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"Trostfrauen" immer noch tabuisiert?

Kiyomi Ikenaga über sexuelle Verbrechen der japanischen Armee im Asien-Pazifik-Krieg *


Kiyomi Ikenaga kommt aus der japanischen Stadt Takarazuka auf der Insel Honshu. Sie lebt seit 1990 in Berlin und ist Mitglied der Japanischen Fraueninitiative Berlin, die sich seit 1992 mit dem Thema »Trostfrauen« auseinandersetzt. Für das "Neue Deutschland" (ND) sprach Antje Stiebitz mit der Aktivistin.

ND: Sie werden heute ab 17 Uhr am Berliner Wittenbergplatz eine Mahnwache für die »Trostfrauen« des japanischen Militärs im Zweiten Weltkrieg abhalten. Welchen Anlass gibt es dafür?

Ikenaga: Es gibt mehrere: Der 15. August 1945 war der Tag der japanischen Kapitulation. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass Japan keinen Krieg mehr führen darf. Der zweite Anlass ist, dass seit 1992 jeden Mittwoch eine Demonstration der »Trostfrauen« vor der japanischen Botschaft in Seoul stattfindet. Heute wird es die 982. sein. Und vor 20 Jahren, am 14. August 1991, hat die Koreanerin Kim Hak Soon in Seoul als erste »Trostfrau« ihre Geschichte an die Öffentlichkeit gebracht. Das wollen wir würdigen.

Wer und was verbirgt sich hinter dem Begriff »Trostfrauen«?

»Trostfrauen« waren Frauen, die von der japanischen Armee im Asien-Pazifik Krieg (1931-1945) in sexueller Sklaverei gehalten wurden. Sie mussten den japanischen Soldaten dienen. Vielleicht haben sie den Soldaten Trost gespendet, aber es war nichts anderes als Vergewaltigung. Japans Militär nannte Bordelle damals »Troststätten«, also wurden die Frauen »Trostfrauen« genannt. Eigentlich sollten wir den Begriff, den die japanische Armee erfunden hat, nicht benutzen, sondern von sexueller Sklaverei sprechen. Aber das möchte niemand hören.

Die Betroffenen, die noch leben, sind inzwischen sehr alt. Warum hat es bis 1991 gedauert, bis sie ihre Stimmen erhoben haben?

Ich kann das nur für die japanische Seite erklären. Japan ist die Täterseite, deswegen wollte man nicht darüber sprechen. Beispielsweise finden »Trostfrauen« in der Literatur Erwähnung, aber wir erkannten nicht, dass es sich um Vergewaltigung handelte. Nach dem Kriegsende und noch lange danach waren die Geschlechterverhältnisse in der japanischen Gesellschaft andere. Und ein Bordellbesuch war und ist kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In asiatischen Ländern ist dieser Bereich immer noch stark tabuisiert. Andererseits ist es auch in Deutschland für Frauen nicht einfach zu sagen: Ich wurde vergewaltigt. Kim Hak Soon konnte erst aussagen, als sie erkannte, dass sie nicht alleingelassen würde. Ihre Unterstützer haben sie ermutigt. Die Frauen galten ihren Familien als Schande. Die Scham war groß.

Woher kamen die Frauen?

Erst versuchte das Militär, Prostituierte aus Japan anzuwerben. Doch das waren zu wenige und viele hatten Geschlechtskrankheiten. Das ist nicht gut für die Einsatzfähigkeit der Soldaten. Also haben sie junge, mittellose Mädchen mit Geld angelockt. Gesagt wurde ihnen, sie könnten in einer Fabrik arbeiten und nebenher die Schule besuchen. Doch sie endeten als »Trostfrau«. Viele Frauen wurden allerdings auch verschleppt. Sie kamen aus allen Ländern, in die Japans Armee einmarschierte.

Was fordern Sie von der japanischen Regierung?

Wir fordern eine Entschädigung und eine Entschuldigung. Das würde dazugehören, um die Vergehen wieder gutzumachen. Auch wenn die Frauen ihr Leben und ihre Menschenwürde nicht mehr zurückbekommen können. Japan hat 1965 einen Normalisierungsvertrag mit Südkorea geschlossen. Doch damals waren die »Trostfrauen« noch kein Thema. Als sie es wurden, argumentierte Japan, es habe bereits Reparationszahlungen an Korea geleistet, das nun selbst für die Frauen aufkommen solle. Das hat Korea nur teilweise getan. Viele Frauen brauchen zwar finanzielle Unterstützung, doch wichtiger ist ihnen Japans ehrliche Entschuldigung.

Wie steht Japan dazu?

1992, nach der Aussage Kim Hak Soons, äußerte der damalige japanische Premierminister sein Bedauern, entschuldigt hat er sich nicht. Nach der Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts wurde anerkannt, dass das japanische Militär am psychischen und physischen Zwang gegen die Frauen beteiligt war. Daraufhin hat sich der damalige Staatssekretär entschuldigt. Es gab immer wieder Politiker, die sich entschuldigt haben. Doch insbesondere von Politikern des rechten Flügels wurde wiederholt geäußert, dass Japan keine Schuld habe und eine Entschädigung nicht notwendig sei.

Wie geht die japanische Bevölkerung mit dem Thema um?

Die Mehrheit der japanischen Gesellschaft sieht sich nicht in der Schuld. Dabei ist es wichtig, dass die junge Generation in Japan auch diesen Teil der Geschichte lernt. In den 90er Jahren nahm man die Geschichte der »Trostfrauen« in die Schulbücher auf, doch inzwischen wurde sie wieder gestrichen. Eine richtige Kriegs- oder Vergangenheitsbewältigung hat in Japan nicht stattgefunden. Deswegen bin ich froh, dass es Frauen gab, die den Mut hatten, ihre Geschichte zu erzählen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2011


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