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Alter Wein in alten Schläuchen

Neuwahlen in Japan: Rechtskonservative vor erneutem Sieg. Kommunisten erwarten Zugewinne

Von Michael Streitberg *

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag zeichnet sich ein Erdrutschsieg des Regierungslagers ab. Die Koalition aus rechtskonservativer Liberaldemokratischer Partei (LDP) und buddhistischer Komeito werde laut Umfragen mehr als zwei Drittel der 480 Sitze im Unterhaus gewinnen, berichtete die Japan Times am Mittwoch.

Im November hatte Premierminister Shinzo Abe (LDP) das Parlament aufgelöst und verkündet, er werde die Bevölkerung um eine Bestätigung seiner immer unbeliebteren, als »Abenomics« bekannt gewordenen, Wirtschaftspolitik bitten. Diese zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Notenbank massenhaft Geld druckt und ein Konjunkturprogramm gleichzeitig die Wirtschaft ankurbeln soll.

Nach anfänglichen Erfolgen war der Zauber dieses Modells jedoch verflogen. 71 Prozent der Japaner sind nicht der Meinung, dass die »Abenomics« ihre ökonomische Situation verbessert haben, ergab eine Umfrage der Zeitung Mainichi Shinbun am 29. und 30. November. Besonders junge Leute müssen sich immer öfter mit schlecht bezahlten, unsicheren Jobs über Wasser halten. Von diesen Problemen ist bei Shinzo Abe jedoch kaum die Rede. Entlastung verspricht er der Bevölkerung hingegen durch die Verschiebung der zweiten Phase einer noch von der Vorgängerregierung beschlossenen Anhebung der Mehrwertsteuer.

Auch die bereits erfolgte Neuinterpretation der Verfassung, mit der Abe die darin festgeschriebene Friedenspflicht und Nichtinterventionspolitik beenden will, sorgt für Unmut. Zudem trat am Mittwoch das bereits im Dezember 2013 ungeachtet großer Proteste beschlossene »Geheimhaltungsgesetz« in Kraft. Es droht Whistleblowern und Journalisten für die Veröffentlichung sowie für die bloße Forderung nach Enthüllung von als geheim eingestuften Informationen mit hohen Gefängnisstrafen.

Gegen politische Kritik setzt der Staat unterdessen auf Einschüchterung. Nachdem auf einer Satirehomepage ein imaginärer Zehnjähriger das Neuwahlmanöver der Regierung lächerlich gemacht hatte, verkündete der Premierminister: »Ich hoffe, dies ist nicht Teil eines organisierten Versuchs, die öffentliche Meinung im Vorfeld der Wahlen gegen mich aufzubringen.« Am Donnerstag vergangener Woche verhaftete die Polizei zudem Minori Kitahara, Betreiberin eines Sexshops für Frauen, Publizistin und Kritikerin der Abe-Regierung. Der zwei Tage später entlassenen Aktivistin wird vorgeworfen, mit einer Auslage in ihrem Schaufenster gegen Japans vage formulierte »Obszönitätsgesetze« verstoßen zu haben. Mehrere Zeitungen äußerten allerdings den Verdacht, die Aktion diene der Einschüchterung von Kritikern vor der Wahl.

Die größte Oppositionskraft - die sozialliberale Demokratische Partei (DPJ) - hat all dem indes nur wenig entgegenzusetzen. Seit ihrem Ausscheiden aus der Regierung 2012 ist sie von Flügelkämpfen geprägt. Die DPJ plant einen Atomausstieg bis 2040, kritisiert das Geheimhaltungsgesetz und übt vorsichtige Kritik an Abes Verfassungsrevision. Jedoch wird sie in zahlreichen Wahlkreisen gar nicht erst antreten; der Partei war es nicht gelungen, genügend Kandidaten aufzustellen.

Einzige konsequente Widerstandsformation bleibt die Kommunistische Partei Japans (JCP). Laut Umfragen könnte sie die Anzahl ihrer bislang acht Mandate im Unterhaus verdoppeln. Die JCP fordert den Ausstieg aus der Atomkraft sowie ein Ende der Aufrüstungs- und Konfrontationspolitik gegenüber Japans Nachbarn. Sie wendet sich zudem gegen die Militärbasen der USA auf Japans südlichster Insel Okinawa. Der zunehmenden Prekarisierung und der durch zahllose Überstunden allgegenwärtigen Arbeitshetze tritt die Partei mit Forderungen nach einem stärker regulierten Arbeitsmarkt entgegen. Mit einem Wahlkampf auf der Straße und im Internet will die JCP vor allem junge Wähler ansprechen. In mehreren Onlinewerbespots rufen die bunten Cartoon-Maskottchen der Partei, darunter eine kämpferisch mit Judogürtel versehene Verfassung und ein Naturgeist aus Okinawa, zu einem Politikwechsel auf.

* Aus: junge Welt, Samstag, 13. Dezember 2014


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