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Suche nach Geiseln ausgeweitet

Jemenitische Regierung noch ohne Hinweis auf Identität und Motiv der Entführer - Ermordete identifiziert

Von Karin Leukefeld *

Die jemenitischen Sicherheitskräfte haben ihre Suche nach den sechs Geiseln aus Deutschland und Großbritannien ausgeweitet. Seit Mittwoch wird nicht nur die nordwestliche Provinz Saada durchkämmt, sondern auch die Nachbarprovinzen Al-Jawf, Amran und Hadscha.

Am Tag nach der Entdeckung dreier toter Ausländerinnen in Saada hat die jemenitische Regierung begonnen, ausländische Hilfsteams aus Krankenhäusern der Region zu evakuieren. Das berichtete die Tageszeitung »Yemen Observer« am Dienstag. Nicht alle Ausländer hätten der Aufforderung jedoch Folge geleistet. Sechs weitere Geiseln, ein deutsches Ehepaar, drei Kinder und ein britischer Ingenieur, werden weiterhin vermisst. Sicherheitskräfte durchkämmten das Gebiet der vermutlichen Entführung, konnten bisher aber offenbar weder Spuren der Vermissten noch der möglichen Entführer finden. Der Gouverneur der Provinz Saada bot im Fernsehen 25 000 US-Dollar für Hinweise auf Täter.

Innenminister Rashad al Masri beschuldigte den schiitischen Stamm der Huthi, mit dem die Regierung sich seit Jahren einen Kampf um dessen traditionelle religiöse Rechte in seinem Siedlungsgebiet liefert. Ein anonymer Sprecher der Gruppe wies die Anschuldigung zurück und warf der Regierung vor, den Vorfall zu nutzen, um neue Angriffe auf die Huthi vorzubereiten. Er habe mit dem Sprecher der Huthi geredet, erklärte Mohammad al Qadhi, Journalist der jemenitischen Tageszeitung »The National« im arabischen Nachrichtensender »Al Dschasira«: »Sie haben den Angriff scharf verurteilt.«

Die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den Huthi haben sich seit Wochen verschärft. Die Kämpfe hätten mehr als 3000 Menschen aus ländlichen Gebieten vertrieben, berichtete Rabab al-Rifai, Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC). Viele Menschen hätten Zuflucht in der Stadt Saada gesucht. Beim Flüchtlingshilfswerk UNHCR spricht man von 100 000 Inlandsvertriebenen, die seit 2004 infolge des Konflikts in der Provinz registriert wurden.

Geiselnahmen gehörten jedoch bisher nicht zu den Kampfformen. Die wurden von anderen Stämmen des unübersichtlichen jemenitischen Berglandes praktiziert - meist um Geld zu erpressen, den Bau lokaler Infrastruktur durchzusetzen oder inhaftierte Stammesangehörige freizubekommen. Ermordet wurden die Geiseln von den Entführern fast nie.

Mehrfach hatte der Emir von Katar Waffenstillstände zwischen den Huthi und der Regierung vermittelt. Derzeit laufen jedoch vor einem Sondergericht in Sanaa verschiedene Verfahren gegen Huthi, die auch als Anhänger der Islamischen Revolution in Iran gelten. Seit April 2008 wurden 127 Huthi-Anhänger verurteilt. Verfahren laufen aber auch gegen oppositionelle Aktivisten aus Südjemen, die in den letzten Monaten ihre Proteste gegen die Regierung in Sanaa verstärkt haben. Sie fordern eine Abtrennung Südjemens, das sich erst 1990 mit Nordjemen vereinigt hatte. Ihrer Auffassung nach vernachlässigt die Regierung in Sanaa den Süden politisch, wirtschaftlich und sozial.

Ende April 2009 wurden bei Zusammenstößen zwischen der Armee und Demonstranten in Aden und anderen Städten des Südens 19 Personen getötet. Während die organisierte Opposition nach Gründung eines neuen Staates in Südjemen strebt, haben viele Menschen in den letzten Wochen lediglich für bessere Lebensbedingungen demonstriert.

Jemen gilt als das ärmste Land der arabischen Halbinsel. Vor allem in ländlichen Gebieten und schwer zugänglichen Tälern (Wadis) fehlt es an Wasser und Nahrungsmitteln. Arbeitslosigkeit und enorme Preissteigerungen machen das Leben zusätzlich schwer. Eine halbe Million Jemeniten überleben nur mit Unterstützung des Welternährungsprogramms (WFP).

Im Falle der jüngsten Entführung und der Ermordung dreier Geiseln wird auch über die Täterschaft einer Qaida-Gruppe spekuliert. In der vergangenen Woche wurde gemeldet, ein hochrangiger Qaida-Mann sei in Jemen festgenommen worden. Inwieweit ausländische Geheimdienste die jemenitische Regierung dabei unterstützt haben könnten, bleibt naturgemäß im Dunkeln. Sowohl die USA als auch Deutschland unterhalten sehr gute Beziehungen zur Regierung in Sanaa. Angeblich soll der US-Geheimdienst Deutschland vor Angriffen auf deutsche Staatsbürger in Jemen gewarnt haben.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2009


Kein Kontakt zu Jemen-Geiseln

Behörden werfen Entführungsopfern Unvorsichtigkeit vor **

Die in Jemen vermissten deutschen Geiseln sollen noch während des Überfalls durch die Entführer per Handy einen verzweifelten Hilferuf abgesetzt haben. Sie waren am Freitag vergangener Woche in der Provinz Saada zusammen mit einer Südkoreanerin und einem Briten verschleppt worden.

Sanaa (dpa/ND). Nach Angaben der Zeitung »Yemen Times« vom Donnerstag riefen die entführten Deutschen eine jemenitische Krankenschwester in Saada an, die danach sofort die lokalen Behörden und die Anführer der schiitischen Houthi-Rebellen, die jeweils Teile der Provinz kontrollieren, informiert haben soll. Die Krankenschwester, die zusammen mit den Deutschen im Dschumhuri-Krankenhaus arbeitete, soll berichtet haben, die Deutschen hätten ihr gesagt, sie würden von den Fremden »drangsaliert«.

Laut dem Bericht wurde die Gruppe während eines Ausflugs zu einem Bauernhof in der Ortschaft Gharas von drei bewaffneten bärtigen Männern überfallen, die ihnen mit ihrem Geländewagen den Weg versperrten. Anschließend sollen die Entführer mit dem eigenen Auto und dem Wagen der Ausländer quer durch die Provinz gefahren sein.

Ein Lokalpolitiker aus Saada sagte, sie seien am Freitag (12. Juni) in dem von den Houthi-Rebellen kontrollierten Gebiet gesichtet worden. Die Houthi-Bewegung stritt erneut jede Beteiligung an der Geiselnahme ab. Sie behauptete, die Regierung versuche, ihr das Verbrechen in die Schuhe zu schieben, um eine neue Militäroffensive gegen die Bewegung zu rechtfertigen. Die beiden deutschen Pflegehelferinnen und die südkoreanische Lehrerin wurden von den Entführern wohl schon kurz nach dem telefonischen Hilferuf erschossen. Die Leichen wurden am Montag (15. Juni) in einem Flusstal gefunden.

Ein jemenitischer Arzt, der die Leichen gesehen hatte, sagte der Zeitung, die Frauen seien bereits drei Tage zuvor erschossen worden. Der Arzt widersprach Medienberichten, wonach die Frauen von den Mördern verstümmelt worden sein sollen. Sie seien mit mehreren Schüssen getötet worden. Die Entführer sollen nach Informationen des Blattes aus dem Umfeld lokaler wahhabitischer Extremistengruppen stammen. Der Wahhabismus ist eine puritanische Version des sunnitischen Islam, der im benachbarten Saudi-Arabien Staatsreligion ist. Einige Wahhabiten-Gruppen sollen sich in den vergangenen Jahren – teils aus finanziellem Interesse, teils aus religiöser Überzeugung – dem Kampf gegen die schiitischen Anhänger von Rebellenführer Abdulmalik al-Houthi in Saada angeschlossen haben.

Regierungstreue Jemeniten hatten am Mittwoch (17. Juni) eine Demonstration organisiert, um gegen die Entführung und Ermordung der Helfer zu protestieren. Dabei hatten sie unter anderem Bilder der fünfköpfigen Familie aus Sachsen hochgehalten, die sich zusammen mit dem Briten in der Gewalt der Entführer befinden soll.

Die jemenitischen Behörden warfen den Entführungsopfern derweil Unvorsichtigkeit vor. Die Zeitung »26. September« schrieb am Donnerstag, die Deutschen, die Südkoreanerin und der Brite hätten vor ihrem Ausflug die Direktion des Dschumhuri-Krankenhauses in Saada, wo sie beschäftigt waren, informieren müssen.

Nach einer wilden Verfolgungsjagd stellte sich in Jemen jetzt ein mutmaßliches Mitglied des Terrornetzwerks Qaida aus Saudi-Arabien den Behörden. Das berichtete das Verteidigungsministerium in Sanaa am Donnerstag. Naif Duhais Jahia al-Harbi habe »wichtige Informationen gegeben, die zur Verhaftung einer Reihe von gefährlichen Mitgliedern der Organisation führen werden«, hieß es. In welcher Provinz er sich stellte, blieb unklar. Harbis Name steht nicht auf der Liste der gefährlichsten Terroristen des saudischen Innenministeriums.

** Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2009


Weitere Meldungen

Deutsche im Jemen weiter verschollen - Saudis frei

Während im Jemen weiter nach der entführten deutschen Familie gesucht wird, haben Kidnapper in dem arabischen Land zwei Geiseln aus Saudi-Arabien freigelassen.

Unterdessen haben die Sicherheitskräfte angeblich zwei der Hauptverdächtigen identifiziert. Das berichtete die regierungsnahe Zeitung «Al-Thawra». Nach den Verdächtigen, die namentlich bekannt seien, werde nun gesucht, hieß es. Die Behörden wüssten auch, in welcher Region sich die beiden Männer derzeit aufhielten.

Von der fünfköpfigen Familie aus Sachsen und dem britischen Ingenieur fehlt bislang jede Spur. Sie sind seit dem Überfall der Entführer vom Freitag vergangener Woche verschollen. Drei Frauen, darunter zwei deutsche Pflegehelferinnen, hatten die Geiselnehmer direkt erschossen.

Das Innenministerium in Sanaa meldete in der Nacht, die beiden Männer aus Saudi-Arabien seien am vergangenen Sonntag in der nördlichen Provinz Amran von Anhängern des schiitischen Rebellenführers Abdulmalik al-Houthi verschleppt und nun wieder freigelassen worden. Zwei Stammesscheichs hätten die Freigelassenen begleitet. Die Houthi-Bewegung wirft Saudi-Arabien vor, es unterstütze die jemenitische Regierung und die mit ihr verbündeten Stämme finanziell im Kampf gegen die schiitischen Rebellen.

Die Houthi-Anhänger behaupten inzwischen, die Regierung benutze die Entführung der neun Ausländer aus Deutschland, Südkorea und Großbritannien, um eine neue Militäroffensive gegen die Rebellen in der Provinz Saada zu rechtfertigen. Gestern hätten die Regierungstruppen in mehreren Ortschaften angegriffen, die von den Houthi-Anhängern kontrolliert würden.

dpa, 19. Juni 2009


Zweite im Jemen ermordete Geisel identifiziert

Berlin (AP) Die zweite deutsche der drei im Jemen ermordeten Geiseln ist eindeutig identifiziert worden. Das teilte Außenamtssprecher Jens Plötner am Freitag in Berlin mit. Damit steht fest, dass es sich bei den beiden Frauen um die Lemgoer Bibelschülerinnen Rita S. und Anita G. handelt. Die dritte Frau war Südkoreanerin.

Sie gehörten einer Gruppe von neun Personen an, die vor einer Woche im Nordjemen entführt wurde. Das Schicksal der übrigen sechs - einer fünfköpfigen deutschen Familie und eines Briten - sei nach wie vor völlig offen, sagte Plötner. Er versicherte aber, dass der Krisenstab in Berlin und die Botschaft in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa ihre Bemühungen zur Klärung intensiv «mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln» fortsetzen würden.

AP, 19. Juni 2009


Kidnapper im Jemen angeblich identifiziert

Die Sicherheitskräfte im Jemen haben im dem blutigen Geiseldrama um eine Gruppe verschleppter Deutscher angeblich zwei Hauptverdächtige identifiziert. Das berichtet die regierungsnahe Zeitung «Al-Thawra» in der Provinz Saada. Nach den Verdächtigen, die namentlich bekannt seien, werde nun gesucht, hieß es. Die Behörden wüssten auch, in welcher Region sie sich derzeit aufhielten. Von der fünfköpfigen Familie aus Sachsen und dem britischen Ingenieur fehlt noch jede Spur. Drei Frauen hatten die Kidnapper direkt erschossen.

dpa, 19. Juni 2009




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