/dapd/IPS/jW)

** Aus: junge Welt, 16. März 2011


Golf-Reaktionäre

Die fast übersehene Militärintervention

Von Werner Pirker ***


Der Einmarsch von Soldaten des Golf-Kooperationsrates in Bahrain fand weitgehend unter Ausschluß der internationalen Öffentlichkeit statt. Zum einen hat die japanische Katastrophe die mediale Aufmerksamkeit so sehr auf sich gezogen, daß selbst die aktuellen Geschehnisse in der arabischen Welt als Randerscheinungen wahrgenommen werden. Zum anderen hat das westliche Medienkartell ohnedies kein großes Interesse daran, die ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Königreichs groß zu thematisieren.

Der Golf-Kooperationsrat, dem Saudi-Arabien, die Emirate, Oman, Kuwait, Katar und Bahrain angehören, ist innerhalb der Arabische Liga am stärksten für die Einrichtung einer Flugverbotszone zur Unterstützung des libyschen Aufstandes eingetreten. Während die vom saudischen Königshaus angeführte arabische Reaktion es in Libyen mit den Aufständischen hält, schickt sie nach Bahrain Truppen, um die dortige Volksbewegung militärisch niederzuschlagen. Obwohl deren Forderungen bisher nur auf die Durchführung von Reformen und nicht auf einen Regimewechsel gerichtet waren.

Die dem monarchistischen Regime des Inselstaates von den Golf-Reaktionären geleistete »brüderliche Hilfe« dürfte wohl kaum ohne Absprache mit Washington erfolgt sein. In Bahrain ist immerhin die amerikanische Fünfte Flotte stationiert, was ein US-höriges Regime zwingend voraussetzt. Versuche, die Rebellion wie in Libyen in eine prowestliche Richtung zu drehen, hätten dort kaum Erfolgsaussichten. Denn hier handelt es sich, wenn auch nicht nur, um eine Bewegung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit gegen die sunnitische Machtelite. Da bietet sich als Verbündeter allemal eher Teheran als Washington an. Zumal in Bah­rain der Zusammenhang zwischen bodenständiger Diktatur und US-Hegemonie offenkundig ist.

Die USA haben die Invasion des Golf-Kartells deshalb auch keineswegs verurteilt, sondern nur um Zurückhaltung gebeten. Die »Rechte des Volkes von Bahrain« sollten respektiert werden, heißt es aus dem State Department. Während gegen das Ghaddafi-Regime die schwersten Verbalgeschütze, bis hin zum Vorwurf des Völkermordes, aufgefahren werden, behandelt man die Massaker vor den Toren der US-Marinebasis dezent als »innere Angelegenheit«. Nicht aber die Massenproteste, die immerhin eine militärische Intervention von außen nach sich gezogen haben.

Zu einem Zeitpunkt, an dem der imperialistische Westen noch strategische Überlegungen anstellt, wie er der »libyschen Revolution« – mittels direkter oder indirekter Intervention – zum Sieg verhelfen kann, haben seine arabischen Verbündeten schon ihre konterrevolutionären Truppen marschieren lassen. Der bewaffnete Vorstoß der arabischen Reaktion wird es den Westmächten aber künftig schwerer machen, sich als Förderer arabischer Revolutionen aufzuspielen. Denn er hat die Doppelbödigkeit ihrer Politik offengelegt.

*** Aus: junge Welt, 16. März 2011 (Kommentar)


Zurück zur Jemen-Seite

Zur Bahrain-Seite

Zur Nahost-Seite

Zurück zur Homepage