Selektives Erinnern
Japan gedenkt der Opfer des Atombombenabwurfs vor 68 Jahren. Schicksal koreanischer Zwangsarbeiter verdrängt
Von Rainer Werning *
Mit einem Appell zur weltweiten Abschaffung von Atomwaffen gedachten gut 50000 Menschen am Dienstag in der japanischen Stadt Hiroshima der Opfer des ersten Atombombenabwurfs durch die US-Luftwaffe vor 68 Jahren. In einer »Friedensdeklaration« rief Bürgermeister Matsui Kazumi zur Ächtung von Atomwaffen und deren Export auf. »In diesem Sommer«, erklärte Matsui, »leidet der Osten unseres Landes noch immer unter den Nachwirkungen des großen Erdbebens und der Reaktorkatastrophe vor zweieinhalb Jahren, die einen Super-GAU im Kraftwerk Fukushima auslösten. Wir fordern die Regierung auf, unverzüglich eine verantwortungsvolle Energiepolitik einzuleiten, die der Sicherheit und dem Wohlergehen der Bevölkerung höchste Priorität einräumt.«
Ähnliche wohlfeile Worte werden heute auch die Stadtoberen von Nagasaki sprechen, die am 9. August alljährlich an das Schicksal der Hibakusha (wörtlich: »gebombte Menschen«) erinnern. Das sind jene Menschen, die die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki als Strahlenopfer überlebten. Doch bei allen diesen Gedenkfeiern wird regelmäßig die Opferrolle Japans in den Vordergrund weltweiter Aufmerksamkeit gerückt. Unberücksichtigt und vergessen bleibt hingegen, daß etwa 20, möglicherweise bis zu 25 Prozent der Atombombenopfer Hiroshimas und Nagasakis Koreaner waren.
Im Zuge ihrer Kriegführung in Ostasien hatte die kaiserlich-japanische Armee in den 1930er und 1940er Jahren zwischen 1,5 und zwei Millionen Menschen aus Korea nach Japan verschleppt, die dort zwölf bis fünfzehn Stunden täglich als Zwangsarbeiter in Bergwerken, Kohlegruben und auf Werften schuften oder als Soldaten dienen mußten. Ihre Unterdrücker hatten ihnen unablässig eingebleut, es sei für sie eine große Ehre, »ein Untertan des Tenno«, des japanischen Kaisers, zu sein. Allein in der Präfektur Nagasaki lebten im August 1945 schätzungsweise 63000 koreanische Zwangsarbeiter, davon 30000 in der Stadt selbst. Sie waren zum Dienst für den Mitsubishi-Konzern abkommandiert, der dort Kreuzer und Torpedoboote für die kaiserliche Kriegsmarine fertigte und reparierte. Als Nagasaki vor 68 Jahren in Schutt und Asche gelegt wurde, starben etwa 40000 dieser Zwangsarbeiter unmittelbar oder innerhalb eines Jahres an den Folgen.
Erst Ende der 1960er Jahre, als die alten Firmen des japanischen Big Busineß wieder in neuem Glanz erstrahlten, erinnerten überlebende Koreaner und internationale Hilfswerke an das Schicksal der koreanischen Hibakusha. Sie blieben lange Zeit geächtet, diskriminiert und als »leprakrank« sozial ausgegrenzt. Steht der Gedenkstein für die japanischen Atombombenopfer inmitten des Friedensparks von Hiroshima, so befand sich ein Mahnmal für die koreanischen Opfer lange Zeit verschämt außerhalb des Parks auf der anderen Flußseite. Erst nach langjährigen Auseinandersetzungen erinnert heute auch eine Stele im Friedenspark an die koreanischen Atombombenopfer. Es handelt sich dabei um eine rechteckig aufragende Säule, deren Sockel eine Schildkröte – das Symbol für ein langes Leben – bildet, und die am oberen Ende die Inschrift trägt: »Die Seelen der Verstorbenen reiten in den Himmel auf den Rücken der Schildkröten.«
In diesem Jahr hat das staatlich verordnete Erinnern einen besonders faden Beigeschmack. Die Regierung von Ministerpräsident Abe Shinzo hat bereits angekündigt, etliche Atomkraftwerke wieder hochfahren zu wollen und eine Revision der pazifistischen Nachkriegsverfassung anzustreben. Außerdem wollen die regierenden Liberaldemokraten die sogenannten japanischen Selbstverteidigungskräfte in eine normale Armee umwandeln. Es sei lediglich ein Zufall, betonte derweil der stellvertretende Ministerpräsident Aso Taro, daß gleichzeitig mit dem Hiroshima-Gedenktag Japans größtes Marineschiff seit Kriegsende im Hafen von Yokohama eingeweiht wurde. Der 248 Meter lange und 1,2 Milliarden Dollar teure Hubschrauberträger »Izumo« weckt in den Nachbarländern China und Korea böse Erinnerungen an Japans militaristische Vergangenheit, die noch immer nicht ganz vergehen will.
* Aus: junge Welt, Freitag, 9. August 2013
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