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Dauerhaft unbewohnbar

Japan: Zone rund um das AKW Fukushima muß aufgegeben werden

Von Wolfgang Pomrehn *

Die japanische Regierung will einen Teil des Gebiets um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi dauerhaft zur Sperrzone erklären, wie die Zeitung Mainichi Shimbun berichtet. Nach derzeitigem Plan sollen im Januar nächsten Jahres die drei Reaktoren, deren Kerne aufgeschmolzen sind, endlich unter Kontrolle sein. Dann wolle man die jetzt gesperrte 20-Kilometer-Zone näher untersuchen und entscheiden, welche Teile gesperrt bleiben. Genaue Angaben für den Zeitpunkt der Untersuchung macht die Zeitung allerdings nicht.

Schon jetzt werden die japanischen Behörden allerdings von vielen Bürgern für ihre undurchsichtige Informationspolitik kritisiert. So sind zum Beispiel genaue Angaben über die radioaktive Belastung nur schwer zu bekommen. Daher haben inzwischen viele Engagierte zur Selbsthilfe gegriffen. Wie einst in Westdeutschland im Zuge des Widerstands gegen den Bau von Atomkraftwerken bewaffnen sich nun japanische Bürger mit Meßgeräten, um ihre eigenen Informationen über die radioaktive Strahlung zu sammeln. Auf diese Weise wurde bekannt, daß es noch in 300 Kilometern Entfernung vom AKW Fukushima zum Teil hohe Belastungen gibt. Die Behörden hatten unter anderem Warnungen von Meteorologen über radioaktiven Niederschlag nicht herausgegeben.

Nach Angaben des Wissenschaftsministeriums, die die Zeitung zitiert, werden an 15 von 50 Meßpunkten in der jetzigen Sperrzone noch über 100 Millisievert gemessen, was ein relativ hoher Wert ist. Bei 100 Millisievert Dauerbelastung ist bei einem Prozent der Bevölkerung damit zu rechnen, daß sich Krebs entwickelt. Die Internationale Kommission für den Schutz vor radioaktiver Strahlung empfiehlt, daß auch in Krisensituationen die Belastung auf 20 bis 100 Millisievert beschränkt werden sollte. In Gebieten, die nach einem Unfall wieder besiedelt werden, sollte die Strahlenbelastung nicht über 20 Millisievert liegen und langfristig auf ein Millisievert begrenzt werden. Die japanische Regierung hatte hingegen nach der dreifachen Reaktorkatastrophe in Folge des Erdbebens vom 11. März die Grenzwerte für Kinder erhöht. Statt wie bisher ein Millisievert Dauerbelastung hält sie nun 20 Millisievert für akzeptabel.

Entsprechend breitet sich in der japanischen Bevölkerung die Ablehnung der Atomenergienutzung aus. 74 Prozent der Bürger, so hat dieser Tage eine Meinungsumfrage ergeben, unterstützen inzwischen einen schrittweisen Ausstieg aus der Atomwirtschaft. Weitere elf Prozent fordern die sofortige Stillegung aller AKW. Bis zum März dieses Jahres haben diese knapp 30 Prozent des japanischen Strombedarfs gedeckt. Zur Zeit stehen als Folge des Erdbebens und erhöhter Sicherheitsanforderungen mehrere Dutzend der 50 japanischen Reaktoren still.

Bis vor kurzem hatte die japanische Regierung noch ein Neubauprogramm für AKW verfolgt, doch das scheint vorerst vom Tisch. Premierminister Naoto Kan fordert den Ausstieg und den Ausbau der erneuerbaren Energieträger. Allerdings ist seine Popularität auf ein Rekordtief gesunken. Nur 15 Prozent der Wähler unterstützten bei einer Umfrage im Juli Kans Politik. Daher hat in seiner Partei die Suche nach einem Nachfolger begonnen, und in diesem Zusammenhang ist es ungewiß, ob der Antiatomkurs Bestand haben wird. Die meisten in Frage kommenden Kandidaten, so Mainichi Shimbun, würden entweder den Weiterbetrieb der bestehenden AKW unterstützen oder gar einen Ausbau fordern.

* Aus: junge Welt, 23. August 2011


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