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Gebirgsmassiv mit Schulden

Japans Verbindlichkeiten betragen das Doppelte der Wirtschaftsleistung

Von Hermannus Pfeiffer *

Die Akteure auf den Finanzmärkten machen sich Sorgen wegen der möglichen Folgen der Schuldenkrise der USA und in Euroland. Beides könnte einen neuen Wirtschaftseinbruch bringen und würde den Unternehmensgewinnen schlecht bekommen. Die Folge sind fallende Aktienkurse. Erstaunlicherweise wird das größte Sorgenkind kaum beachtet: Japan.

Die USA werden bei der Staatsverschuldung 2011 laut Schätzung der OECD die Marke von 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) überschreiten. Griechenland, dessen Geld- und Fiskalpolitik die europäische Gemeinschaftswährung zum Einsturz zu bringen drohte, wird dann auf einem Schuldenberg von gut 150 Prozent seines BIP sitzen. Doch was ist all das angesichts der Schuldenquote von 200 Prozent, die Japan drückt? Wenn die Verbindlichkeiten doppelt so hoch sind wie die gesamte Wirtschaftsleistung eines Jahres, bleibt das nicht ohne Folgen: »Die chronische Wachstumsschwäche Japans könnte zum Teil darin ihre Ursache haben«, meint Mechthild Schrooten, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Auch der Kreditversicherer Coface sorgt sich: Die Regierung in Tokio sei instabil und seit den späten 1990er Jahren plage den früheren Weltmarktführer eine stagnierende Wirtschaft, die Zahl der Erwerbstätigen nehme ab und ein Drittel arbeite in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, obwohl die Bevölkerung »überaltere«.

Trotz solcher Fakten und mieser Noten von den Ratingagenturen verhalten sich die Finanzmarktakteure erstaunlich gelassen. Und das Vertrauen in den Yen scheint ungebrochen. So nahm sein Anteil an den weltweiten Währungsreserven sogar leicht zu, obwohl er durch den neuen Euro seine Rolle als Ersatzleitwährung neben dem Dollar verlor. In diesen Tagen gilt der Yen neben dem Schweizer Franken sogar als beliebteste Fluchtwährung für verschreckte Anleger aus Europa und den USA. Was Japans Regierung vergangene Woche veranlasste, viel Geld in die Hand zu nehmen, um den Yen-Kurs zu drücken. So soll die Exportwirtschaft gestärkt werden.

Für eine gewisse Gelassenheit auf den globalen Finanzmärkten sorgt besonders die Struktur der japanischen Staatsschulden: 93 Prozent werden laut der Research-Abteilung der Deutschen Bank von Inländern gehalten – von Bürgern, Postbank und Versicherungen; dagegen beträgt der Anteil in den USA zwei Drittel und in Griechenland sind es noch weniger Einheimische. Zwar seien Inländer »so boshaft« wie ausländische Spekulanten, aber auf einem kleineren (Inlands-)Markt werde halt weniger spekuliert, meint Ökonom Herbert Schui: »Je größer der Markt, desto größer die Spekulation.«

Zur fast vollständigen Inlandsverschuldung trug die generell geringe Offenheit der japanischen Volkswirtschaft bei. Hinzu kommt die gesetzliche Verpflichtung von Versicherungen und Pensionskassen, Staatspapiere zu halten. Andererseits sind für Ausländer Japan-Anleihen aufgrund der minimalen Verzinsung nahe null unattraktiv. Beruhigend auf die Finanzmärkte wirkt zudem, dass die nach China nur noch drittgrößte Volkswirtschaft über eine eigene Währung verfügt sowie notfalls die japanische Notenbank den Geldhahn stärker aufdrehen und Staatsschulden übernehmen könnte.

Eine Trendwende ist derweil nicht zu erwarten. Sollte Tokio weiterhin die einheimische Wirtschaft steuerlich entlasten und die dadurch aufgerissenen Steuerlöcher mit neuen Krediten stopfen, dürfte der Schuldenberg nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds 2016 die 250-Prozent-Marke überspringen. Auf Dauer wird Japan seine Politik, knapp die Hälfte seiner Staatsausgaben über neue Schulden zu finanzieren, nicht durchhalten können. Ministerpräsident Naoto Kan von der Demokratischen Partei DPJ hat kürzlich eine fiskalpolitische Wende angekündigt und Steuererhöhungen gefordert. Die Opposition, auch in den eigenen Reihen, wetzt schon die politischen Messer.

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2011


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