Japan steht vor einem politischen Tsunami
Wahlkampf mit Fernsehdebatte eröffnet
Von Daniel Kestenholz, Bangkok *
Mit einer Fernsehdebatte der Parteichefs ist am Montag der offizielle Wahlkampf für Japans
Parlamentswahlen am 30. August eröffnet worden.
Im Land ist schon von einem politischen Tsunami die Rede. Denn als haushohe Favoriten gehen die
oppositionellen Demokraten (DPJ) unter Yukio Hatoyama ins Wahlrennen. Sie dürfen nach
Umfragen mit einer klaren Mehrheit der 480 Sitze liebäugeln. Die seit über einem halben
Jahrhundert mit nur einer kurzen Unterbrechung regierenden Liberaldemokraten (LDP) haben sich
unter Premier Taro Aso mit dem drohenden Machtwechsel aber noch keinesfalls abgefunden und
geben sich angriffslustig. Aso wirft seinem Herausforderer unverantwortlichen »Sozialismus« vor, zu
dem schlicht das Geld fehle. Angstmache gehörte noch immer zum Wahlkampf der Liberaldemokraten, die alle vier Jahre vor Experimenten unter einer »unerfahrenen« Regierung
warnen, wenn die Stunde der Opposition gekommen scheint.
DPJ-Chef Hatoyama wirkt so jugendlich und frisch neben dem verkniffenen Aso, dass er schon mit
Junichiro Koizumi verglichen wird, dem populärsten Premier in der modernen Geschichte Japans.
Mit seinem Schwung hatte Koizumi die arteriosklerotischen Liberaldemokraten neu belebt. Doch seit
seinem Rücktritt 2006 zählte Tokio bereits drei Premiers. Die Demokraten halten seit 2007 schon
das Oberhaus, wo sie jedoch weniger durch eine konstruktive Politik glänzen, sondern vor allem
versuchen, die LDP zu lähmen. Als dann noch die globale Wirtschaftskrise kam, die Japan als
massive Exportkrise traf, wurde die DPJ fast wie von selbst zur Wahlfavoritin.
Die Demokraten versprechen ein Ende der starren Bürokratenkultur der LDP, einen Wandel vom
unternehmens- zum menschenorientierten Regieren, ein moderneres Rentensystem,
Steuersenkungen und generöse Zuschüsse für Kinder. So großzügig die Wahlversprechen sind, so
spärlich sind die Erklärungen, wie das alles zu finanzieren sei – was Premier Aso gleich zum
Kernthema seiner ersten Wahlrede vor Tokios Hachioji- Bahnhof machte.
Die Demokraten
entgegnen, nach einem Wahlsieg werde man das letzte Konjunkturpaket der LDP-Regierung
restrukturieren und mit einem Teil der veranschlagten 162 Milliarden US-Dollar ein Sonderbudget für
das nächste Fiskaljahr schaffen. Das reiche bequem, ein von ihnen geplantes schlankeres, doch
effizienteres Konjunkturpaket zu finanzieren. Aso betonte auf der Wahlbühne indes, nach neuesten
Wirtschaftsdaten sei Japans Rezession vorbei. Die Konjunkturprogramme würden greifen, das Land
sei auf dem richtigen Weg. Doch das sind Statistiken.
Im Volk scheint die Ernüchterung zu überwiegen. Die Menschen sind erschöpft. Japans ohnehin
hohe Selbstmordrate ist unter dem Druck der Wirtschaftskrise noch gestiegen. Die Demokraten
haben mit ihrer populistischen Agenda daher relativ leichtes Spiel. Japans Regierungspartei fehlt ein
Koizumi. »Ändert die LDP und ändert Japan«, lautete seine Parole. Mit seinem Abgang verlor die
Partei jedoch jeden Reformschwung, was es den Demokraten noch leichter macht, sich den Wandel
auf die Fahne zu schreiben. Insgeheim rechnet die siegessichere DPJ Ende des Monats mit einer
absoluten Mehrheit und der Regierungsbildung. Doch dazu müsste sie ihre gegenwärtig 112 Sitze
mehr als verdoppeln, was im Nachkriegsjapan noch keiner Partei gelang.
Mit ihrem kleinen
Koalitionspartner kontrolliert die LDP gegenwärtig zwei Drittel der Sitze. Selbst eine deutliche
Wahlniederlage könnte am Ende also durchaus für eine erneute Regierung reichen.
* Aus: Neues Deutschland, 19. August 2009
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