Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Höchste Alarmstufe seit zwei Jahren

Austritt verseuchten Kühlwassers bringt Fukushima wieder Schlagzeilen

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

In Japans Katastrophen-AKW Fukushima Daiichi sind rund 300 Tonnen radioaktiv verseuchtes Kühlwasser ausgetreten. Die Behörden sprechen von einem ernsten Störfall.

Es habe den »Austritt einer großen Menge radioaktiver Materie innerhalb der Anlage« gegeben, teilte die japanische Atomaufsichtsbehörde mit, die den Zwischenfall auf Stufe drei der bis sieben reichenden internationalen Skala für Atomunfälle INES (International Nuclear Event Scale) einstufte. Damit herrscht in Fukushima die höchste Alarmstufe seit März 2011, als Tsunami-Flutwellen das Kraftwerk überspülten, was Kühlsysteme zerstörte und Kernschmelzen auslöste. Trotz erhöhter Warnstufe ist dem Kraftwerkbetreiber Tepco, der auch die Sicherungsarbeiten leitet, noch immer nicht klar, wo genau das verseuchte Wasser austritt. Womöglich aus einem der Auffangbecken, hieß es, die seit dem Unglück vor zweieinhalb Jahren verseuchtes Kühlwasser speichern und jeden Tag 400 Tonnen an neuem, verstrahltem Wasser zu fassen haben.

Tepco beeilte sich am Mittwoch, einen Speichertank zu versiegeln, der undicht sein soll. Der Tank wurde leer gepumpt und die nasse Erde rundherum abgetragen. Man prüft weitere 350 Speicher der gleichen Bauart auf Lecks, doch weder Betreiber noch Atombehörde wissen, wie das Problem zu beheben ist. Sunichi Tanaka, Vorsitzender der Atombehörde, sprach bei einer Pressekonferenz in Tokio von »großer Sorge« und einer »Situation«, bei der es »keine Zeit zu verlieren« gebe.

Außer den Kernschmelzen in Fukushima und Tschernobyl 1986 wurde noch kein Zwischenfall in einer Atomanlage mit der höchsten Stufe sieben bewertet. Ein Störfall der Stufe drei war das radioaktive Leck 2005 in der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield. Derweil versucht Tepco mit den gleichen alten Durchhalteparolen, dass man die Lage unter Kontrolle habe, die Bevölkerung zu beruhigen. Mit allen Mitteln werde verhindert, dass verseuchtes Wasser ins Meer abfließt.

Dabei kämpfe Tepco »laufend mit Problemen mit verseuchtem Wasser«, sagte Kenzo Oshima, ein Beauftragter der Nuklearbehörde. »Tepco kriegt das Problem nicht in den Griff und das wird auch weiterhin der Fall sein.« Neben von Ratten zernagten Kabeln und bisher zwei Stromausfällen, die Notkühlsysteme unterbrachen, bleibt das größte Problem, neue Speichertanks für immer mehr verseuchtes Wasser zu errichten. Die gesamten Sicherungs- und Versiegelungsarbeiten werden voraussichtlich 30 bis 40 Jahre dauern und die Schuldenlast von Tepco, das schon so riesige Entschädigungszahlungen zu leisten hat, in den zweistelligen Dollar-Milliarden-Bereich hochtreiben.

Oshima wirft Tepco dabei vor, dass die andauernden Probleme in Fukushima, über die weltweit berichtet werde, ganz Japan in ein schlechtes Licht rücken. Um nicht das Gesicht zu verlieren, scheinen Tepco und auch die Regierung in Tokio bemüht, das wahre Ausmaß der Schäden und Gefahren zu verharmlosen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 22. August 2013


Zurück zur Japan-Seite

Zur Kernkraft-Seite

Zurück zur Homepage