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In der Klemme: JAPAN

Von Wolfram Adolphi *

Im September 2006 unterhielten die USA außerhalb ihres eigenen Territoriums 823 Militärstützpunkte mit 175 817 Soldatinnen und -Soldaten in 39 Ländern. An der Spitze der Stationierungsländer stand Deutschland mit 287 Stützpunkten und 63 958 Soldaten. Japan folgte mit 130 Basen und 48 844 Soldaten auf Platz zwei. Bei einer anderen Kennziffer lag Japan sogar unangefochten auf Platz eins: beim eigenen Beitrag zu den Stationierungskosten. Auf 74,5 Prozent belief er sich für das Land der aufgehenden Sonne im Jahre 2002 – und das war deutlich mehr als etwa im Falle von Katar (61,2 Prozent), Kuwait (58,0 Prozent), Spanien (57,9 Prozent), der Türkei (54,2 Prozent), Italien (41,0 Prozent), Südkorea (40,0 Prozent) und Deutschland (32,6 Prozent).

Mag sich an diesen Zahlen, die der bereits durch zahlreiche einschlägige Aufsätze auch in Deutschland bekannte japanische Friedensforscher Eiichi Kido in einer nun erschienenen größeren Arbeit zur Remilitarisierung Japans aufführt, im Jahre 2010 das eine oder andere im Detail geändert haben: Nichts geändert hat sich am herausragenden Platz Japans in der Globalstrategie der USA. Das wird gerade dieser Tage durch hochrangige US-Militärs bekräftigt, die auf der zentralen Rolle des Stützpunktes Okinawa für die Helikopter-Schwadronen der US-Marines beharren und sich damit gegen die 2006 von den USA und Japan vertraglich ins Auge gefasste Verlegung der Marines von Okinawa auf die von den USA verwaltete Südseeinsel Guam stemmen. Zu groß sei die Entfernung Guams, heißt es, von China und Korea.

Und warum will man in der Nähe bleiben? Eiichi Kido bestätigt mit seinem auf Ostasien fokussierten Buch eindrucksvoll einen Befund, wie er bei der Analyse von Entwicklungen anderswo in der Welt längst manifest geworden ist: Die USA und die von ihr geführten Militärbündnisse haben die gewaltige Chance zu Abrüstung und Stützpunktauflösung, wie sie sich mit dem Ende der Sowjetunion und des Ost-West-Konflikts 1989/90 ergeben hatte, nicht genutzt, sondern im Gegenteil über die Etappen Golfkrieg 1991, Krieg gegen Jugoslawien 1999 und »Krieg gegen den Terror« seit 2001 weiter aufgerüstet, das Stützpunktnetz erweitert und modernisiert, alte Feindbilder wiederbelebt, neue Feindbilder hinzugefügt und somit neue Unsicherheit statt Sicherheit geschaffen. China und Nordkorea werden in diesem System als Feinde gesehen, denen man militärisch auf Tuchfühlung nahe bleiben will – wie eh und je.

Kido besticht in seiner Analyse des Weges, den Japan dabei seit 1945 gegangen ist, mit historischer Genauigkeit, interessanter Periodisierung - beispielhaft seine Darstellung der Regierungszeit des Yasuhiro Nakasone in den 1980er Jahren als entscheidend für das Abwerfen der »Hemmungen« der Nachkriegspolitik – und der Fähigkeit, die Dinge in ihrer Komplexität zu bewerten. Vorbildlich arbeitet er die Wechselwirkung von Innen- und Außenpolitik heraus, stellt er den Zusammenhang zu wirtschaftlichen Entwicklungen her und macht auf Vorgänge in der Meinungsbildung der Bevölkerung aufmerksam, die er als Herstellung von »innerer Kriegsbereitschaft« beschreibt.

Unübersehbar – und von Kido oft auch bewusst unterstrichen – sind die Parallelitäten zum 1936 bis 1945 in der faschistischen, militaristischen Achse Berlin-Tokio mit Japan verbündet gewesenen und mit ihm gemeinsam von der Anti-Hitler-Koalition geschlagenen Deutschland. Nahm die Bundesregierung die Konflikte in Jugoslawien zum Anlass, 1999 das Tabu zu brechen und deutsche Soldaten wieder in einen Krieg zu schicken, so fand dieser Tabubruch in Japan im Dezember 2003 mit der Entsendung von Truppen in den Irakkrieg statt. Ähnlich verlaufen auch die mit dem »Krieg gegen den Terror« begründeten Veränderungen in der Gesetzgebung beider Länder zur »inneren Sicherheit«.

Noch – so schließt Kido – hat in Japan trotz aller Aushöhlungen der Artikel 9 der Verfassung, der es dem Land verbietet, wieder Militärmacht zu werden, Bestand, und noch wird er von einer Bevölkerungsmehrheit gewollt und neuerdings auch durch internationale Artikel-9-Bewegungen unterstützt. Aber der Druck, Art. 9 abzuschaffen, wächst. Und allzu deutlich, meint Kido, seien die Anzeichen, dass Japan, anstatt das Gesamtsystem seiner internationalen Beziehungen neu und auf strikt friedlicher Grundlage zu ordnen, bereit sei, »für die bilaterale Beziehung mit den USA die anderen Beziehungen zu opfern« und »fast willenlos die US-Absichten auszuführen«. Was die USA zu unternehmen bereit sind, wenn Japan sich nicht fügt, ist gerade beim geballten Angriff auf die Autofirma Toyota zu erleben.

Eiichi Kido: Die Remilitarisierung Japans nach 1945. Rückkehr zu einem militanten Nationalismus? Pahl-Rugenstein, Bonn 2009. 178 S., br., 24,90 €; ISBN-10:3891444168; ISBN-13: 978-3891444160

* Aus: Neues Deutschland, 17. März 2010 (Beilage zur Leipziger Buchmesse)


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