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Historischer Sieg

In Japan kommt es zu einem Machtwechsel *

Mit überwältigender Mehrheit haben die Japaner bei den Parlamentswahlen für einen historischen Machtwechsel gestimmt.

Japan steht erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert vor einer politischen Wachablösung. Nach übereinstimmenden Prognosen hat die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei Japans (DPJ) unter dem Hoffnungsträger Yukio Hatoyama, bei der Wahl zum Unterhaus des Parlaments am Sonntag (30. Aug.) einen haushohen Sieg über die regierende Liberaldemokratische (LDP) von Ministerpräsident Taro Aso errungen. Hatoyama ist damit die Wahl durch das Unterhaus zum neuen Regierungschef des Landes rechnerisch sicher.

Damit beendet die DPJ die seit 1955 fast ununterbrochen andauernde Herrschaft der LDP. Der LDP werden jahrelanges Missmanagement, wirtschaftliche Stagnation und ein schwerer Rentenskandal angelastet. Hatoyamas DPJ könnte laut den Prognosen nach der Stimmenabgabe auf mehr als 300 der insgesamt 480 Unterhaussitze kommen. Bisher hatte sie 112.

Hatoyama versprach, die DPJ werde die von »Bürokraten geführte unverantwortliche Politik« der LDP-Ära beenden. Wegen ihrer intern unterschiedlichen Ansichten rechnen politische Beobachter jedoch zunächst mit komplexen Abstimmungsprozessen. Während die LDP zuerst die Interessen der Wirtschaft bediente, stellt die Demokratische Partei den Bürger ins Zentrum. Sie will vor allem denen helfen, die am stärksten von der Krise betroffen sind: Familien mit Kindern, Rentnern, Arbeitslosen und den Landwirten. So will sie das Kindergeld erhöhen, die Gebühren für höhere Schulen und Autobahnen abschaffen, Bauern ein Mindesteinkommen geben und eine Mindestrente einführen.

Wirtschaftsvertreter haben das Ausgabenprogramm der Demokraten für kaum finanzierbar erklärt, auch weil Japan mit fast 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die höchste Staatsverschuldung aller Industrieländer hat.

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2009

Reformer **

Yukio Hatoyama, mit seiner Demokratischen Partei deutlicher Triumphator der gestrigen Parlamentswahl, ist wirklich kein Neuankömmling in der japanischen Politik. Trotzdem hat er versprochen, frischen Wind in die verkrustete Politlandschaft des Kaiserreiches bringen. Die Chance dazu hat er jetzt mit der Regierungsübernahme, denn mit dem Sieg seiner Demokratischen Partei (DPJ) ist die über Jahrzehnte beinahe ununterbrochene Herrschaft der Liberaldemokratischen Partei (LDP) erst einmal beendet.

Von Hatoyama erhofft die Mehrzahl der Wähler offenbar, dass er den Pfuhl aus Ämterpatronage und Wahlkreisvererbung trockenlegt. Das sind kühne Erwartungen, wenn man bedenkt, dass auch er schon jahrzehntelanger Bestandteil dieses Polit-Establishments ist - nur eben zuletzt in der Opposition.

Hatoyama wurde seine Karriere mit in die Wiege gelegt. Seine Familie mischt seit vier Genarationen in der Politik mit. Großvater Ichiro Hatoyama brachte es bis zum Ministerpräsidenten (1954-56), der Vater war Außen-, ein Bruder Innenminister. Yukio Hatoyama, in Tokio geboren, wurde 1988 Abgeordneter für einen Wahlkreis auf Hokkaido, den auch er gewissermaßen von seinem Vater erbte - für keine andere als die damals regierende und jetzt abgewählte LDP. Dieser kehrte er aber 1993 den Rücken und gründete mit anderen LDP-Abtrünnigen die Neue Sakigake-Partei, verließ auch diese wieder und schloss sich der heutigen DPJ an, deren Vorsitzender er erstmals 1999 wurde.

All dies lässt kaum auf alternative politische Ansätze gegenüber der LDP schließen. Sein Arbeitsleben als Nichtpolitiker war nach einem Ingenieur-Studium in Tokio und Stanford (USA) ebenfalls recht kurz, aber es war ohnehin keine Erwerbstätigkeit im Wortsinne, denn Hatoyamas anderer Großvater war niemand anders als Shojiro Ishibashi, der Gründer des weltgrößten Reifenherstellers Brid- gestone. Hatoyama gilt mit dessen Vermögen im Rücken als der reichste Abgeordnete Japans.

Man darf gespannt sein, ob er sich seiner sozialen Forderungen aus dem Wahlkampf - u. a. kräftige Erhöhung des Kindergeldes, Mindesteinkommen für Bauern und Einführung einer Mindestrente - erinnert. ROE

** Aus: Neues Deutschland, 31. August 2009




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