"Sie wollen auf unser Gebiet"
Die jemenitische Regierung führt Krieg gegen die aufständische Houthi-Bewegung im Nordwesten des Landes. Dabei wird sie vom saudischen Militär unterstützt. Ein Gespräch mit Mohammed Abdulsalam *
Mohammed Abdulsalam ist Sprecher der Houthi-Bewegung im Jemen.
Die Houthis leben im Nordwesten des Landes, an der Grenze zu
Saudi-Arabien. Seit Anfang August 2009 herrscht in der Region Krieg Die
jemenitische Regierung führt im Nordwesten des Landes Krieg gegen die
Houthis.
Es gibt einen Krieg im Nordwesten Jemens, wo die Regierung die Houthis
bekämpft. Wer sind die "Houthis". Sind Sie ein Stamm, ein
Zusammenschluss von Stämmen oder eine Partei?
Mohammed Abdulsalam: Wir repräsentieren einen großen Teil des
jemenitischen Volkes. Wir sind nicht ein bestimmter Stamm sondern setzen
uns aus Mitgliedern aller jemenitischen Stämme zusammen. Wir sind eine
Nation mit einer großartigen Vergangenheit, aus der viele Gelehrte und
Denker hervorgegangen sind. Wir haben eine besondere islamische
Geschichte, die von allen muslimischen Glaubensrichtungen wegen ihrer
Gerechtigkeit und Ehrlichkeit respektiert wird. Wir respektieren
(religiöse) Unterschiede, lehnen aber die Spaltung zwischen den
muslimischen Gemeinschaften ab. Unserer Ansicht nach sollten sich die
Muslime wieder vereinen und damit dem Koran als Buch (Wort) Gottes
folgen.
Was die Frage nach der Partei betrifft, so haben wir unsere Erfahrungen
mit politischen Parteien nach der Wiedervereinigung des Jemen 1990
gemacht. Damals haben wir die Al Haq Partei gegründet, doch das Regime
hat uns absichtlich ausgegrenzt. Sie haben Parteimitglieder von uns
ermordet und uns die einfachsten Rechte vorenthalten. Kürzlich wurde die
Al Haq Partei aufgelöst. Demokratie im Jemen ist nur ein Slogan in den
Medien, hinter dem sich Diktatur, Ungerechtigkeit und Unterdrückung
verbergen. Tatsächlich gibt es keine wirkliche Demokratie und die
politischen Parteien erleiden heute das, was wir schon erlitten haben.
Warum haben Sie zu den Waffen gegen die jemenitische Regierung gegriffen?
Mohammed Abdulsalam: Diejenigen, die Krieg gegen uns führen, die uns
ausgrenzen und uns ungerecht behandeln wissen genau, dass wir uns nur
verteidigen. Sie wissen auch, dass sie Krieg gegen unsere friedlichen
und kulturellen Anliegen führen. Denn in erster Linie sind wir eine
kulturelle Bewegung. Tatsache ist, dass wir den Krieg nicht angefangen
haben. Die Regierung war es, die voller Hochmut in unsere Häuser und
Dörfer eindrang und uns mit Gewalt zwingen wollte, unsere Kultur und
unsere Überzeugungen aufzugeben. Inzwischen hat es sechs brutale Kriege
gegen uns gegeben.
Was fordern sie von der Regierung angesichts ihrer Unterdrückung?
Mohammed Abdulsalam: Wir hatten keine Forderungen an den Staat, bis sie
ihren ersten Krieg gegen uns anfingen. Heute haben wir allerdings
konkrete Forderungen:
1. Der Krieg muss sofort aufhören, ein Waffenstillstand muss in Kraft
treten und alle vertriebenen Personen müssen in Sicherheit in ihre
Häuser und Dörfer zurückkehren können.
2. Alle Kriegsgefangenen müssen sofort freigelassen werden, es muss
offengelegt werden, wo sich alle die Personen befinden, die nach
willkürlicher Festnahme oder Entführungen verschwunden sind.
3. Wir fordern Reparationszahlungen für die Kriegsschäden: a)
Wiederaufbau von allem, was zerstört wurde und b) Kompensation aller
Bürger, deren Höfe und Eigentum geplündert und zerstört wurden.
4. Die Situation in Sa'ada und anderen Gebieten muss wieder so werden,
wie es 2004 war, als der Krieg begann. Dafür muss Folgendes getan
werden: a) Die Armee muss sich aus den Dörfern und Höfen zurückziehen,
ihre Militärlager müssen aufgelöst werden, damit die dadurch entstandene
Militarisierung des zivilen Lebens beendet wird. b) Die rassistische und
religiöse Diskriminierung gegen uns muss aufhören, die militärischen,
politischen und geistigen (intellektuellen) Angriffe auf unsere
Sicherheit müssen beendet werden. c) Es muss eine tatsächliche
Entwicklung beginnen, indem man uns mit grundlegenden Basisdiensten
versorgt und uns fair und gleichberechtigt mit anderen Regionen in der
Republik Jemen behandelt. Die regionale Diskriminierung muss ein Ende
haben. d) Lehrern und Regierungsangestellten muss die Rückkehr zu ihrer
Arbeit gestattet werden, ihre beschlagnahmten Löhne und Gehälter müssen
ausgezahlt werden.
5. Es muss Schluss sein mit der Einmischung oder Verboten unserer
kulturellen Aktivitäten. Diese gehören zu unseren Grundrechten und
öffentlichen Freiheiten, wie sie die Verfassung des Jemen garantiert.
2007 vermittelte das Emirat Katar einen Waffenstillstand, warum hat der
nicht gehalten?
Mohammed Abdulsalam: Das Regime hat die Doha Vereinbarung gebrochen. Das
hat der Präsident selber zugegeben als er sagte, das
Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen sei ein Fehler gewesen. Ein
anderer Grund war die ausländische Einmischung, insbesondere die von
Saudi Arabien, das eine Rolle Katars im Jemen grundsätzlich ablehnt. Das
liegt an politischen Spannungen zwischen den beiden Staaten.
Es wurde zwar wiederholt dementiert, aber die saudische Armee hat ja
zugunsten der jemenitischen Armee in die Kämpfe gegen Sie eingegriffen.
Wann fing das an und warum machen die Saudis das?
Mohammed Abdulsalam: Das saudische Regime hat erstmals 2007 offen in den
Krieg gegen uns eingegriffen. Dem jemenitischen Regime war es gelungen,
Saudi Arabien einzuschüchtern und es zu erpressen. Es stellte die Lage
so dar, als seien wir ein Ableger internationaler Akteure, insbesondere
vom Iran und von der (libanesischen) Hisbollah. Und es ist ja bekannt,
dass die Saudis mit diesen beiden Probleme haben. Unglücklicherweise ist
das saudische Regime auf diese falschen Anschuldigungen gegen uns
reingefallen. Doch ich will betonen, dass keines der Regime irgendeinen
Beweis für diese unwahren Anschuldigungen vorlegte. Jetzt, in diesem
aktuellen sechsten Krieg gegen uns hat sich die Lage verschlechtert und
das saudische Regime hat sich aus politischen Gründen direkt in die
Kämpfe eingemischt. Es hat jemenitische Dörfer mit Kampfjets angegriffen
und versucht, auf jemenitisches Gebiet vorzurücken. Alles mit der
falschen Anschuldigung, wir hätten saudisches Territorium infiltriert.
Westliche Medien nennen den Krieg einen "Stellvertreterkrieg", den der
Iran gegen Saudi Arabien und den Jemen führt. Außerdem heißt es, der
Iran benutze die Houthis, um eine neue Säule zu schaffen für ein
"Schiitisches Reich" von Teheran bis zum Libanon. Was sagen Sie dazu?
Mohammed Abdulsalam: Unsere kulturellen Prinzipien schließen aus, dass
wir ein Anhängsel für irgendeine andere Partei sind, egal ob es der Iran
oder eine andere Macht der Welt ist. Tatsache ist, dass der Iran das
jemenitische Regime unterstützt, sie haben enge diplomatische und
wirtschaftliche Beziehungen. Der Iran gibt dem jemenitischen Regime eine
Menge Geld. Hinzu kommt, dass die Glaubensgemeinschaft der Zwölfer Shia
im Jemen mehr Freiheiten genießt, als wir. Die Zwölfer Shia ist die
schiitische Lehre im Iran. Dieses Gerede über iranische Einmischung
dient lediglich dazu, Saudi Arabien zu erpressen. Die Saudis sollen das
mittellose und fragile jemenitische Regime unterstützen. Wir sind nicht
so dumm, dass wir unsere Kinder, Frauen und unser eigenes Blut opfern,
unsere Häuser, Dörfer und Moscheen zerstören lassen und überhaupt unser
ganze Leben blockieren, nur um die politische Position irgendeines
Staates zu vertreten. Diese Darstellung ist unwahr, kein rational
denkender Mensch kann so etwas akzeptieren.
Westliche Analysten sprechen viel darüber, das Jemen ein "gescheiterter
Staat" sei, was bedeutet so eine Bewertung für Sie als Bewegung und
Bevölkerungsgruppe im Jemen?
Mohammed Abdulsalam: Jemen ist nicht nur ein gescheiterter Staat, Jemen
kann man gar nicht als Staat bezeichnen. Das Regime hat dem Land nie
wirkliche Entwicklung angeboten, jeder Besucher sieht die hohe
Arbeitslosigkeit, Armut, Unwissenheit, Krankheit und den Rassismus. Es
gibt eine kleine Gruppe von Superreichen, die anderen leben von dem, was
sie auf der Straße finden. Die Mitglieder des Regimes haben gut gefüllte
Bankkonten in Europa und überall auf der Welt, während die einfachen
Leute sich glücklich schätzen können, wenn sie ein Stück Brot finden.
Die Internationale Hilfe, die Jemen erhält ist mehr als genug, um Jemen
und seiner Bevölkerung Unabhängigkeit und Sicherheit zu geben, wenn es
Gerechtigkeit gäbe und einen tatsächlichen Staat, der verantwortlich
handelt.
Im Juni wurde eine deutsche Familie in Sa'ada entführt und ist seitdem
verschwunden. Haben Sie Informationen über deren Situation?
Mohammed Abdulsalam: Was mit der deutschen Familie geschehen ist, tut
uns sehr leid. Dieses Verbrechen verstößt gegen unsere Werte, gegen
unsere Moral und gegen unsere Bräuche. Diese Familie war Teil unserer
Gesellschaft. Man respektierte sie und war dankbar für ihre Arbeit im
Jemen allgemein und insbesondere in Sa'ada. Wir haben keine genauen
Informationen über das Verbrechen, weil es in einer Gegend geschah, zu
der wir keinen Zugang haben. Das Verbrechen geschah in der Nähe des
Gebäudes der Sicherheitsbehörden mitten in Sa'ada Stadt, es ist auf
allen Seiten von Sicherheitskräften der Polizei und der Armee umgeben.
Wie dem auch sei, wir versuchen weiterhin auf jede nur erdenkliche Weise
etwas über ihre Situation und ihren Aufenthaltsort zu erfahren, denn
diese Familie ist wirklich wie ein Teil von uns. Es ist unsere Pflicht,
die Verbrecher zu finden und Einzelheiten über das zu erfahren, was
geschehen ist.
Interview: Karin Leukefeld
* Aus: junge Welt, 22. Dezember 2009
Hintergrund: Die Bewegung der Houthi
Seit Anfang August herrscht
im Nordwesten Jemens Krieg.
Das jemenitische Militär, inzwischen
unterstützt von Armee
und Luftwaffe Saudi-Arabiens,
bekämpft die Bewegung der
Houthis, denen sie vorwirft,
vom Iran militärisch und finanziell
unterstützt zu werden.
Die Houthis gehören zur
starken Minderheit der Zaiditen
im Jemen, einer schiitischen
Strömung des Islam, die vor
allem wegen ihrer Unbeugsamkeit
bekannt ist. Seit dem
12. Jahrhundert bestand in der
Region ein Imamat der Zaiditen,
das zeitweise über den ganzen
Jemen herrschte. Anfang der
1960er Jahre wurde es gestürzt.
Den Zaiditen steht eine sunnitische
Mehrheit gegenüber, die
vor allem der strengen Schule
der Wahabiten folgen, wie
sie in Saudi-Arabien herrscht.
Weil der Wahabit Osama Bin
Laden ursprünglich aus dem
Jemen stammt, wird neben
einer angeblichen schiitischen
Gefahr von den westlichen
Verbündeten Jemens die Gefahr
einer neuen Al-Qaida heraufbeschworen.
Arabische Staaten
wie Saudi-Arabien und Ägypten
unterstützten die Regierung in
Sanaa.
Jemens Präsident Ali Abdullah
Saleh, der selbst den
Zaiditen angehört, hat die
Vernichtung der Houthi-Milizen
angekündigt, egal, wie lange
der Kampf dauern werde. Die
Regierung sei »entschlossen,
die Unruhen zu beenden«, und
werde »Sicherheit und Stabilität
in der Provinz Sa’ada wieder
zum Recht verhelfen«, erklärte
er vor Soldaten. Die Bevölkerung
ist aufgerufen, Blut für die
Soldaten zu spenden, was im
Fernsehen übertragen wird.
Die US-Regierung sieht im
Jemen darüber hinaus die Gefahr
einer angeblichen neuen
Formation von Al-Qaida. Eine
»Al-Qaidia der Arabischen
Halbinsel« habe Jemen zu ihrer
neuen Basis gemacht, erklärte
einer der Oberstrategen im
Kampf gegen den Terrorismus,
Michael Leitner, bei einer Anhörung
vor dem Komitee für
Heimatschutz des US-Senats.
Das Land könne zu einer »gefährlichen
Basis für Ausbildung
und Anschlagsvorbereitung«
der neuen Al-Qaida werden,
sagte er. US-Präsident Barack
Obama hat Jemen mehrfach die
volle Unterstützung im Kampf
gegen Terrorismus zugesagt.
Ein verheerender Luftangriff
Mitte Dezember, bei dem bis zu
70 Menschen getötet wurden,
war US-Medien zufolge vom
US-Präsidenten abgesegnet und
mit US-amerikanischem Know-
How durchgeführt worden.
Jemen ist das ärmste arabische
Land mit 23 Millionen Einwohnern
und Zehntausenden
Kriegsflüchtlingen aus Somalia.
Seit Beginn der Kämpfe gegen
die Houthis 2004 wurden rund
175 000 Menschen vertrieben.
Aktuell spricht das UN-Hilfswerk
für Flüchtlinge, UNHCR,
von weiteren 94 000 Vertriebenen.
Karin Leukefeld
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