Deutsche Schwesterschülerinnen im Jemen gekidnappt und ermordet
Steckt Terrororganisation dahinter? Angst vor Chaos und Staatszerfall. Mehrere Beiträge
Am 12. Juni 2009 wurden im Jemen zwei deutsche Pflegehelferinnen, eine koreanische Lehrerin, eine 5-köpfige deutsche Familie sowie ein 45 Jahre alter britischer Ingenieur entführt. Drei Tage später wurden drei Geiseln tot aufgefunden, von den übrigen Entführten fehlte jede Spur.
Wir dokumentieren im Folgenden eine Reihe von Meldungen und Artikeln, die sich mit möglichen Hintergründen der Entführung sowie mit der Lage im Jemen befassen.
Geisel-Suche wird ausgeweitet *
Die jemenitischen Sicherheitskräfte haben ihre Suche nach den sechs Geiseln aus Deutschland und Großbritannien inzwischen auf drei weitere Nachbarprovinzen ausgedehnt. Von den Opfern fehlt immer noch jede Spur.
Hunderte von Anhängern des schiitischen Rebellenführers Abdulmalik al-Houthi im Jemen haben am Mittwoch (17.06.2009) in der Provinz Saada gegen die Entführung und Ermordung von zwei deutschen Frauen protestiert. Ein Sprecher der islamistischen Bewegung sagte, die Demonstranten hätten während ihres Protestzuges in der Ortschaft Dhahian die positive Rolle der ausländischen Helfer im Dschumhuri-Krankenhaus betont. "Wir sprechen dem deutschen Volk unser Beileid aus" und "Die Sicherheitsbehörden müssen dieses verabscheuungswürdige Verbrechen unbedingt aufklären" stand auf ihren Transparenten.
Am Montag (15. Juni) waren in der jemenitischen Provinz Saada die Leichen zweier deutscher Pflegehelferinnen und einer koreanischen Lehrerin gefunden worden. Die Frauen waren am Freitag (12. Juni) während eines Ausfluges zusammen mit einer deutschen fünfköpfigen Familie und einem 45 Jahre alten britischen Ingenieur nördlich der Hauptstadt Sanaa entführt worden.
Opfer aus Nordrhein-Westfalen
Bei den toten Deutschen handelt es sich um zwei Studentinnen der Bibelschule Brake im nordrheinwestfälischen Lemgo. Nach Angaben der Schule hatten sie sich wegen ihres "ausgeprägten sozial-diakonischen Engagements" für ein Praktikum im Jemen entschieden, das sie im Krankenhaus von Saada absolvierten. Von den anderen Geiseln fehlt weiterhin jede Spur.
Aus diesem Grund haben die jemenitischen Sicherheitskräfte ihre Suche jetzt auf die Nachbarprovinzen Al-Jawf, Amran und Hadscha ausgedehnt. Auch ein deutsches Ermittlerteam ist vor Ort. Entgegen anders lautenden Berichten gebe es keine gesicherten Erkenntnisse über den Aufenthaltsort der fünf verschleppten Deutschen, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag (16.06.2009) in Berlin. Es müsse aber davon ausgegangen werden, dass sie sich in den Händen skrupelloser Gewalttäter befänden. Er habe mit seinem jemenitischen Kollegen telefoniert, der ihm Hilfe in dem Fall zugesagt habe.
Steckt El Kaida hinter der Tat?
Die beiden tot aufgefundenen deutschen Frauen sind einem Pressebericht zufolge womöglich wegen ihres christlichen Bekenntnisses ermordet worden. Sie seien vermutlich als fromme Christinnen aufgefallen und deshalb getötet worden, zitiert der "Tagesspiegel" (Mittwochsausgabe) einen namentlich nicht genannten Experten aus Sicherheitskreisen. Die Tötung weiblicher Geiseln sei untypisch; islamische Terroristen brächten in der Regel zuerst Männer um.
Die jemenitische Regierung verzehnfachte die Belohnung für Hinweise auf die Entführer und ihren Aufenthaltsort. Im Jemen werden vergleichsweise häufig westliche Touristen oder Arbeiter entführt. Meistens werden sie nach der Zahlung von Lösegeld freigelassen, ohne dass es zu Gewalt kommt. Daher hat die Ermordung der Ausländer Spekulationen ausgelöst, die Terror-Organisation El Kaida könnte dahinter stecken. Am Sonntag war nach Angaben aus Sicherheitskreisen ein saudiarabischer Staatsbürger festgenommen worden, der Finanzchef von El Kaida in seinem Heimatland und im Jemen sein soll. Jemen ist das ärmste arabische Land. Die zunehmende Unruhe dort hat Befürchtungen geweckt, es könne sich zu einer Hochburg für radikale Islamisten entwickeln.
In jemenitischen Medien wurde auch von einem Machtkampf zwischen einem lokalen Drogenschmuggler und den Sicherheitskräften in Saada berichtet. Demnach könnten die Ausländer von einem Drogenboss als Faustpfand entführt worden sein, um die Behörden zur Herausgabe einer beschlagnahmten Drogenlieferung zu zwingen.
(ina/je/gmf/gri/rtr/dpa/kna)
* Quelle: Deutsche Welle, 17. Juni 2009
Weitere Meldungen
Drei Tote in Jemen entdeckt
Leichen von zwei deutschen Frauen und einer Südkoreanerin **
Unbekannte haben in Jemen zwei deutsche Frauen und eine Südkoreanerin getötet, die am
vergangenen Freitag (12. Juni) nördlich von Sanaa verschwunden waren. Das berichteten am Montag (15. Juni) übereinstimmend Provinzbeamte und Stammesführer in der nordwestlichen Provinz Saada.
Sanaa (dpa/ND). Ein Beamter im Innenministerium von Jemen hatte zunächst erklärt, bei den Toten,
die in einem trockenen Flusstal in Saada entdeckt wurden, handele es sich um die drei deutschen
Frauen, die zu den seit Freitag in Saada verschollenen neun Ausländern gehörten. Im Auswärtigen
Amt in Berlin gab es für den Bericht über den Leichenfund zunächst keine Bestätigung.
Noch unklar ist das Schicksal der sechs anderen Ausländer, die zusammen mit den drei Frauen
verschwunden waren. Für Berichte, wonach angeblich noch weitere Leichen gefunden wurden, gab
es zunächst keine verlässlichen Quellen. Zu der Gruppe hatten ein deutscher Techniker, seine
Ehefrau sowie die drei gemeinsamen Kinder des Paares gehört. Mit ihnen waren zwei deutsche
Pflegehelferinnen, eine südkoreanische Lehrerin und ein britischer Ingenieur unterwegs gewesen.
Die Ausländer waren alle in einem Krankenhaus in Saada beschäftigt. Zwei der Kinder sind nach
Abgaben von Beamten in der Provinz Saada lebend gefunden worden.
Trotz vorsichtiger Öffnung ist die Gesellschaft Jemens nach wie vor stark von Traditionen und
Stammesstrukturen geprägt. Die Herrscher von mehreren hundert Stämmen erkennen eine
Zentralgewalt des Staates nicht an. Dementsprechend begrenzt sind die Einflussmöglichkeiten der
Zentralregierung in der Hauptstadt Sanaa. Mit Entführungen von Touristen und anderen Ausländern
versuchen die Stämme, ihre Forderungen durchzusetzen und mehr vom Wohlstand abzubekommen.
In der nordwestlichen Provinz Saada ist das Elend noch größer als andernorts in Jemen. Hunderte
von Familien haben in der Provinz in den vergangenen fünf Jahren ihre Häuser verlassen, um vor
den immer wieder aufflammenden Kämpfen zwischen den schiitischen Houthi-Rebellen und den
Regierungstruppen zu fliehen. Das UN- Flüchtlingshilfswerk kümmert sich um die Vertriebenen.
Als die deutsche Familie am Freitag (12. Juni) zusammen mit den anderen verschwand, gingen Beobachter in
Sanaa zunächst von einer Entführung durch Stammesangehörige aus. Man glaubte, Bewaffnete
hätten sich Ausländer gegriffen, um sie als Faustpfand in ihren Machtspielen zu benutzen.
** Aus: Neues Deutschland, 16. Juni 2009
Suche nach Verschleppten in Jemen
Tote deutsche Frauen sind zwei Schwesternschülerinnen der Bibelschule Brake in Lemgo
Bundeskanzlerin Angela Merkel dringt auf eine rasche Klärung des Schicksals der deutschen
Geiseln in Jemen.
Berlin/Sanaa (Agenturen/ND). »Wir tun alles, dass wir möglichst schnell erfahren, was mit den
anderen Geiseln ist«, sagte Merkel am Dienstag (16. Juni) in Berlin. Der Tod von zwei deutschen Frauen in
Jemen sei »eine sehr traurige Nachricht«. Sie warnte aber vor Spekulationen »an falscher Stelle« über die Hintergründe der Tat. Wichtig sei jetzt, alles aufzuklären.
Die sterblichen Überreste der drei Frauen, die von Geiselnehmern in der jemenitischen Provinz
Saada ermordet wurden, sind am Dienstag (16. Juni) per Hubschrauber in die Hauptstadt Sanaa gebracht
worden. Das berichteten Augenzeugen am Flughafen. Die Leichname der zwei deutschen
Pflegehelferinnen und der koreanischen Lehrerin sollten nach Angaben des
Gesundheitsministeriums zunächst zur Autopsie gebracht und dann in ihre Heimatländer übergeführt
werden. Von den weiteren sechs Geiseln, die noch vermisst werden – eine fünfköpfige deutsche
Familie und ein Brite fehlte am Dienstag noch jede Spur.
Am Dienstag (16. Juni) traf ein deutsches Ermittlerteam in der Hauptstadt Sanaa ein. Das verlautete aus
jemenitischen Sicherheitskreisen in Sanaa. Ein zweites Team, zu dem auch Ärzte gehörten, werde
noch erwartet, sagte ein Beamter. Der Gouverneur der Provinz Saada, in der die neun Ausländer am
vergangenen Freitag entführt worden waren, versprach unterdessen für Hinweise auf das Versteck
der Geiselnehmer eine Belohnung von umgerechnet rund 18 000 Euro.
Bei den beiden in Jemen tot aufgefundenen deutschen Frauen handelt es sich um
Schwesternschülerinnen der Bibelschule Brake in Lemgo (Nordrhein-Westfalen). Die Schulleitung
teilte mit, sie habe »mit tiefer Bestürzung« die
Nachricht vom Tod der 24-jährigen Anita G. und der 25-jährigen Rita S. aufgenommen.
Die beiden Schülerinnen der Bibelschule im Lipperland waren nach Angaben der Schulleitung seit
Anfang Juni in Jemen, wo sie im Krankenhaus von Saada als Krankenpflegerinnen ein Praktikum für
die Hilfsorganisation Worldwide Services absolvierten. Das Praktikum sollte drei Monate dauern.
Laut Schulleitung hatten sich Rita S. und Anita G. »aufgrund ihres ausgeprägten sozial-diakonischen
Engagements« für den Einsatz entschieden.
Die 1959 gegründete Schule bezog 1962 das Schulgebäude in Brake im Nordosten Nordrhein-
Westfalens. Zu ihren Ausbildungszielen gibt die Schule an, »angesichts des Missionsbefehls Jesu
Christi« solle »die gesamte Ausbildung dazu beitragen, dass jeder die Schule mit einem ›Herzen für
Mission‹ verlässt«.
Die Umstände des Todes der beiden Frauen seien noch unklar, sagte Bundesaußenminister Frank-
Walter Steinmeier. Zugleich erläuterte er, es müsse davon ausgegangen werden, dass die fünf
anderen entführten Deutschen in den Händen »skrupelloser Gewalttäter« seien.
Die jemenitischen Sicherheitskräfte durchkämmten am Dienstag auf der Suche nach den
verschleppten Geiseln Regionen im Norden des Landes.
*** Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2009
Angst vor Chaos im Jemen
Von Klaus Heymach ****
[Auszüge]
(...) Immer wieder ist der Jemen in den vergangenen Monaten von Terror und Gewalt erschüttert worden. Vor anderthalb Jahren starben acht spanische Touristen bei einem Selbstmordanschlag. Im September 2008 kamen 16 Menschen bei einem Angriff auf die amerikanische Botschaft ums Leben. Und nun schon wieder.
(...) Die Regierung habe verstanden, dass sie den "Terror ausrotten" müsse: "Eine andere Option gibt es nicht." Der Kampf gegen Extremismus und Gewalt werde aber weiter Opfer fordern, warnt (Präsidentenberater Faris) Sanabani: "Erst mal wird es schlimmer werden im Kampf gegeneinander, bevor es dann aufwärts geht."
(...) "Unsere Herausforderung ist die Wirtschaft", sagt Sanabani. "Das Bevölkerungswachstum ist hoch, es kommen wenig Investitionen ins Land, unser Ruf in den Medien ist katastrophal." Armut und Hunger schafften Hass, Neid und Unzufriedenheit, sagt der Präsidentenberater.
(...) Für den Sozialisten Aiderus al-Nagib sind die Probleme im Land
unübersehbar. "Der Staat ist in der Krise", sagt der Fraktionschef.
Der Krieg gegen die schiitischen Rebellen im Norden gehe weiter, im Süden forderten immer mehr Menschen eine neuerliche Abspaltung. "Die Menschen wissen ja nicht einmal, wovon sie leben sollen", sagt Nagib. "Die Regierung ist weder in der Lage, Entführungen zu verhindern, noch tut sie etwas gegen die Korruption. Und wenn sie es für nötig hält, dann macht sie sogar gemeinsame Sache mit den Leuten von Al-Qaida."
Im vereinigten Jemen spielt Nagibs Partei, die frühere Einheitspartei des Südens, keine große Rolle mehr. Auch die übrigen Oppositionsparteien seien kaum in der Lage, die korrupte Regierung abzulösen, sagt der Politikwissenschaftler Abdallah al-Faqih von der Universität in Sanaa. Die zahlreichen Einflussgruppen blockierten sich gegenseitig, und dem Präsidenten gelinge es nicht mehr, alle einzubinden, sagt der Politologe. Staatschef Saleh wirft er vor, auf seinem Sessel zu kleben. "Wenn dieses Regime an der Macht festhält und sich nicht bewegt, dann fallen die Regionen nacheinander in die Hände lokaler Führer, wie in Somalia."
Das hieße: Bürgerkrieg und Staatszerfall. Die Gebirgsregion im Norden, in der die Deutschen nun Opfer blutiger Gewalt wurden, ist in den Augen Faqihs ein erstes Beispiel dafür. Noch ist unklar, auf wessen Konto die Entführungen gehen. Möglicherweise kämpft die Regierung hier an mehreren Fronten. Gegen sunnitische Extremisten der al-Qaida auf der einen Seite. Und gegen Anhänger des Huthi-Clans auf der anderen Seite. Diese schiitischen Rebellen kämpfen seit fünf Jahren gegen die Regierung, die ihnen vorwirft, mit Unterstützung des Irans einen schiitischen Gottesstaat errichten zu wollen.
In Wahrheit habe die Regierung die Provinz längst aufgegeben, fürchtet Abdallah al-Faqih. "Ich bin da ganz pessimistisch: Wirtschaftlich geht es weiter bergab, das führt zu mehr Gewalt – von Al-Qaida und von anderen."
**** Quelle: Deutsche Welle, 17. Juni 2009; www.dw-world.de
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