Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aufbegehren gegen Jemens Regierung

Unruhe im Nordwesten wie im Süden

Von Karin Leukefeld *

Nach Angaben des jemenitischen Verteidigungsministeriums in Sanaa sind seit Wiederaufflammen der Kämpfe mit schiitischen Rebellen im Nordwesten des Landes vor einem Jahr 338 Menschen getötet worden. Die Regierung macht für alles Kämpfer des Houthi-Stammes verantwortlich.

Die Houthi leben in der Provinz Saada und kämpfen für die Anerkennung religiöser Autonomie. Nach Regierungsangaben soll der Clan auch für die Entführung von rund 500 Zivilisten verantwortlich sein. Vertreter der Houthi weisen die Anschuldigungen zurück. Die Regierung führe Krieg gegen seinen Stamm, erklärte ein Sprecher, der anonym bleiben wollte, gegenüber der saudischen Internetzeitung Arab News. »Wir verteidigen uns und unsere Häuser«, sagte er.

Die Auseinandersetzung hat eine lange Geschichte. Seit 2004 verschärfte sich die Lage, nachdem Clan-Chef Hussein Badreddin Al-Houthi vom Militär getötet worden war. Mehrfach hat das Emirat Katar einen Waffenstillstand vermittelt. Zuletzt erklärte der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh im Sommer 2007 den Kampf für beendet und versprach eine Amnestie.

Doch die Vereinbarung hatte keinen Bestand. Erst kürzlich wurden zehn Anhänger der Houthi von einem Sondergericht in Sanaa zum Tode verurteilt. Nach Angaben von UN-Organisationen und dem Jemenitischen Roten Halbmond von Anfang Juli gelten in der Provinz Saada rund 130 000 Menschen als Inlandsflüchtlinge. In den vergangenen zwei Monaten sei die Zahl aufgrund heftiger Kämpfe drastisch gestiegen, das Welternährungsprogramm und das UN-Hilfswerk für Flüchtlinge (UNHCR) registrierten allein im Juni 5000 neue Flüchtlinge.

Auch im Süden des Landes geraten die Truppen der Zentralregierung unter Druck. Bei einem Angriff auf einen Kontrollposten der Armee am vergangenen Mittwoch wurden nach Agenturangaben vier Soldaten getötet. Berichten aus der Region zufolge war der Angriff vermutlich ein Racheakt für den Tod von 16 Demonstranten, die bei einer Protestaktion tags zuvor von den Sicherheitskräften getötet worden waren. Die Truppen der Zentralregierung werden von der Bevölkerung als »Besatzungstruppen« angesehen. Der Regierung wird vorgeworfen, die Bevölkerung Südjemens wirtschaftlich, politisch und kulturell auszugrenzen. Der Ruf nach neuerlicher Unabhängigkeit wird laut. Erst 1991 hatten sich die bis dahin existierenden zwei jemenitischen Staaten zusammengeschlossen, die politischen Schalthebel blieben jedoch fest in der Hand Salehs, der bereits seit 1978 Präsident der nördlichen Jemenitischen Arabischen Republik war.

Jemen gilt als das Armenhaus der arabischen Welt. Hunger, Wassernot und Arbeitslosigkeit quälen sowohl die einheimische Bevölkerung als auch viele Flüchtlinge aus dem kriegszerrütteten Somalia. 2008 landeten 50 000 Somalis an den Küsten Jemens, 70 Prozent mehr als im Jahr davor. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 30 000 Neuankömmlinge gezählt. Mehr als 1000 Somalis ertranken auf der gefährlichen Fahrt über den Golf von Aden.

Als »Partnerland deutscher Entwicklungszusammenarbeit« ist Jemen Einsatzort deutscher Organisationen, die für Wasser- und Abwasserversorgung sowie im Bildungsbereich tätig sind. Über die Mitte Juni im Nordwesten Jemens entführte deutsche Familie gibt es derweil keine Neuigkeiten. Der Appell der Eltern des entführten Vaters im Nachrichtensender »Al Jazeera«, die Familie freizulassen, blieb bislang ohne Antwort.

* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2009


Zurück zur "Jemen"-Seite

Zurück zur Homepage